Franz von Baaders philosophischer Gedanke der Schöpfung

Natur in Gott: Voraussetzung und Ursprung des Anderen als Anderen

Sein und Freiheit des Anderen verdanken sich der Idee, doch seine durch sie zum Sein gebrachte und in die Alleinigkeit Gottes eingebrachte Andersheit läßt sich aus ihr als solche nicht erklären. Das mögliche Andere des Unbedingten ist durch die Idee allein zwar je schon eingeholt, als Anderes und somit als möglich aber durch die Idee allein noch gar nicht vorgestellt.

Baader bemerkt: „Dieses Einsenken der Idee ist etwas ganz anderes als der reale schaffende Prozeß.“1 Seine positive Ermöglichung steht im unablöslichen Zusammenhang mit der Idee, erschöpft sich jedoch nicht in ihr. Wohl „ist die Theorie des Hervorbringens eigentlich jene des Bildes (imago)“2. Doch das „Bild“ – hier meint Baader damit das Abbild, die „Copei“3 – entsteht gerade nicht durch das Emanieren der Idea allein.

Sowenig der Strahl der Sonne durch Ausstrahlen allein seinen Reflex erzeugt, sondern des aufnehmenden „Spiegelwesens“4 dazu bedarf, und sowenig der Künstler durch seine Idee allein das Kunstwerk erbildet, sondern hierzu das ihm vorgegebene „Substrat“ oder „Zeug für seine Produktion“5 ergreifen muß, vermag allein daraus, daß ist, was ist, das bedingte Seiende zu entstehen.

Daß ist, was ist, und die darin geborgene Fülle der Möglichkeiten bedarf ebenfalls je eines „Substrates“, das fähig ist, die sich ihm zustrahlende Fülle des Bildes – ob im Ganzen oder im Bruchteil – zu „fahen“6 und so kraft dieses Bildes, kraft dessen, daß ist, was ist, zu sein. „Das Entstehen und Bestehen des Bildes hängt also von der Erzeugung und von dem Bestande des ihm entsprechenden Spiegelwesens ab.“7

[123] Baader versteht unter „Substrat“ und „Spiegelwesen“ nicht „Materie“ im engeren Sinn8, sondern einfachhin den „Träger“ des Bildes9, die Stätte, in der das Bild erst zum Aufscheinen kommt. Selbst für den „reinen Geist“ bedeutet die Idee noch nicht das Dasein seiner selbst als eines Anderen zu Gott; sofern er selbst ist, steht auch er im Verhältnis zu seiner wesentlichen Form10, vollziehend ist er, was er ist, und darin erst wird, was er ist, in ihm „lebhaft“ und „leibhaft“11.

So muß überall „das Bild sowohl vom Original als vom Träger des Bildes unterschieden und darf also weder mit ihm konfundiert, noch dürfen beide von einander getrennt werden. Moses, nach ihm die älteren Theologen und Jacob Boehme, verstehen darum unter dem Worte ,Schaffen‘ die actuatio substantiae (der Kreatur als des Trägers des Bildes, womit indes keine gegen Gott absolute Substantialität gemeint ist) und unterscheiden hiervon das Inspirieren des Bildes.“12

Baader will mit dem Ausdruck „Substrat“ oder „Träger“ nicht die Vorstellung dinghaften Bestehens in sich selbst verbunden wissen, sondern ge­rade das Gegenteil: die Bewegung dessen, was sein Sein außerhalb seiner selbst hat, der treibenden Unruhe, die von ihrem „Bild“ sowohl erregt als auch gestillt wird, oder, wie er in seiner „Lehre vom Bild“ betont, des „Begehrens“ als der sich der „Lust“ einbildenden („imaginierenden“) und sie so ausbildenden Kraft13.

Begehren ist hier als die anziehende Gegenkraft zum Bilde gedacht, das sich grenzenlos mitteilt und ausbreitet, aber nicht zum „Stand“ kommt, wenn es nicht gebunden und ergriffen wird. Begehren wird im Anziehen des Bildes zu dessen Träger; das dem Bild und dem des Bildes Begehrenden, dem ohne Bild Nichtigen, gemeinsame „Ist“ steht nur in der Konkretion von Bild und Begehren. „Anima est, ubi amat.“14

Ja das sich als Träger des Bildes diesem lassende Begehren konstituiert nicht nur das Entstehen und Bestehen des Abbildes, das Bild muß im Ursprung selbst, aus dem es erstrahlt und der in ihm erscheint, je zuvor seine erste Stätte haben. Wohl ist Sein eines Ursprungs, ja Sein jedes Seienden je zugleich mit seinem Erscheinen, mit seinem Im-Bilde-Sein. Doch nur das ist wahrhaft im Bilde, was ebenso zugleich „hinter“ seinem Bild steht, was nicht sich erschöpfend in ihm aufgeht. Was nun dem Ursprung (dem Seienden) gewährt, sich im Erscheinen nicht zu verlieren, sondern im Bilde sich als sich selbst durchzuhalten, ist sein eigenes Verhältnis, sein Gegenübersein zum Bild, von dem aus das Bild „begehrend“ ergriffen wird, in dem es also seine anfängliche Stätte gewinnt.

Die Mitteilung oder „selbstische Manifestation“, die Weise also, wie ein freier Ursprung außerhalb seiner selbst erscheint, bringt den bezeichneten Verhalt am schärfsten zum Vorschein. Sie setzt mein begehrendes Gegen- [124] übersein zu meiner Idee voraus, damit ich sie und mich in ihr mitteilen und mitteilen wollen könne; setzt mein begehrendes Gegenübersein zum Partner oder aufnehmenden „Stoff“ der Mitteilung voraus, damit ich mich in ihm und so ihn selbst wollen könne; setzt schließlich sein Gegenübersein, seine Disponibilität zu mir hin voraus, damit er mich in sich einlassen und in sich sein lassen könne.

So kommt dem „Begehren“ in der Entstehung des Abbildes eines Ursprungs mehrfache Funktion zu. Der Ursprung selbst ist nur in seinem Erscheinen, sein Bild ist also wahrhaft das seine nur, wenn er selbst sich begehrend zu seinem Bilde verhält. Das im Erscheinen über den Ursprung hinaus erstrahlende Bild geht im Außerhalb nur auf, wenn und sofern dieses sich begehrend zu ihm verhält. Und schließlich kann die Wendung des selbstseiend freien Ursprungs zu seinem Außerhalb nur erfolgen aus demselben begehrenden Verhältnis des Ursprungs zu seinem Bild; der Künstler kommt nur auf seine Idee als auf die Idee seines Anderen, des Kunstwerks, weil er zu seiner Idee „ein Verhältnis“ hat, sie „mag“15.

Während „der Mensch, wenn er produzieren will, ein bereits vorhandenes Substrat als Träger seiner Idee ergreifen muß“16, besteht Gottes schaffende Äußerung darin, daß er dieses seiner Idee bedürfende Substrat allererst setzt. Doch auch hier, bei der eigentlichen „Schöpfung aus Nichts“, erblickt Baader in der Natur, in der Begierde das vermittelnde Moment. „Hätte man in der Theologie diesen Übergang eines nur magischen Gedankens durch die Begierde hindurch beachtet, so würde man sich über die Schöpfung aus Nichts nicht die Köpfe zerbrochen haben.“17

Seinlassen eines „Anderen“ ist also nicht ohne das Verhältnis des Mögens zur eigenen Idee, nicht ohne ihren durch die Aufhebung allen Begehrens und Bedürfens vermittelten Besitz als unbedingten Selbstbesitz zu denken. Der Überstieg zum „Anderen“ hat bei der Produktion und Mitteilung eines endlichen Ursprungs freilich eine seiner Wurzeln je auch im „unaufhebbaren Rest“ des im Endlichen sich nie stillenden und so je weitertreibenden Begehrens und Bedürfens. Bei Gott ist solcher „Rest“ hingegen wesenhaft ausgeschlossen. Bleibt um so härter die Frage, wieso die restlose Erfülltheit und Aufgehobenheit allen Begehrens und Bedürfens in ihm selbst und allein ihm gleichwohl die Erschaffbarkeit seines Anderen vorstellen, wie die Dimension des Anderen aus seiner sich genügenden Alleinigkeit aufbrechen, ihr zugehören könne.

In der unbedingten Konkretion von Idee und Natur, Fülle und Bedürfen, weiß Gott sich als seine unendliche Seligkeit, als den sich unbedingt Erfüllenden und unbedingt von sich Erfüllten. Seine Erfülltheit, sein restlos aufgehobenes Bedürfen (Natur) macht die Fülle (Idee) ihm offenbar, deren Reichtum ohne den anfänglich und unbedingt aufgehobenen Bezug der Natur zu ihr nur „in potentia“, im „Glast“18 in ihr läge „als ein Nichts“19. Die Natur ist so Bedingung für das Offenbarsein der Idee, sie [125] folgt nach der Logik des Geschehens aus der Idee, damit aus ihr wiederum die Offenbarkeit der Idee und des Ursprungs in der Idee folge20. Hierbei nun wird nicht nur die Idee selbst, sondern durch sie und mit ihr auch die Natur offenbar. Indem der Überfluß am Bedürfnis sich selbst findet, findet er zugleich das Bedürfnis21. Da dieses Bedürfen in Gott restlos aufgehoben und an seinem Aufgehobensein die Unerschöpflichkeit des göttlichen Überflusses offenbar ist, muß zugleich jede Dimension des unendlichen Bedürfens offenbar sein, die, als in Gott erfüllt, eben seine Unerschöpflichkeit darstellt. Also muß in Gottes „Herrlichkeit“ in sich selbst die freie Möglichkeit des Anderen sichtbar werden, in dessen Sein Gott durch seine Idee herrlich zu sein vermag, ohne in sich selbst herrlicher zu werden, als er es für sich allein schon ist; gerade dies ist seine Herrlichkeit.

Der „Ort“ im Selbstvollzug des unbedingten Ursprungs, an dem die positive Möglichkeit des Anderen erscheint, zeigt sich somit an in der unbedingten Konkretion von aufhebender Idee und aufgehobener Natur22 Natur ist, wie ausgeführt, das in der Positivität seiner Ausgeschlossenheit dem Unbedingten anwesende Bedürfnis seiner selbst, seine „Leidenschaft“ um sich selbst, die, unbedingt in ihm selbst gestillt, in ihm und für ihn nur als die unbedingte Heiterkeit und Lauterkeit seiner selbst „empfindlich“ ist. Daß diese dennoch Aufgehobensein der Leidenschaft bedeutet, gewahrt Baader am „Blitz“ des „Gerichtes“, der den zerschmettert, der sich zum Versuch der Bestreitung erhebt23. Erfüllte Leidenschaft ist je zugleich Steigerung und Aufgehobenheit ihrer selbst24, Identität von Leidenschaft und Gelassenheit. Wahre Gelassenheit bekundet sich als aufgehobene Leidenschaft und umgekehrt. Die Gelassenheit ist nur gelassen, weil sie in der Einheit mit dem einen unbedingt Erfüllenden steht, das sich darin als unbedingt gesucht erweist. Dieses aber gibt gerade die Freiheit nicht nur von allem anderen, sondern auch zu allem anderen. Gelassenheit macht unabhängig und verschließt doch nicht, sondern öffnet und bringt das Andere frei zum Vorschein, das der unerfüllt mit sich Beschäftigte überhaupt nicht wahrnimmt oder auf das er in der Unfreiheit des Bedürfens angewiesen ist, ohne es so an sich selbst gewahren und freilassen zu können. Die unbedingte Selbsterfülltheit und Freiheit Gottes in der Konkretion von Idee und Natur läßt ihn so gerade auf seine Idee als die Idee auch des Anderen kommen.

Von der sich Gott lassenden, „frei“ gewordenen Kreatur sagt Baader daher den paradoxen Satz: „Was nun in sich vollendet ist (sibi sufficiens), sucht nichts weiter, zurück oder vorwärts, sondern nur in und für sich zu bleiben, und eine solche Kreatur bleibt in und für sich, indem sie sich mit- [126] teilt und in der Freude und Seligkeit ihrer Vollendung, somit frei, ausbreitet, was sie früher (als unvollendet) nicht konnte.“25

Auf Gott selbst und sein Schaffenkönnen angewendet: „Der Begriff des Absoluten ist der des Einen, Unum, nicht der abstrakten Unitas, außer oder neben dem also nichts anderes sein, dem man als dem Unvermischbaren nichts hinzusetzen, von dem man als dem Unteilbaren, als dem Individuum par excellence, nichts hinwegnehmen kann; denn was von jedem einzelnen Genie gilt, daß es sich nur in dem Verhältnisse wahrhaft gemein­samen und mitteilen kann, in welchem es seine Eigenheit erhält, dasselbe gilt im vollkommensten Maße vom einen absoluten Geiste als Génie Centre, der nämlich letzteres nur als Unité Centre ist und bleibt.“26 . . . „Der Allereinzigste ist der Gemeinsamste und umgekehrt.“27

Woher aber das „Viele“ als solches und in seiner notwendigen gegenseitigen Beschränkung? Solche „Vielheit“ ist doch in der „Gemeinsamung“ mitausgesagt.

„Natur“ tritt, abstrahiert von ihrer radikalen Aufgehobenheit in Gott, als Begehren und Bedürfen hervor. Solches Begehren oder Bedürfen aber ist in sich allein das schlechthin „Unganze“ 28. Baader nennt daher das „Centrum Naturae“ das „Zentrum der Vervielfältigung“29. Wie ist das zu verstehen?

Das Unganze an sich selbst lebt zwar vom unablöslichen Bezug auf das Ganze, ohne doch je aus sich selbst das Ganze werden zu können, da Ganzheit als qualitative Bestimmung nie durch Komposition erreicht wird. Sie stellt dem von sich her Unganzen gegenüber ein Unendliches dar, auf welches hin das Unganze - was Bedürfen doch ist – sich steigernd nur je Endliches zuwege bringt, wenn auch endlos Endliches. Das Bedürfen an sich selbst erwirkt statt des bedurften Unendlichen nur das Endlose; denn das Bedürfen ist zwar unendlich, unendlich aber nur als Bedürfen, als unganz und endlich.

Am Beispiel des „Genies“, das Baader gebraucht: Der Künstler lebt und wirkt aus der Ganzheit und Unerschöpflichkeit seiner Idee. Das bloße Begehren, ein echter Künstler zu sein, bringt nie dieses ihm gegenüber Unendliche und doch Einfache des wahren Kunstwerkes zustande; wenn es aber wirkliches und insofern „unendliches“ Begehren des Kunstwerkes ist, wird seine Anstrengung eine „unendliche“ sein und doch aus sich allein nur die endlose Reihe der versagenden Versuche, im Grunde also: nichts zeitigen.

Baader ordnet daher der „Natur“ als „Sucht“ oder „Begierde“ die „Zweizahl“ zu30, die es aus sich allein nie zur Eins bringen kann, welche Eins ihrerseits dagegen „durch alle mit ihr vorgenommenen arithmetischen Operationen immer nur Eins bleibt“31. „Natura ab origine dyas ... Quaerit se natura, non invenit.“32

[127] Das wesentliche Ent-zwei-Sein bloßer Sucht mit ihrem Gesuchten und daher mit sich selbst kann nur durch den „Blitz“ gelöst werden, durch den die Zweiheit aufhebenden unkonstruierbaren „Einfall“ der begehrten Einheit. Diese bedient sich, ja bedarf ihrerseits zur Selbstoffenbarung des „Blitzes“ und also der in ihm aufgehobenen Zwei der „Natur“, der Begierde33. Denn indem „Jacob Boehme diese Natur als indigentia libertatis (gratiae), das Feuer als indigentia luminis definiert, heißt er ebensowohl die Frei­heit eine indigentia naturae, das Licht eine indigentia ignis“, und es wäre ein „Fehler der Abstraktion“, zu übersehen, daß „Überfluß“ und „Bedürfnis“ gegenseitig aufeinander angewiesen sind 34. Sowenig die unendliche Unganzheit des Bedürfens und Begehrens allein zur Unendlichkeit des Bedurften und Begehrten führte, wäre die Unendlichkeit des Bedurften und Begehrten für sich selbst, wenn sie sich nicht mit derselben unendlichen Leidenschaft des Begehrens und Bedürfens ergriffe. Am erwähnten Beispiel betrachtet: Das Genie „vermag“ nur, was es hat, wenn es „mag“, was es hat35.

Nur das in Begeisterung oder Gelassenheit aufgehobene Bedürfen der Idee macht sie ihm frei darstellbar. Als unaufgehoben und unerfüllt äußert sich das Bedürfen in der notwendigen Vielfalt der Versuche, die angestrebte Idee einzuholen; als aufgehoben ist diese Vielfalt eingeholt in die Einheit und Einzigkeit des gelungenen Werkes, das sowohl in sich, in seiner „Einfachheit“ als „Unauflöslichkeit“36, gegliedert und entschieden ist, als auch außerhalb seiner selbst die Vervielfältigung nicht aus-, sondern einschließt. Nur dann kann der Künstler ganz, was er kann, wenn er es auf einmal kann und zugleich doch nicht nur einmal kann; und doch ist alles, was er kann, nur Eines, und wirkt er in allem, was er wirkt, nur Eines, und dieses Eine als solches ist sein eigentliches und einziges Werk, von dem die vielen Werke je nur Abglanz sind. Gleichwohl mindert der Abglanz nicht den Glanz, sondern weist auf ihn und nicht auf sich.

Entsprechend erblickt Baader in der – von der Natur aus ergriffenen – Idee als solcher „das alleinige und vollendete, realisierte Werk in und vor Gott“37, in welchem die Unbedingtheit und Einmaligkeit Gottes als sie selbst an sich selbst erscheint. Vom Geschöpf gilt dagegen: „Alles, was folglich nicht diese Einheit selbst ist, was also nicht ist und doch ist, kann nur eine Negation, ein Minus, eine Diminution sein.“38 Und doch verherrlicht Gott seine Idee in der Schöpfung, wie Baader nicht müde wird zu betonen39.

Das Bedürfen in Gott bedarf als unendlich in der Erfüllung aufgehoben nicht der unendlich-endlosen Äußerung: diese ist als überholt jedoch von dem einen und unendlichen Kunstwerk der „Idee in und vor Gott“ gleichwohl sowenig unmöglich oder sinnlos gemacht, wie dem Künstler, der [128] alles gegeben und sich doch nicht verausgabt hat, die Zugabe unmöglich wird. Denn die Endlosigkeit des Endlichen, in welche, des Bedurften aus sich allein ohnmächtig, die Unendlichkeit des abstrakten Bedürfens umschlägt, ist zwar durch das Einmal der erfüllenden Unendlichkeit überflüssig, als überflüssig aber gerade präsent und somit Möglichkeit. Die Oberflüssigkeit des Anderen zeigt ebenso das Selbstgenügen Gottes und seine Unabhängigkeit vom Anderen wie seine positive Freiheit zu ihm an – ohne daß diese freilich so „errechnet“ wäre; sie bleibt das „Wunder“ und muß es bleiben.

Das in die Idee verschlungene „Centrum Naturae“, in welchem die „nur zählende“ Eins Gottes sich als ungezählt und unzählbar selber zählt, bestätigt sich so als „Zentrum der Vervielfältigung“, in dem die nur zählende Eins nicht bloß sich, sondern an sich selbst auch die unzähligen gezählten Zahlen des Seienden zu zählen vermag.

Schöpfung wird von Baader daher bezeichnet als „Partikularisierung des Naturprinzips“40. Nicht daß Gott die Natur als das „Substrat“ seiner Idee und somit sich selbst zerbräche und die Geschöpfe „Stücke“ Gottes wären – diese Vorstellung stände im schärfsten Gegensatz zu Baaders leitendem Anliegen41. Vielmehr kann die in Gott in unbedingte Einmaligkeit aufgehobene indigentia sui außerhalb seiner selbst den Überfluß nur offenbaren, indem sie diese im begrenzten Substrat, der begrenzten Faßkraft des je einzelnen, an sich allein unganzen Seienden zum Erscheinen bringt. Von den im oben erläuterten Sinne analogen Verhältnissen des Organismus und seiner Glieder sagt Baader in ausdrücklicher Hinsicht auf die Schöpfung, „daß zwar das eine zeugende A sich jedem einzelnen Gliede a, b, c in seiner Totalität, obschon nur in samlichem Zustande, eingibt, daß aber jedes der letzteren vermöge seiner bestimmten Rezeptivität als gleichsam ein einzelner Nenner (denominator) des A nur einen bestimmten Teil (gleichsam Farbe) dieses A aufnimmt. Dieser Nenner ist das, was man die Zahl in Bezug auf die Monas nennen muß.“42


  1. SpD 1,8 VIII 81. ↩︎

  2. RPh 15 I 186. ↩︎

  3. Ebd. ↩︎

  4. SpD 1,10 Anhang „Zur Lehre vom Bilde“ VIII 96; Natur als „zweiter“ Spiegel: XII 100. ↩︎

  5. SpD 1,9 VIII 86. ↩︎

  6. Vgl. SpD 1,10 Anhang VIII 96. ↩︎

  7. Ebd. ↩︎

  8. Vgl. Anm. 111. ↩︎

  9. SpD 1,10 Anhang VIII 95. ↩︎

  10. Siehe Baaders Auseinandersetzung mit der Engellehre des Thomas von Aquin, besonders XIV 213 f.; vgl. XVI 161 „Engel“. ↩︎

  11. Siehe XIV 466 f. ↩︎

  12. SpD 1,10 Anhang VIII 95. ↩︎

  13. Vgl. SpD 1,10 Anhang VIII 96. ↩︎

  14. Vgl. XVI 74 „Anima est ubi amat“. ↩︎

  15. Vgl. SpD 5,2 IX 174 Anm. 1. ↩︎

  16. SpD 1,8 VIII 83; vgl. SpD 1,9 VIII 85 Anm. ↩︎

  17. SpD 1,8 VIII 80. ↩︎

  18. RPh 15 I 186. ↩︎

  19. RPh 15 I 189. ↩︎

  20. Vgl. SpD 1,8 VIII 76 f. Anm. 2; Hegel IX 302 f. ↩︎

  21. X 121. ↩︎

  22. Schöpfung nur denkbar im Bezug auf Gottes äußeres Sein: SpD 1,8 VIII 78; FC 3,6 II 246; FC 3,9 II 255; FC 4,8 II 288; FC 4,17 II 306; FC 6,7 II 402 f.; III 327. ↩︎

  23. Siehe z. B. Blitz II 44. ↩︎

  24. Vgl. die Gleichzeitigkeit von „Aufgang des Lichtes“ aus dem „Feuer“ mit der „Wassererzeugung“ (Blitz II 42). ↩︎

  25. SpD 1,9 VIII 88 f. ↩︎

  26. FC 5,20 II 347 f. ↩︎

  27. RPh 20 I 205. ↩︎

  28. FC 5,20 II 348. ↩︎

  29. X 103. ↩︎

  30. FC 5,20 II 348. ↩︎

  31. FC 1,23 II 183; vgl. EG 3 VII 162. ↩︎

  32. Vers 3 IV 402; vgl. SpD 5,5 IX 191 f. ↩︎

  33. Vgl. Blitz II 35-41. ↩︎

  34. Siehe FC 5,20 II 348. ↩︎

  35. Vgl. SpD 5,2 IX 174 Anm. 1. ↩︎

  36. Vgl. MM 9 XIII 199. ↩︎

  37. RPh 15 I 187. ↩︎

  38. FC 5,20 II 348. ↩︎

  39. Vgl. z.B. „Über eine bleibende und universelle Geisterscheinung hienieden“ (1833) IV 209–220; FC 3,9 f. 255 ff. ↩︎

  40. FC 1,10 II 165; vgl. FC 6,7 II 403. ↩︎

  41. Vgl. z. B. RPh 23 I 215; Segen 1 Zusatz 6 VII 89 f.; Segen 2 Zusatz 13 VII 106. ↩︎

  42. II 6. ↩︎