Das Wort für uns
Mit Jesus leben
Hier kann uns das Wort, das uns in Jesus gesagt ist, treffen. Wir können durch ihn das Wort wiederfinden, das unser Verhältnis eröffnet zum Sterben. Entgegen manch anderem An- [103]schein der Tradition ist sein Evangelium keine bloße Vertröstung aufs Jenseits, keine Ablenkung des Blicks vom Hier und Jetzt. Jesu Gott ist der Gott der Zukunft, aber nicht ein Gott des bloßen Nachher. Überall, wo in der Geschichte von Jesus Bewegung ausgeht, wo er Menschen ergreift und verwandelt, bricht eine Hoffnung auf, die über den Tod hinausträgt, die aber nicht beim Tod erst anfängt. Wo Jesus und sein Wort mächtig werden, da verwandelt sie das Leben, das Hier und Jetzt. Jetzt, so verkündet er, rückt Gott, rückt seine Herrschaft nahe heran. Jetzt, so zeigte er, beugt sich Gott über die Kranken und Gestrauchelten, die Randexistenzen und Zukurzgekommenen. Jetzt, so forderte er, gilt es, die Verkrampfung aufs eigene Haben, Meinen und Wollen aufzugeben und in einem Vertrauen, einer Liebe ohne Grenzen ihm auf seinem neuen Weg zu folgen.
Als man diesen Jesus zur Rede stellte, was er von einem Weiterleben nach dem Tod halte, da hat er uns laut Matthäusevangelium eine Antwort gegeben, die auch den christlichen Prediger überraschen kann. Wir beginnen doch in der Regel damit, daß wir über das Ewige im Men- [104]schen nachsinnen, über den Adel unserer Seele, über die schwindelnde Höhe menschlicher Persönlichkeit, kurzum über das, was uns unzerstörbar und unsterblich dünkt. Jesus aber setzt andersherum an: von Gott.
Das tut er im Grund immer und in allem. Nicht nur weil ihm der Mensch leid tut, predigt er Vertrauen und Liebe. Sondern weil er auf Gott schaut, weil er Gott kennt, weil er sich von Gott gesendet weiß, kann er uns neue Botschaft von Gott bringen. Weil Gott einfach von sich aus so ist, wie er ist, deshalb ist alles anders, wenn dieser Gott einbricht in unser Leben, in unsere Welt. Dieser Gott fordert das Äußerste und Letzte – aber das Äußerste und Letzte ist unser Vertrauen, ist unser Herz. Dieser Gott schenkt das Äußerste und Letzte – aber dieses Äußerste und Letzte ist er selbst, sein Sich-Verströmen, seine Liebe, der nichts zuviel ist. Wer sich auf diesen Gott einläßt, der entdeckt ein neues Leben, ja: der lebt.
Und von daher ist es nur konsequent, was Jesus denen antwortet, die ihn danach fragen, was nach dem Tod kommt. Er sagt einfach: Gott ist nicht ein Gott der Toten, sondern ein Gott der [105] Lebenden (Mt 22,32). Dieser Gott ist Leben, und diesem Gott geht es um das Leben, und selbst der Tod vermag seinem Willen zum Leben keine Grenze zu setzen. Ihm leben alle, und deshalb lebt auch jener, der stirbt.
Gott hat Jesus, Gott hat seinen Sohn beim Wort genommen. Er hat ihm – schockierend für seine Jünger, schockierend gar für ihn selbst – den Tod nicht erspart. Jesus selbst mußte hinein in alle Angst. Er ist nicht schnurstracks der Sieger, der im Wettlauf mit dem Tod diesen mühelos überholt, nein, er schaut ihm ins Angesicht. Und dieses Angesicht ist so finster, daß dahinter gar das Antlitz des Vaters sich zu entziehen scheint. Nur im Durchgang durch diesen wirklichen, unverkürzten, unbeschönigten, radikalen Tod löst sich dem Sohn das Vertrauen auf den Vater ein, den er uns als den Gott der Lebenden gepredigt hat. Aber gerade so dürfen wir auf dem Antlitz des toten Jesus die ewige Zukunft unseres Lebens ablesen; das Antlitz Jesu ist hineingezeichnet in das Antlitz auch unseres Todes. Wer dem Tod ins Gesicht schaut, der schaut dem Leben ins Gesicht.