Thesen zu einer trinitarischen Ontologie

Nachtrag: Konsequenzen einer trinitarischen Ontologie

  1. Philosophische Konsequenzen

Ein Maßnehmen des Denkens am trinitarischen Modell, ein Ernstmachen mit jener Analogie des Denkens und Seins, die durchs Sich-Geben des trinitarischen Urgeheimnisses ans Geschaffene vermittelt wird: dies bringt neues Licht in philosophische Probleme, die einer deduktiven oder konstruktiven, aber auch einer bloß induktiven oder deskriptiven Ontologie schwerlich lösbar sind.

Diese These könnte sich bewähren etwa im Bedenken des gegenseitigen Einschlusses von Analysis und Synthesis, von Sein und Geschehen, von Bleiben und Ereignis, von Freiheit und Notwendigkeit.

Wenn – es sei wiederholt – Liebe das Bleibende, wenn Von-sich-weg das Zu-sich, wenn Entäußerung der Aufgang des Wesens ist, dann gehören die je unableitbaren, sich scheinbar ausschließenden Pole zueinander, ohne sich gegenseitig zu nivellieren. Dieses Zueinander und Auseinander weist sich freilich nur im Vollzug aus, nur in der verbalen Beziehentlichkeit, nicht in der substantivischen Isolierung.

Greifen wir, wenigstens andeutungsweise, die ge-[62]nannten Stichworte nochmals auf. Analytische Sätze sind im Grunde Tautologien. Das Prädikat sagt dem Subjekt gegenüber nichts Neues. Daß aber analytische Sätze überhaupt möglich sind – letztlich: daß Denken Denken und Sein Sein ist –, dies kann dem Denken zur Überraschung, zum Wunder werden. Man könnte sagen: Das ist nun einmal so, das ist eine unabweisliche Gegebenheit. Aber woher gibt sich solche Gegebenheit? In der Analysis zeigt sich also eine sie gebende Ursynthesis an.

Haben dann also doch jene recht, die alle Denk- und Seinsnotwendigkeit zurückführen auf einen Akt sie verfügender göttlicher Willkür? Dies gerade nicht. Die Freiheit Gottes unter die Notwendigkeiten des Seins und des Denkens zu stellen und sie als verfügende Willkür über sie zu stellen, bringt das Denken gleichermaßen in Aporien. Wenn aber Sich-Geben der reine Anfang ist, dann lösen sich falsche Alternativen. Sich-Geben ist Aufbruch, ist Weg-Sein von sich selbst. Darin aber hat Sich-Geben gerade seine Identität, darin bleibt es. Sein Verschenken ist sein Wahren. Die Neuheit (Freiheit, Synthesis) ist Selbigkeit (Notwendigkeit, Analysis). Der phänomenologisch abgelesene Begriff von Identität als Steigerung löst sich ein. Nur in der Selbigkeit kann Neuheit sich bewähren; Selbigkeit aber hat ihren Ursprung im Ereignis, in der Neuheit des Sich-Gebens.

Der junge Schelling hat den genialen Anlauf unter-[63]nommen, die Einheit von Freiheit und Notwendigkeit am Phänomen der Kunst zu bedenken. Das Kunstwerk ist Kunstwerk durch seine innere Stimmigkeit, durch seine Notwendigkeit. Diese Notwendigkeit ist die Notwendigkeit der zur Gestalt gerinnenden Freiheit künstlerischer Produktion. Diese Freiheit ist die Freiheit, eine überzeugende, eine notwendige Gestalt zu erbringen. Läßt sich indessen der gegenseitige Einschluß von Freiheit und Notwendigkeit nicht radikaler, vom Ursprung her, an der Phänomenalität des Sich-Gebens ablesen?

Es versteht sich von selbst, daß aus solchem gegenseitigen Einschluß von Freiheit und Notwendigkeit gerade nicht eine „Freiheit“ Gottes resultiert, das Identitätsgesetz zu überspringen, oder eine „Notwendigkeit“ Gottes, Nicht-Göttliches, Schöpfung sein zu lassen. Die Freiheit des Sich-Gebens ist innertrinitarisch reine, notwendige Einheit in sich selbst und ist zugleich Freiheit über sich selbst hinaus, Freiheit, Nicht-Notwendiges sein zu lassen, es also nicht notwendig sein zu lassen.

Sich-Geben als der reine Anfang, als das unbedingte Ereignis: dieser Denkansatz zeigt seine höchste Konsequenz oder erste Ursprünglichkeit in den theologischen Grundaussagen über den trinitarischen Gott. Nirgendwo ist die Radikalität des Über-sich-hinaus und gerade darin des In-sich-Seins so anschaubar wie in der Lehre von den innertrinitarischen Hervor-[64]gängen. Erinnert sei hier an Bonaventuras Gedanke von Gott als der höchsten Gutheit, deren reines In-sich-Bleiben reine Selbstverströmung ist.

Von dieser Mitte unbedingten Sich-Gebens her bestätigt und klärt sich der gegenseitige Einschluß von Analysis und Synthesis, Sein und Geschehen, Bleiben und Ereignis, Freiheit und Notwendigkeit.

  1. Theologische Konsequenzen

In den philosophischen deuten sich die theologischen Konsequenzen an, die ihrerseits den Schlüssel zur Hand gaben, um zu philosophisch neuem Verständnis vorzudringen.

Unveränderlichkeit Gottes und Geschichte Gottes – die Dramatik zwischen unendlicher und endlicher Freiheit – die Entsprechung zwischen ewiger Zeugung und Inkarnation und zugleich das In- und Auseinander des Göttlichen und Menschlichen in der hypostatischen Union werden im Widerspiel des Sich-Gebens, in der aus ihm selber entspringenden Analogie deutbar.

Hier müssen wir uns noch mehr auf knappe Hinweise beschränken. Wenn alle Analysis in der Ursynthesis des Sich-Gebens gründet, wenn alle Notwendigkeit Auslegung der sie tragenden, in Gang bringenden Freiheit ist, dann ist im göttlichen, im [65] trinitarischen Selbstsein das Andere, das Geschaffene ebenso unnotwendig wie möglich, und dann ist die Schöpfung ebensosehr vom göttlichen Selbstsein je schon überholt wie ein Neues übers göttliche Selbstsein hinaus. Diese scheinbare Dialektik ist nur Auslegung des Sich-Gebens selbst als des Begründenden der analogia entis.

Die höchste Zuspitzung erfahren diese Verhältnisse dort, wo Gott seinem Anderen nicht nur gibt, es selbst zu sein, sondern wo er sich selbst in sein Anderes hineingibt: in der Inkarnation und in ihrer Konsequenz bis zum Karsamstag und bis zu Ostern und Pfingsten.

Wo Gott sich ganz in sein Anderes gibt, ist es konsequent, daß er sich gerade in endliche Freiheit hineingibt. Man kann sagen: Der Monotheletismus ist die sublimste Verkennung des Ernstes der Inkarnation. Wenn der Sinn von Inkarnation das Sich-Geben Gottes bis zum äußersten ist, dann ist die menschliche Freiheit Jesu die exponierteste endliche Freiheit, die es gibt, will sagen jene, deren freier Gehorsam, deren freies Sich-Geben an den Vater das unselbstverständlichste Sich-Geben bedeutet. Aber gerade hier ist es kein Widerspruch, daß dieses Sich-Geben zugleich in der unfehlbaren Eindeutigkeit der göttlichen Freiheit, des göttlichen Sich-Gebens innesteht. Die höchste Dramatik und die reinste Gelöstheit schlagen ineins.

[66] Und weiter wird deutlich, daß Offenbarung Gottes ihr Äußerstes erreicht in der – ohne diesen Zusammenhang oft künstlich und befremdlich erscheinenden – Idiomenkommunikation. Das Menschliche des Menschen Jesus wird zur direktesten Aussage über Gott, weil er dort am meisten als er selber da ist, wo er am meisten der Sich-Gebende, der Sich-Entäußernde ist.

  1. Konsequenzen für den Vollzug des Denkens, Sprechens, Daseins

Trinitarische Ontologie ist nicht nur Denkinhalt, sondern auch Denkvollzug. Sie denken heißt: mit dem Denken, mit dem Sprechen, somit aber mit dem Dasein selbst einsteigen in ihren Rhythmus.

Ich kann nur das sehen, was ich mir geben lasse; ich kann nur das sehen, dem ich mich gebe. Sehen selbst geschieht nur im Zugleich von gebendem Entwurf und empfangendem Verstehen – welches Zugleich kein Kompromiß, sondern das Neue und Eine des Sehens ist. Der geistige Vollzug steht so auf den drei Linien des Von-mir-weg, des Auf-mich-zu, des umgreifenden und unterscheidenden Ineinander dieser beiden. Die Dynamik des Denkens und des Seins heißt: je annehmen, je anfangen, je verbinden.

Diese drei – im trinitarischen Geschehen sich er-[67]schließenden – Positionen werden die Konstituentien eines jeden Vollzugs. Nicht nur meines Vollzugs, sondern auch des Vollzugs, der als Denken, Sprechen und Sein das Ich überschreitet: Vollzug des Wir, Vollzug des Zwischen.

Wohl hat jeder einzelne Vollzug in sich alle genannten Momente zu vereinen, doch wächst im gemeinsamen Vollzug den Partnern eine differenzierende Rolle zu: Sprechende Initiative, hörende Antwort oder vermittelndes Inspirieren sind unterschiedene Weisen, je das Ganze des Gesprächs zu sein.

Hier deutet sich eine Alternative an zu jenen Konzepten von Gesellschaft, die in ihr nur die Summe isolierter einzelner oder ein kollektives Subjekt oder das Produkt einer bloß funktionalen Verschränkung erblicken. Neue Ontologie drängt nach einer neuen Gesellschaft. Diese wird sich unterscheiden von einer – wie auch immer verfaßten – totalitären Gesellschaft, in welcher das Miteinander aller nur zum Instrument einer Ideologie – und wäre es die Ideologie der totalen Gesellschaft selbst – verfremdet wird. Sie wird sich aber nicht weniger unterscheiden von einer Gesellschaft, die, vermeintlich auf der Basis der Freiheit, doch nicht weiterführt als bis zur Synchronisierung der Einsamkeiten und Egoismen; die Beziehung zwischen den Individuen drohte sich hier im bloßen Nebeneinander und Aneinander-vorbei, in bloßer Sachlichkeit und Funktionalität zu erschöpfen – da-[68]mit aber wäre Freiheit selber ausgehöhlt, die doch nur in der Beziehung lebt. Das „trinitarische Modell“ allein ermöglicht es, daß jeder einzelne auf seine Weise Ursprung der Gesellschaft ist und die Gesellschaft doch mehr ist als die Summe der einzelnen, daß die Gesellschaft ein eines, gemeinsames Leben hat und dieses doch das Leben eines jeden einzelnen ist. Ich, der Andere und das Ganze werden je zum Ausgang, zum Ziel und zur Mitte der Bewegung.

Alles in der Analogie zur Trinität zu sehen und zu gestalten – das könnte wie unverbindliche Spielerei oder wie enthusiastische Anmaßung, könnte als Spiel des Göttlichen oder mit dem Göttlichen erscheinen, wo dieses doch mit dem Menschlichen nicht vermischt werden darf. Wenn aber mit der neuen Sicht der Analogie Ernst gemacht wird, wenn sie als die Verfremdung verstanden wird, welche der Preis der Übereignung ist, dann wahrt das „Spiel“ zugleich seine Grenzen und seinen Ernst.

  1. Die Einheit von Theorie, Spiritualität, Gemeinschaft

Trinitarische Ontologie als Vollzug und im Vollzug könnte uns einen Weg weisen, der über das notvoll erfahrene Auseinander von Theorie, persönlicher Praxis und gemeinschaftlich-gesellschaftlicher Ge-[69]stalt hinausführt. Die Theorie einer trinitarischen Ontologie hat ihre kongruente Spiritualität zur Bedingung und zur Konsequenz. Doch nicht nur ich, der einzelne, bin davon geprägt und gefordert, sondern ich bin zugleich über mich hinausgewiesen in ein neues Verhältnis zum Du, zum Wir, zur Gesellschaft und allen ihren Bereichen. Im Kontext trinitarischer Ontologie könnte etwas wachsen, wie es angedeutet war in der Synthese der großen Spiritualitäten in der Kirche: sie entbanden in einem ihre Theologie und Philosophie, ihre Weise zu beten und zu leben, und ihre Kraft, Gemeinschaft zu gestalten und in die Gesellschaft zu wirken.

Eine solche Synthese wäre die fällige Antwort des unterscheidend Christlichen auf die Täuschungen und Enttäuschungen, die das gesellschaftliche und kirchliche Klima am Ende der Neuzeit bestimmen. Allerdings: das Postulat bewirkt noch nicht, was es fordert, aber es kann dafür öffnen, hellsichtig und bereit zu werden für Zeichen und Ansätze.

Konturen der Spiritualität, der Theorie und der Gemeinschaft, die einer neuen, einer trinitarischen Ontologie entsprechen, deuten sich an. Zum Ansatz der Spiritualität, zur tragenden „Kurzformel“ des Glaubens, auf die hin die ganze Fülle des zu Glaubenden gelesen wird, heißt es: „Wir haben geglaubt an die Liebe“ (1 Jo 4,16). Liebe, die Gott selber ist, die in Jesus sich selber gibt und die uns den Geist [70] gibt, damit auch wir uns geben, ist das Fundament.

Solche Spiritualität ist kontemplativ, denn sie achtet in allem auf die Spuren dieser Liebe, begegnet ihr in allem und zumal im Dunkelsten und Befremdlichsten: im Kreuz. Dort hat sich die Liebe am meisten geoffenbart, am meisten gegeben. Sich-Geben ist nicht nur der Grund, sondern auch das Maß. Kontemplation heißt eben nicht registrierendes Zuschauen, sondern Anverwandlung. Was sich zu sehen gibt, ist die Liebe, und was zu sehen vermag, ist wiederum nur die Liebe, die sich gibt. Und Liebe gibt sich gerade am lautersten, gibt sich vorbehaltlos mit Maria unter dem Kreuz.

Solche Spiritualität ist in ihrer Kontemplation zugleich aktiv, säkular. Sie ist Dienst. Sie stimmt ein in Gottes Sich-Geben, das an den Rand, das bis zum äußersten geht. Am Kreuz geschieht nicht nur die Antwort auf Gottes Liebe, sondern die Gemeinschaft mit Gottes Liebe zur Welt. „Da er die Seinen liebte, liebte er sie bis zum äußersten“ (Jo 13,1). – An uns aber ist es, so zu lieben, wie er uns geliebt hat (vgl. Jo 15,12).

Solche Spiritualität ist in ihrer Kontemplation und Aktion kommunitär. Sich-Geben ist nicht nur ihre vertikale Richtung nach oben und nach unten. Sich-Geben ist auch ihre horizontale Richtung: Zwischen uns, in unserer Gemeinschaft soll das Leben Gottes gelebt werden, soll es Welt werden, soll es Raum wer-[71]den, in dem der Herr wohnt, damit die Welt glauben kann (vgl. Joh 17,21 ff; Mt 18,20).

Der Spiritualität entspricht die Theorie, die Theologie.

Sie ist traditionell. Denn wenn Gott sich gegeben hat, dann kann sie nichts von der traditio dieses Sich-Gebens zu Boden fallen lassen. In allem muß sie das Eine, Gottes Sich-Geben, verdanken und aufschließen.

Solche Theologie ist zugleich aktuell, mundan. Sie muß mit Gott dahin blicken, wohin seine Liebe blickt, wohin er sich gibt und geben will: an diese Menschen, an diese Welt.

Solche Theologie ist wiederum kommunitär, ekklesial. Sie lebt nicht vom Einfall des einzelnen, sondern vom Sich-Geben und Empfangen des einzelnen, sie lebt vom Miteinander-Leben und Miteinander-Sehen. Sie ist nicht nur kirchlich in der Vorsicht, doch ja nicht der Lehre der Kirche zu widersprechen; sie ist aktiv kirchlich als Ausdruck gelebter Einheit und als Eröffnung gelebter Einheit.

Gemeinschaft selbst – in der Kirche, aber auch in der Gesellschaft – tritt unter dasselbe Gesetz.

Ihr Leben ist nicht ins Belieben und Verfügen ihrer Mitglieder gestellt. Sie kennt Maßstäbe, sie kennt Autorität, sie kennt Verbindlichkeit. Der Christ weiß und erfährt, daß das Maß aller Gemeinschaft die Liebe dessen ist, der sich bis zum äußersten gegeben hat und dessen Liebe äußerster Anspruch ist.

[72] Solche Gemeinschaft ist keine Anspruchs- und Konsumgemeinschaft, sondern Gemeinschaft des Dienstes. Die höchste Würde, das höchste Recht, die höchste Initiative eines jeden, seine Unvertretbarkeit heißt: als erster lieben, als erster dienen.

Solche Gemeinschaft ist kein Zweckverband, sondern sie ist das Leben selbst. Denn wenn dieses Leben nach dem Maß trinitarischen Sich-Gebens geschieht, dann wird aller Verlust zum Gewinn, alles Sich-Verlassen zum Sich-Finden – freilich nur durchs Kreuz hindurch. Der einzelne und das Ganze überwinden ihre Konkurrenz und werden in ihrer gegenseitigen Beziehung zum Raum, in dem göttliches Leben sich bezeugt, ja welthaft, vorläufig erfahrbar wird.