Christus nachgehen

Modelle der Vermittlung des Glaubens: von der Mitte der Botschaft zur Situation

a) Der Christus meines Weges. – Für viele junge Menschen fängt die Beziehung zum Christentum damit an, daß sie von Jesus fasziniert sind, von seiner anderen Weise, zu sehen und zu leben. Wir wollen es auch machen wie er! Jesus ist ihnen Vorbild und Freund. Sie machen Erfahrungen mit ihm. Sie gehen wie er auf andere zu. Dann aber wird der kritische Punkt erreicht. Geht es nicht doch einfacher? Könnte man nicht doch seinen Anspruch ermäßigen? Nicht doch einen Kompromiß schließen? Jesus läßt frei, aber sein Anspruch bleibt stehen, unerbittlich. Er redet wie einer, der Vollmacht hat. Und er tut es nicht, weil er ein verstiegener Idealist wäre, weil er nur sich selber treu bleiben wollte. Er tut es, weil er den Vater liebt, weil er von ihm gesandt ist. Er muß des Vaters Ja zu jedem Menschen ausrichten, aber nicht wie er will, sondern wie der Vater will. Der Jesus als Freund und Vorbild wird zum gehorsamen und getreuen Zeugen und Gottesknecht, zugleich aber zum vollmächtig Gesandten, in dem der Vater wirkt und handelt.

Aus dem Fasziniertsein von Jesus fängt die Treue zu ihm zu wachsen an. Gerade in dieser Treue aber gibt es die schlechten Erfahrungen, die Enttäuschungen über sich selbst, die Erfahrung der Überforde- [56] rung, des „es geht nicht!“. Hier bin ich darauf angewiesen, angenommen zu sein, Vergebung zu erfahren, neu anfangen zu dürfen. Jesus wird aufs neue aktuell als Freund, hier aber in einer gesteigerten Position: Freund, der meine Last, mein Schicksal mitträgt, als jener, der für mich vor Gott steht, der mit mir geht in meine eigenen Dunkelheiten, als jener, der an meiner Stelle zu stehen vermag, weil Gott ihn an diese meine Stelle, an die Stelle aller gestellt hat. Er wird der Erlöser, der Heiland.

Hier erfolgt nochmals ein entscheidender Schritt. Weil Jesus mit mir geht, weil ich in ihm neu anfangen darf, bin nicht nur ich anders, sondern ist die Welt anders, ist alles neu. Gott ist nicht mehr ein ferner Gott, sondern er selbst ist jener, der liebt, der mir nahe ist, ja der mir in Jesus sein Liebstes geschenkt hat, seinen einzigen Sohn. Jesus nimmt mich durch seinen Geist in sein Gottesverhältnis hinein – und gerade so erkenne ich die Einmaligkeit dieses seines Gottesverhältnisses. Er ist nicht nur der Gesandte, sondern er ist der Sohn. Ich bin sowohl ins dreifaltige Leben, ins Leben des Sohnes mit dem Vater im Geist, hineingenommen wie auch mit Jesus hinausgesandt, durch seinen Geist, um selbst Zeuge für ihn zu sein.

Darin aber ist mir ein Doppeltes widerfahren: Ich entdecke, daß ich, mit Jesus lebend, mit einem lebe, der selber lebt. Jesus ist der Lebendige, der Aufer- [57] weckte. Er war einmal, gewiß, aber er ist. Neben mir, für mich, in mir. Und das andere: Ich bin an seiner Stelle. Ich unvertretbar, aber ich nicht allein. Ich kann mit ihm nur leben, weil ich mit denen lebe, die sich auf ihn verlassen. Und das sind nicht nur die paar Freunde, die es entschieden genauso machen wollen, wie ich es versuche. Nein, er hat sich für alle gegeben, und er hat sich darum in die Geschichte hineingegeben durch seine Sendung, durch sein Wort, durch seine Sakramente: in die Kirche. Ich bin bereit, aus ihr zu leben, an ihr Maß zu nehmen, sie mitzutragen – so aber ihren bloß objektiven Anspruch glaubhaft zu machen, einzulösen in der konkreten, lebendigen Gestalt persönlichen und gemeinschaftlichen Zeugnisses.

Ein letztes: Nicht ich schaffe es, nicht wir, nicht die Kirche, aber der in uns lebt, kommt uns zugleich entgegen, er ist der Kommende. Wir gehen auf eine Zukunft zu, die er ist. Er wird die Welt vollenden.

Die Stationen dieser Christologie meines Weges: Jesus als Freund und Vorbild, Jesus als gehorsamer Gottesknecht und vollmächtiger Gesandter Gottes, der Jesus „für mich“, der Erlöser, Jesus der menschgewordene Gottessohn, Jesus der Lebendige, Auferweckte, Jesus in seinem Leib, der Kirche, Jesus der Wiederkommende, der Weltvollender. Wichtig ist die Entsprechung: Meine Erfahrungen auf Jesus zu [58] (vgl. S. 49ff.) werden gedeckt durch die Erfahrung von Jesus her.

b) Weg Jesu. – Eine Analyse des Evangeliums ergibt fünf Stufen, in denen sich das dort bezeugte Geschehen als Inhalt unseres christlichen Lebens, aber auch unseres Glaubens an Jesus Christus und unserer kirchlichen Gemeinschaft enthüllt: wiederum Gottes Weg zu uns als unser Weg zu ihm und unser Weg zueinander und miteinander.

  1. Stufe: Jesus verkündet die Herrschaft Gottes, das Reich Gottes. Nicht mehr wir erreichen Gott, sondern er handelt, er dreht die Verhältnisse um. Was not tut, ist metanoia, Umkehr. Wir erreichen Gottes Handeln, indem wir unser Denken umdrehen lassen, nicht mehr von der Hypothese ausgehen, wie die Dinge wären, wenn Gott nicht wäre, sondern von der umgekehrten These: Wir leben so, daß unser Leben nur Sinn hat, wenn und weil Gott ist! Also: Entscheidung Gottes für uns – unsere Entscheidung für ihn.

  2. Stufe: Jesus verkündet nicht nur die Herrschaft Gottes, er ruft konkret Menschen, die in sein Verhältnis zum Vater, in seine Entscheidung für ihn bedingungslos eintreten. Nachfolge ist der Ort, an dem sich das Reich Gottes anfänglich verwirklicht. Diese Nachfolge heißt: Wir leben konkret auf Jesu Wort hin. Die Entscheidung für Gott wird zur Entschei- [59] dung für Jesus, zur Auslieferung ans konkrete Leben nach seinem Wort.

  3. Stufe: Die Ethik Jesu ist die Ethik der vorbehaltlosen Liebe. Sie ist aber nicht eine Ethik der Leistung, sondern einfach die Konsequenz daraus, daß Gott sein Reich, seine Herrschaft in Jesus anbrechen läßt. Wir sollen leben „wie im Himmel, so auf Erden“, vollkommen sein, wie der Vater im Himmel vollkommen ist, will sagen: die Weise, wie Gott gut ist und lauter ist, radikal in unser Gutsein und Lautersein übersetzen. Die Ethik des „Wie“ wird so zum Ort, an dem schon hier und jetzt etwas vom Endgültigen, von der Wirklichkeit, auf die wir hoffen, sichtbar wird.

  4. Stufe: Die Herrschaft Gottes, die in Jesus anbricht, kommt nicht geradlinig, sondern sie kommt im Kreuz. Erst hier wird die ganze Radikalität der Hingabe Jesu an den Vater, aber auch die Radikalität der Liebe Gottes zu uns sichtbar. Was sich andeutete in der Vollmacht, mit der Jesus sein Wort als die verbindliche Ansage und den verbindlichen Anspruch der Gottesherrschaft verkündet, bestätigt sich jetzt: Gott selber gibt sich, indem der Sohn sich für uns hingibt. In jedem Scheitern und Versagen, in allen Dunkelheiten und Rätseln, auch in der Schuld dieser Welt und unserer eigenen begegnen wir ihm, der alles das angenommen und in sich selber ausgetragen und so verwandelt hat.

[60] 5. Stufe: Der Gekreuzigte ist der Auferstandene, auferstanden zum Vater, aber auch zu uns, in unsere Mitte. Seine Liebe, die uns zwar immer wieder ans Kreuz führt, hat doch schon jetzt recht, und dieses Rechthaben, dieser ihr Sieg, geschieht darin, daß wir miteinander der lebendige Raum sind, in dem er sich der Welt erweisen kann. Sein Geist in uns und zwischen uns läßt ihn selbst in unserer Mitte lebendig sein.

Diese fünf Stufen treffen hinein in die Situation des jungen Menschen und helfen ihm, nicht nur sich, sondern auch sein Verhältnis zu Welt und Gesellschaft aus dem Evangelium zu gestalten. Herrschaft Gottes: Leben aus dem Ja Gottes zu uns und zur Welt, Sakrament dieses Ja Gottes sein. Nachfolge: Ausbruch aus der Isolierung und Anpassung in eine konkrete Gemeinschaft, Chance, lebendige Zellen zu bilden, durch die sowohl Kirche wie Gesellschaft zu erneuern sind; Antithese zu anonymen Einflüssen und gewaltsamen Ideologien, indem Jesu Wort neue Verbindlichkeit schafft. Ethik der vorbehaltlosen Liebe, Mühen um das göttliche „Wie“, durch das die Vollendung des Endes nicht vorweggenommen wird, durch das aber Kirche und Gesellschaft dennoch zum Zeichen der Hoffnung auf das Endgültige, zum Anfang des Endgültigen werden können. Mut zum Kreuz als Befähigung zur unverstellten Annahme des Negativen, als Impuls zur grenzenlosen Solidarität, [61] die aber nicht in Protest und Verbitterung mündet, sondern aus der liebenden Gemeinschaft mit dem Herrn zu einer Hoffnung wächst, die nie enttäuscht, Integration aller Erfahrungen ermöglicht. Leben mit dem Herrn in der Mitte als Finden jener Achse, die dem Leben, der Kirche, der Gesellschaft und der Welt ihre Mitte gibt.

Im Zeugnis Jesu, seines Weges wird das Zeugnis aller Zeugnisse erschlossen, die uns das neue Sehen und Leben aus seinem Geist nahebringen (vgl. S. 51f.).

c) Christsein als Weg des Lebens mit dem lebendigen Herrn. – Was von der Situation des jungen Menschen her den Sprung in die Ordnung der Nachfolge, ins Leben mit dem Wort des Herrn bedeutet (vgl. S. 52f.), das bedeutet von Jesus Christus her: Leben mit seiner Nähe, mit ihm, dem Nahen, Lebendigen, Gegenwärtigen, dort, wo er uns begegnet, in seiner Kirche.

Hintergrund: Er ist einer von uns, aber er ist es nicht deshalb, weil ihm nichts anderes übriggeblieben wäre – er ist „gekommen“. Hinter seinem ganzen Leben steht das Wort „für“. Er ist uns nahe, diese Nähe zum Menschen ist Grundzug seines Lebens. Aber sie ist nicht einfach Sympathie oder Freundschaft irgendeines aus der Menschheit zu den anderen, sondern in seinem Nahesein zu uns ist etwas [62] von Gott selbst ausgesagt, mehr noch: ist Gott selbst drinnen, ist Gott selbst uns ganz und gar nahegekommen. Diese Nähe geht bis dahin, daß er unser Äußerstes, unsern Tod und unsere Verlassenheit teilt, daß er von uns geht. Doch bei ihm ist solches Gehen von uns nicht bloß tragisches Geschick, sondern es ist Gabe, Gabe, die bei uns ankommt. Durch sein Gehen bleibt er uns nahe. In ihm ist nicht mehr wahr, daß alle Nähe nur das Vorspiel des Abschieds und der Trennung ist. In ihm allein ist diese traurigmachende, gerade den jungen Menschen traurig machende Enttäuschung überwunden, daß Nähe auf die Dauer nicht recht hat. Seine Nähe behält recht. Dies ist Ostern, dies ist sein wirkliches, ganzes, leibhaftiges Bei-uns-Bleiben – und sein Bleiben bei uns ist ein beständiges Zukommen auf uns, durch seinen Geist, in der Kirche. Die Grundnot, die Grundangst des jungen Menschen, daß Kommunikation wiederum in der Einsamkeit erstickt, ist darin überwunden. Christsein heißt leben mit dem, der lebt. Doch wo nun begegnet diese Nähe? Wo ist sie Weg in unsere Situation, auf dem wir eingeholt, selbst auf seinen Weg abgeholt werden!

Zunächst in seinem Wort. Wo sein Wort uns gesagt wird, wird das Wort eines Lebenden, das Wort von einem gesagt, der wirklich uns sieht, kennt, meint. Wir leben immer irgendein Wort. Meist ein [63] unausgesprochenes, etwa derart: Alles hat doch keinen Wert! oder: Irgendwie wird es schon weitergehen! Oft aber Worte einer undurchschauten Ideologie, Worte, die uns durch irgendeine anonyme Werbung oder einen heimlich mächtigen Einfluß suggeriert werden. Hier ist das Wort, das sich durchschauen läßt, das Wort, das uns Kommunikation mit dem ermöglicht, der es sagt. Die Erfahrung unzähliger junger Menschen und vieler Gruppen Jugendlicher bestätigt, daß hier eine Quelle echten Lebens aus dem Glauben ist. Das Wort Gottes stiftet gemeinsame Erfahrung, führt zueinander, deckt Hintergründe des eigenen Lebens auf, bringt zum Sprechen, zum Leben, zum Lieben, zum Weitersagen des Wortes. Aber wir dürfen dabei nicht vergessen, daß es ein zugesagtes Wort, ein selbst weitergesagtes Wort ist, eines, das es nicht gäbe, wenn es nicht die Kirche gäbe, in der es verkündet wird und in der auch die erste Verfassung dieses Wortes, in der Schrift, allererst geschehen ist. In seinem Wort mit der Kirche leben holt aus Engführungen, Fixierungen, Fanatisierungen heraus. In der Kirche mit seinem Wort leben führt aus einer Anonymität, Müdigkeit, Neutralität heraus. Fast alle großen Heiligen haben „ihr“ Wort gelebt, haben in einem Aspekt des Evangeliums das ganze gelebt. Sich im einzelnen Wort das ganze Evangelium zusagen lassen, das Evangelium in der Katholizität von Kirche hören und leben, dies ist ein [64] elementarer Weg der Nähe zu Jesus, seiner Nähe zu uns.

Er hat sich gegeben, und er bleibt in seinem Geben lebendig, bleibt als Gabe lebendig: Eucharistie. In der Eucharistie nicht nur die intensive Gemeinschaft erfahren und sich dabei an ihn erinnern, sondern sich ganz hineinholen lassen in seine Selbsthingabe an den Vater und für die anderen, sich hineinholen lassen in seine eigene Lebensbewegung, sich hineinholen lassen in die Einheit seines Leibes: dies ist bestimmt der Höhepunkt des Lebens mit dem lebendigen Herrn. Von hier aus läßt sich aber auch er als der Wirkende und Nahekommende, Kontaktstiftende in den anderen Sakramenten erschließen. Sie sind die Anschlußstellen, in denen sein Leben wirklich unser Leben wird, in denen er uns in seinen Weg so hineinholt, daß nicht nur wir aus eigener Kraft ihm nachgehen, sondern er in uns unsern Weg mitgeht. Er ist da in seiner Gabe, er ist aber auch da in seinem Geben. Er ist nicht nur gesagtes Wort und gegebene Gabe, er hat auch seine Sendung, sein Sagen, sein Geben an Menschen weitergegeben, hat sich Menschen anvertraut: Wie ihn der Vater gesandt hat, so sendet er Menschen. Jesus in der kirchlichen Autorität als eine Quelle seiner Nähe, als seine Weise, geschichtlich zu wirken, das gehört unabdingbar zum Verstehen der Nähe Gottes in Jesus und [65] Jesu bleibender Nähe bei der Welt hinzu. Keine Weise der Gegenwart Jesu ist befremdlicher, erscheint problematischer, der Jugend schwerer zu vermitteln als gerade diese. Und doch gehört es zur selben Logik der Nähe hinzu wie das Wort und wie das Sakrament der Eucharistie, daß er sich nicht zu gut war, sich den Fischern vom See Genezareth und dem Zöllner Matthäus anzuvertrauen und diese Bewegung fortzusetzen durch die Geschichte. Verständnis erwächst am ehesten dadurch, daß wir auf den provokatorischen Gehorsam der Heiligen schauen, die in vorbehaltloser Auslieferung freigesetzt wurden für ihren eigenen Auftrag, für ihre eigene Initiative, die sie aus dem Glauben neu in die Geschichte der Kirche jeweils einbrachten.

Jesus im Nächsten, in jedem, zumal im geringsten Bruder – dies liegt dem jungen Menschen wesentlich näher und ist doch nur die andere Seite desselben. Wer einen Menschenbruder verachtet, der verachtet jenen, der für jeden einzelnen gestorben ist. Die unverletzliche und unvergleichliche Würde des menschgewordenen Sohnes Gottes stellt sich hinter jeden, sie kommt in jedem Menschenantlitz und Menschenschicksal auf uns zu. Der für uns Mensch geworden ist, führt seine Kirche durch Menschen, die er sendet, und stellt unsere Liebe in Bewährung, indem sie gerufen ist, den Herrn im geringsten der Brüder zu erkennen.

[66] Wer glaubt und den Herrn liebt, in dem lebt der Geist des Herrn, in dem lebt der Herr. Christus in uns, das ist nochmals eine andere Seite desselben Geheimnisses. Inwendiger als ich lebt sein Ja zu mir, und wenn ich auf dieses Ja höre, wenn ich in diesem Ja das Ja Jesu zu allen entdecke und lebe, wenn ich in diesem Ja über meine Ängste, Launen und Wünsche hinauswachse, wenn ich im Licht dieses Ja meine Situation und meine Aufgabe sehe, dann lebe ich mit ihm. Zeichen der Echtheit dieses Lebens mit ihm in mir ist es freilich, daß ich nicht den Herrn in mir gegen den Herrn in der Kirche, den Herrn außer mir ausspiele. Eine besonders wichtige Quelle des Lebens mit dem Herrn: Jesus in der Mitte, Jesus in der Mitte derer, die in seinem Namen eins sind (vgl. Mt 18,20). So miteinander leben, daß er in der Mitte sein kann, so Ja sagen zu ihm und zueinander, daß Gemeinschaft zum Ort wird, an dem er sich erweisen kann, dies ist der Aufbau jener lebendigen Zellen, in denen Kirche allein sich zu erneuern und in der sie in jeder Situation zu überleben vermag. Hier wird das Zwischen, hier wird Gemeinschaft selbst zum Ort, an dem der Herr sich bezeugt. Für die Welt ist dies das entscheidende Zeugnis – entsprechend dem Neuen Gebot und dem Hohenpriesterlichen Gebet (vgl. Joh 13,34f; 17,11.21–23). In geistlichen Aufbrüchen und Bewegungen unserer Stunde gewinnt [67] die Verheißung Jesu, dort zu sein, wo wir in seinem Namen eins sind, an Leuchtkraft und Anziehungskraft. Hier werden das eigene Leben und die eigene Erfahrung zum Feld, auf dem das Leben mit dem lebendigen Herrn Gestalt gewinnt. Zeichen der Echtheit ist wiederum die Offenheit, nicht „seinen“ Jesus für sich behalten oder anderen aufdrängen zu wollen, sondern in der Offenheit vieler Zellen zueinander und zum Ganzen mit der communio die missio, mit der Intensität die Universalität, mit der Nähe Jesu seine Leidenschaft für alle, fürs Ganze zu verbinden.

d) Kirche als Weg. – Jungen Menschen den Weg zur Kirche zu erschließen, mit ihnen ihren Weg so gehen, daß darin Kirche und in der Kirche der Herr bei ihnen ankommt, dies ist die theologisch und anthropologisch entscheidende Aufgabe. Theologisch entscheidend: Erst in der Kirche ist die Alternative Gottes, der sich in Jesus uns ganz und gar verschenkt, wirklich da, erst in jener Entäußerung seiner selbst, die bis zur konkreten Gestalt der Kirche hinführt, ist das Maß seiner Liebe von uns voll erkannt und angenommen. Anthropologisch entscheidend: Universalität und Verbindlichkeit, spontaner Aufbruch und doch darin Ja zum Vorgegebenen und Ganzen als Bedingung dafür, wirklich Geschichte bauen, Zukunft der Welt verantworten zu können, hängen [68] daran, ob der kritische Abstand zur Kirche sich in liebende, wenn auch keineswegs bequeme Identifikation aufheben läßt.

Dies kann nur in einem integralen Sehen von Kirche geschehen, und dieses integrale Sehen und Verstehen umfaßt vier Wegschritte.

Einmal muß Kirche verstehbar werden als Weg Jesu zu uns. Er gibt sich in die Geschichte hinein, er nimmt Wege wie Wort, Sakrament, Amt, um sich mitzuteilen und je neu Menschen in seine Nachfolge zu rufen. „Wenn du es bist, dann sag, daß ich kommen soll!“ Diese Leidenschaft des Petrus für den Herrn, dieser Mut, das Boot des Gewohnten zu verlassen und auf dem See ihm entgegenzugehen (vgl. Mt 14,28), heißt heute Mut zur Kirche. Wenn Jesus es ist, der in der Kirche ruft, dann brauchen wir den Mut, uns auch auf eine fremde und schwer verständliche Kirche einzulassen. Damit ist aber bereits die zweite Dimension des Weges, der Kirche ist, bezeichnet: Aufbruch des je einzelnen, Kirche als unser Weg zu Jesus.

Kirche ist nicht ohne die Sendung und das, was dieser Sendung anvertraut ist. Kirche ereignet sich aber nicht ohne den gleichzeitigen Aufbruch von unten, das Wachstum jener Zellen, in denen der Geist Jesu spürbar, in denen die Liebe Jesu praktiziert, in denen der Herr inmitten der Einheit der Seinen gegenwärtig wird. Der konkrete Aufbruch zueinander [69] als Kirche, die Einlösung des Wortes des Tertullian und des hl. Bonaventura ist der dritte Wegschritt: Wo zwei oder drei in Jesu Namen versammelt sind, da ist Kirche!

Aber in diesem Aufbruch zueinander gilt es nicht nur, Nähe zu suchen und in der Nähe sich zu bergen, sondern auch Nähe zu stiften über alle Distanzen hinweg. Wie nach dem Epheserbrief (vgl. Eph 2) Juden und Griechen in derselben Gemeinde eins waren, so in der Kirche von heute Europäer und Menschen anderer Kulturen und Herkünfte. Die Kommunikation aller mit allen in der Kirche und das Ja zu ihrer weltumspannenden Einheit, nicht nur im Sinn gelegentlicher Begegnung, sondern im Sinn jenes lebendigen Austausches, der auch eine greifbare Mitte, ein „Herz“ in der Mitte hat, in dem das Ganze wohnt – diese vierte Dimension von Kirche ist gerade heute unabdingbar: Weg zueinander muß Weg in die Welt werden.

Gerade in dieser Vermittlung zwischen Tradition und personaler Entscheidung, zwischen lebendiger Zelle und universaler Einheit bekommt nicht nur die Kirche, sondern bekommt auch die Welt ihre Dimensionen, die Dimensionen Christi, die ihn beglaubigen und ausweisen als den, auf den die Jugend heute wartet.