Theologie als Nachfolge
Nachfolge und Auferstehung
Die Notwendigkeit einer theologischen Logik hat sich uns aufgedrängt aus der Bestimmung der Theologie als reflektierter Nachfolge. In solcher Logik gibt es, von den drei in reflektierter Nachfolge miteinander verschlungenen Grundbewegungen her, einen einzigen springenden Punkt, der in der Tat auch immer wieder zum springenden Punkt theologischer Entwürfe wird: die Auferstehung. Ausgerechnet an der Auferstehung macht auch Bonaventura das Problem theologischer Logik ausdrücklich.1 Ehe wir uns seiner Aussage zuwenden, die für unsere heutige Fragestellung Überraschendes zutage bringen kann, wollen wir dieser Problemstellung selbst in einem knappen Aufriß nachgehen.
Das Evangelium wird erst in seiner „Veränderung“ durch die Nachfolge in seinen gültigen Urtext gehoben. Nachfolge wird aber zum Bekenntnis in der Folge der Auferstehung, und was geschichtlich von Anfang an das Zuerstbekannte im Bekenntnis der Nachfolge darstellt, ist die Auferstehung. In der Nachfolge werden menschliche Existenz und Welt ins Evangelium integriert, am Evangelium verifiziert. Der ursprüngliche Anspruch des Evangeliums, Botschaft des Heils, also der Integration von Mensch und Welt zu sein, schlägt sich nieder in der Verheißung der Teilhabe an der Auferstehung Christi. „Wenn wir nicht von den Toten auferstehen, dann ist auch Christus nicht von den Toten auferstanden“ (1 Kor 15, 16): auf diese paradoxe Formel bringt es das älteste Auferstehungszeugnis des Neuen Testaments. Die Nachfolge ist der Ort, um die Nachfolge selbst und ihre verifizierende und integrierende Kraft sowohl für das Evangelium wie auch für Mensch und Welt zu reflektieren. In der Sprache der Schrift: „Niemand kann sagen: Herr ist Jesus, außer im Heiligen Geist“ (1 Kor 12, 3). Der Geist, den jene empfangen, die sich Jesus anschließen, ist aber wiederum Frucht der Auferstehung, und das Bekenntnis, das aus diesem Geist wächst, ist als Bekenntnis des [86] Herrn genuin Bekenntnis der Auferstehung. Auferstehung ist also in der Tat der springende Punkt einer Logik reflektierter Nachfolge. Die Schwierigkeit, die dieser springende Punkt der Theologie macht, liegt in der Frage, auf welche Seite der polaren Beziehungen zwischen Evangelium und Nachfolge, Existenz und Jesus Christus, ursprünglich Geglaubtem und Selbstreflexion des Glaubens die Auferstehung nun zu stellen sei. Drei – wir dürfen sagen – Engführungen begegnen uns heute nicht selten in der theologischen Diskussion. Es geht hier nicht darum, die Position des einen oder anderen Theologen auf eine solche Engführung zu fixieren, sondern darum, Grundtendenzen faktischer Interpretation von Auferstehung im Feld und Umfeld der Theologie namhaft zu machen, die nach einer Alternative rufen. Einmal gibt es den Ausstoß des „historischen Jesus“ aus dem Kerygma, ein Anfangen der Christusbotschaft mit der Auferstehung, wobei das Vorösterliche nur Präludium, nur in sich selber undeutlicher oder unbedeutender Anlauf und Anlaß jener Geschichte des Glaubens ist, die erst mit der Auferstehung beginnt. Die nachösterliche Nachfolge ist erst Ort der Genese des Evangeliums; der Schwerpunkt des Evangeliums verlagert sich so aber – entgegen der Intention, das Theologische vom bloß Historischen reinzuhalten – ganz in die Existenz. Indem Auferstehung aus dem geschichtlichen Kontext ihres Vor und Nach wegbricht, rückt sie einzig hinein ins Kerygma, das die Existenz meint und in ihr sich bewährt. Nachfolge wird alles, aber sie droht gerade ihren Charakter als Nachfolge zu verlieren, Selbstexplikation des Daseins in einem Akt der Selbsttranszendenz zu werden. Der Punkt Auferstehung hört auf, kritischer Punkt zu sein, weil nachfolgende Existenz und ihre Interpretation der einzige Standort des theologischen Geschehens werden. Zum anderen gibt es die Reduktion auf den historischen Jesus, die Rücknahme auch der Nachfolge aufs Bewahrheiten und Umsetzen seiner Impulse zu Gottvertrauen und Menschenliebe in der Praxis. Auferstehung wird dann zu einem im Grunde verzichtbaren Interpretament dessen, was in Jesus Christus als zündende In- [87] itiative, als Anstoß von seiten Gottes her aufgebrochen ist. Nachfolge wird allein an den vorösterlichen „Urtext“ gewiesen, zur scheinbar aktualisierenden, im Grunde historisierenden, dennoch auch historisch frag-würdigen Rekonstruktion eines Entwurfs des vorösterlichen Jesus. Die genannten Spannungen, deren Schnittpunkt Auferstehung ist, werden aufgelöst, indem dieser Schnittpunkt zur reinen Selbstinterpretation der Nachfolge erklärt wird. Wenn so auch die beiden genannten Reduktionen sich voneinander zu unterscheiden scheinen – die eine konzentriert sich auf nachösterliche, die andere auf im Prinzip vorösterliche Nachfolge –, so laufen sie doch für die Auferstehung aufs selbe hinaus: sie wird in beiden Fällen letztlich zur Interpretation der eigenen Existenz. Schließlich gibt es aber auch die Rücknahme von Auferstehung in die Funktion eines bloßen Bindegliedes zwischen vorösterlichem und nachfolgendem Evangelium auf derselben geschichtlichen und existentiellen Ebene. Die Auferstehung ist unter den die Gottheit Jesu beweisenden Wundern das größte und gewichtigste, ihre Funktion beschränkt sich auf die Beglaubigung einer Botschaft, die im Grunde nur per accidens der Nachfolge bedarf und nur per accidens auch noch Heilsbedeutung für den Menschen hat. Die Dramatik der Übersetzung vom Evangelium zur Verkündigung aus der Nachfolge, von der Existenz zu ihrer Verifizierung am Evangelium in geschehender Nachfolge wird zur Statik eines von bestimmten Prämissen aus kontrollierbaren Bestandes von Offenbarungstatsachen reduziert. Das scheint als die „gläubigste“, es kann aber leicht auch die am meisten bloß rationalistische Weise des Umgangs mit der Auferstehung werden. Eine eigene theologische Logik wird überflüssig. Das gilt auch dort, wo zur Erkenntnis der Auferstehung sowie des vor- und nachösterlichen Jesus ein Glaubenslicht postuliert wird.
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Hexaemeron I, 25–30. ↩︎