Musik als Liturgie – Liturgie als Musik
Musik als Liturgie
Das wechselseitige Verhältnis von Liturgie und Musik soll zur Sprache kommen. Dann aber erscheint Musik als mehr denn nur als Bestandteil der Liturgie oder als Zusatz zur Liturgie, Musik soll aufgehen als Vollzug des Wesens von Liturgie. Dies jedoch kann Musik nur sein, wenn sie auch von sich her, in dem, was sie zur Musik macht, auf Liturgie hin bezogen, mit Liturgie verwandt ist. Nicht nur: Liturgie als Musik, sondern auch: Musik als Liturgie.
Setzen wir hier an, gehen wir nicht den scheinbar naheliegenden umgekehrten Weg, von einem theoretisch ausgewiesenen Liturgieverständnis her uns vorzutasten zur Musik. Wenn es uns gelingt, in der Musik als solcher eine Struktur aufzudecken, die hindrängt zu Liturgie, wird um so leichter nicht nur die theologische, sondern auch die anthropologische Bedeutung des Zusammenhangs von Musik und Liturgie sichtbar werden. Und das zielen wir mit unserer Reflexion an. Im spannungsvollen Ineinander von Musik und Liturgie soll die Entfremdung des Menschen heute gegenüber der Liturgie und der Weg einer neuen Synthese sichtbar werden.
Wie aber dann herangehen an das Phänomen Musik?
Musizieren, Musik zum Klingen bringen, Musik erfinden, aber auch Musik hören und etwas als Musik verstehen – das sind Möglichkeiten und Vollzüge des Menschen. Sehen wir zunächst einmal davon ab, ob nur des Menschen. Lassen wir es zunächst beiseite, was die Rede vom Lobgesang der Engel und vom Lobgesang der ganzen Schöpfung sagt, fragen wir fürs erste auch nicht nach der Parallele und dem Unterschied zwischen menschlicher Musik und dem Gesang etwa der Vögel. Eines jedenfalls ist deutlich: Musik hat es mit der Sinnenhaftigkeit des Menschen zu tun, aber auch mit seiner „Worthaftigkeit“. Der bloß unartikulierte Ausruf ist noch keine Musik. Das Wort hingegen läßt sich singen, und als gesungen ist es hervorgehoben, gesteigert, nicht weniger Wort, sondern anders und auf gewisse Weise mehr Wort. Und doch ist Musik und ist nicht einmal Singen allein dazu da, das Wort zu steigern. Es gibt, selbst und gerade dort, wo der Mensch nicht sich eines anderen Instrumentes als seiner eigenen Stimme bedient, jenes Jubilieren, für das Augustin die wohl unübertreffbare Formulierung gefunden hat: „Jubilum sonus quidam est significans cor parturire quod dicere non potest“, „Das Jubilieren ist ein Klang, der bezeichnet, daß das Herz jenes gebiert, was es nicht zu sagen vermag“.1 Und Augustin leitet auf diese Definition hin durch die Anspielung auf jene, die „bei der Ernte singen, im Weinberg oder bei irgendeinem sie tief bewegenden Tun, und wenn sie dann anfangen mit den Worten der Lieder vor Freude zu jubeln, dann sind sie wie voll Freude und können ihren Jubel nicht in Worte fassen. Sie verzichten dann auf die Silben und Worte und gehen über zum Jubeln in Tönen“.2