Theologie als Nachfolge

Nachfolge und Gottesfrage

Theologie als reflektierte Nachfolge, das ist heute nicht im vorhinein ein eindeutiger Begriff. Nachfolge Jesu als Mitgehen seines Weges, sein Weg selbst als Aufschließung einer letzten Tiefendimension menschlichen Daseins oder einer Sinnerfüllung in der Konsequenz radikal gelebter Menschlichkeit, solches wird leicht bejaht. Kritisch wird die Sache jedoch dort, wo Nachfolge auf der Buchstäblichkeit des Gottbezuges Jesu besteht, wo sie dem widerstreitet, daß man das Woraufhin des Weges Jesu, den Vater, hermeneutisch „vermittelt“, daß man die Härte des personalen, partnerischen, in Anrede und Angeredetwerden sich bewährenden Gottes durch Interpretation auf Seinstiefe, Sinn, unsäglichen Ursprung „lindert“. Im Sinne von Bonaventura gewinnt Nachfolge aber nur darin ihre Identität, daß der göttliche Gott ihr Ziel und ihr Grund und daß auch die Reflexion dieser Nachfolge Reflexion auf diesen göttlichen Gott zu ist. Freilich, auch abgesehen von Bonaventura, gilt: Nachfolge übersetzt ihren Urtext nur dann ins Eigene, wenn sie von der Direktheit dieses Gottes und zu diesem Gott nichts hinwegnimmt, wenn sie die Konkretheit und Ärgerlichkeit dieses Gottes fürs Denken ihrem eigenen Denken, ihrer eigenen Reflexion zumutet. Die Glaubwürdigkeit des Christentums und der Theologie hängt letztlich gerade heute daran, daß sie sich die Gottesfrage und die Botschaft von Gott nicht erspart und nicht erleichtert, daß dieser Gott die Maße des Denkens sprengt, indem er sie beansprucht, und zugleich das Denken erfüllt und integriert, indem er es über- [135] steigt. Alle theologische Rede bleibt unverbindlich, ja sie bleibt Selbstverschleierung, wo die Fragen ausgeklammert werden: Ist der Gott, von dem ihr sprecht, Wirklichkeit? Wie kommt der Mensch vor diese Wirklichkeit? Was meint die Wirklichkeit, die ihr Gott nennt? Bonaventura stellt sich im Ganzen seines Denkens diesen Fragen, und er läßt keinen Zweifel daran aufkommen, in welchem Sinn er sie beantwortet. Es ist indessen in einem doppelten Sinn wichtig und interessant, auf die Gedanken und Aussagen zu achten, in denen Bonaventura die Frage nach Gott, den Weg der Gotteserkenntnis und die Botschaft vom einen und dreifaltigen Gott direkt thematisiert. Denn einmal erhält gerade hier sein philosophisches und theologisches Denken ein besonders deutliches Eigenprofil, zum anderen gehören die Position Bonaventuras und ihre Entfaltung zum spekulativ Bedeutsamsten, was in der ganzen Theologiegeschichte über philosophische Gotteserkenntnis, über ihr Verhältnis zur Theologie, über den Zugang des Denkens zur Trinität und über das Verständnis des trinitarischen Gottes gesagt wurde. Der Ansatzpunkt Bonaventuras sowohl in der Frage nach der Wirklichkeit Gottes als auch in der Frage danach, wie diese Wirklichkeit Gott sich auslege, ist jeweils ein doppelter. Daß Gott Wirklichkeit ist und nicht bloß eine Hypothese, das ist Voraussetzung, die das Was und Wie bonaventuranischen Denkens im Ganzen und an jeder Stelle bestimmt. Er spricht leidenschaftlich von seinem Gott, er spricht in Anrufung und Lobpreisung, in Zeugnis, Beschwörung und Begeisterung von ihm, auch wo sein Gedanke philosophische Bahnen zieht. So spricht nur einer, der von der Wirklichkeit dessen, was er zur Sprache bringt, überzeugt, ja ergriffen ist. Woher aber rührt diese Grundüberzeugung? Sie rührt aus dem Innestehen in einem Gespräch, das vom konkreten Ruf dieses Gottes eröffnet ist. Wer mich ruft und darin mich selbst ganz einfordert, über mich hinausfordert und alles als das, was es ist, auf dem Weg solcher Einforderung unverkürzt und unverstellt in meinen Blick, in meinen Vollzug einbringt, der ist wirklich, der ist die Wirklichkeit. Die Wirklich- [136] keit Gottes springt so für Bonaventura heraus aus der Positivität seines Sich-Offenbarens. Das ist der eine Ansatzpunkt. Der andere ist ein streng philosophischer: Bonaventura geht vom Denken, von dem aus, was als sein Erstes das Denken in Gang bringt. Man könnte von einer radikalen „Rationalität“ der Gotteserkenntnis bei ihm sprechen, sofern man darunter verstände: direktes, ja unmittelbares, notwendiges Selbstverständnis der Ratio, des Denkens auf Gott hin. Die Spannung zwischen diesen beiden Ansatzpunkten liegt offen. Bei genauerem Nachsehen wird sie sich vermitteln. Die entsprechende Spannung begegnet uns auch zwischen den beiden Ansatzpunkten Bonaventuras, um den Begriff, das Verständnis, die „Inhaltlichkeit“ Gottes zu gewinnen. Maßgebend ist für ihn wiederum das, was Gott selbst von sich sagt. Die letzte Verankerung auch der philosophischen Gottesnamen des Einen und des Seienden, nicht nur die Bestimmung Gottes als Trinität, als Liebe, als „der allein Gute“ (Lk 18, 19), gewinnt Bonaventura aus dem Text der Offenbarungsurkunden. Umgekehrt bemüht er aber nicht bloß für den Erweis dessen, daß Gott reines Sein und absolute Einheit ist, sondern auch für die Plausibilität dessen, daß er als der Gute der Dreifaltige ist, das spekulative Denken. Auch hier macht er selbst wiederum, wie wir noch sehen werden, die Vermittlung der konträren Ansatzpunkte ausdrücklich.