An die Teilnehmer der Romfahrt [...] 1986, Januar 1987
Mir besonders wichtige Erfahrungen und Begegnungen
In San Lorenzo in Lucina, in Santa Sabina und San Clemente, aber auch an manchem anderen Ort war mir ein neuer Einstieg in die Geschichte als Schichtung und Verknüpfung von Zeitaltern, von Lebens- und Glaubenserfahrungen der Jahrhunderte möglich. Es war anders, als wenn ich sonst historisch wichtige Punkte besichtige und mich darüber informiere, was da gewesen ist, anders auch, als wenn ich bloß mit ästhetischem Interesse Schönes betrachte (das tue ich nach wie vor gerne und habe ich auch in Rom getan, es wäre eine Verarmung, es nicht zu tun; das zweckfrei Schöne ist ganz wichtig in unserer verzweckten Welt; dem begegne ich in Rom zwar sehr intensiv, aber auch anderswo).
San Ignazio, Il Gesu, Santa Maddalena, um nur drei signifikante Punkte zu nennen, wurden mir wiederum besonders wichtig, weil hier Stützpunkte sind, an denen sich die Geschichte von Gründungen und von Charismen der Kirche festmacht. Ins „offizielle“ Rom, ins Rom des Vatikan, des Imperium, der mit Weltgeschichte verbundenen Stadtgeschichte mischen sich diese Linien des Kontrapunkts, der Geschichte, die einfach dadurch entsteht, daß Menschen dem Ruf Gottes folgen (bei den genannten Punkten: der heilige Ignatius und der heilige Kamillus); doch dieser Kontrapunkt trägt die Melodie, verändert sie, wird mitunter Melodie der großen Weltgeschichte – das ist ganz wichtig, und es wird kaum irgendwo so sichtbar in seiner Möglichkeit und Bedeutsamkeit, aber auch dramatischen Spannung wie in Rom.
Das neue, das andere Rom, jenes Rom, das wir vor allem bei der Stadtrundfahrt und den Stadtviertel-Besuchen mit der Gemeinschaft von Sant’Egidio kennenlernten, zählt für mich zu den stärksten Impressionen, die ich mitgenommen habe. Andere Perspektiven auf dieselbe Realität wurden mir auch durch manche Erzählungen der Kleinen Schwestern, durch das Gespräch mit Weihbischof Riva1 und den Besuch bei Bischof Cordes2 im Jugendzentrum von San Lorenzo am Vatikan erschlossen.
Nicht minder wichtig erschienen mir die Begegnungen mit den Kleinen Schwestern [3] in Tre Fontane, mit den Schervierschwestern3 in Ciampino, der Abend bei der Gemeinschaft von Sant’Egidio unter der anderen Perspektive: gegenwärtige Aufbrüche, unmittelbar und glaubwürdig gelebtes Evangelium.
Schließlich muß ich den Morgen bei Professor Piero Coda4 und die dort gewonnenen Einblicke in die italienische Theologie der Gegenwart samt deren Kontexten erwähnen, wobei die Begegnung mit Professor Pfeiffer5 in San Clemente dieses Thema nochmals indirekt aufgriff.
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Clemente Emilio Riva (1922–1999), Weihbischof in der Diözese Rom. ↩︎
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Dr. Paul Josef Kardinal Cordes, geb. 1934, von 1980 bis 1995 Vizepräsident des Päpstlichen Rates für die Laien, seit 1995 Präsidenten des Päpstlichen Rates „Cor Unum“. ↩︎
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Schervier-Schwestern: die Armen-Schwestern vom hl. Franziskus, eine Aachener Gründung. ↩︎
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Prof. Dr. Piero Coda, geb. 1955, Professor für systematische Theologie an der Pontificia Università Lateranense, seit 2008 Rektor des Universitätsinstituts Sophia in Loppiano/Florenz. ↩︎
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Prof. Dr. Heinrich Pfeiffer SJ, geb. 1939, seit 1973 Professor für christliche Kunstgeschichte an der Pontificia Università Gregoriana. ↩︎