Gemeinschaft des Zeugnisses: Wandlungen im kirchlichen Institutionswesen
Neue Formen von Gemeinschaft*
Zuerst soll auf etwas hingewiesen werden, was scheinbar am wenigsten hiermit zu tun hat: auf neue Formen von Gemeinschaften und Bewegungen innerhalb der Kirche, welche die Gestalt der Kirche als solche nicht unmittelbar betreffen. Doch gerade das, was in der Kirche und um der Kirche willen Menschen zu neuen Aktivitäten und Zusammenschlüssen bewegt, hat mit dem Selbstverständnis der Kirche und mit ihrer geschichtlichen und gesellschaftlich wirksamen und wirklichen Gestalt zu tun.
Es ist hier zu erinnern einmal an das Entstehen von apostolischen und geistlichen Gruppen und Bewegungen, die in neuer Weise die Nähe der Kirche zur Welt darstellen: Die bisherigen Formen von Verbänden und Gruppen schlossen sich weithin einer naturständischen oder beruflichen Formation des Kirchenvolkes oder einem spezifischen Ideal, besonders prägenden Gestalten einer bestimmten Spiritualität, an. Mehr und mehr entstehen heutzutage jedoch andersartige Zusammenschlüsse, die nach „außen“ blicken, auf die Situation, die in der konkreten Umwelt dieser sich zusammenschließenden Christen gegeben ist und auf die sich das apostolische Wirken der Kirche erstrecken muß, wenn anders es bei der wirklichen Welt, beim Menschen in dieser wirklichen Welt ankommen soll, wenn also die Kirche für die Welt und für den Menschen in ihr da sein will. Durch diese Aussage werden weder Wert und Recht der bisherigen Organisationsformen bestritten – eine wahrhaft geschichtliche Entwicklung kann nicht nur konservieren, kann aber auch nicht nur eines durchs andere ablösen –, noch wird übersehen, daß eine solche Orientierung an der Welt und ihrem Milieu auch schon bislang immer wieder große und gesellschaft- [122] lich wirksame Zeugnisse hervorbrachte. Die neue Grundorientierung auf den Dienst an der sich wandelnden Welt tritt indessen deutlich hervor.
Wir sprachen vom „apostolischen“ Dasein für die Welt; doch viele der neuen Zusammenschlüsse und Bewegungen würden das Wort „apostolisch“ wohl nur mit zögerndem Bedacht für sich in Anspruch nehmen. Apostolat nimmt sich selbst im allgemeinen Bewußtsein wacher Christen mehr und mehr aus einer organisierenden Ausdrücklichkeit in die, allerdings nicht weniger engagierte Form eines solidarischen Daseins inmitten der Welt und für die Welt zurück. Darin wird indessen auch eine neue spirituelle Grundrichtung sichtbar, die in neuen Bewegungen und Gruppen unserer Tage sich immer deutlicher durchsetzt: Es gibt heute weniger die Spiritualität bestimmter, besonderer Leitbilder, Ideen und Werte, gleichwohl aber eine neue Spiritualität. Sie kann als Spiritualität der Kirche bezeichnet werden, und als solche hat sie, in verschiedenartiger Ausprägung, doch fast durchgängig zwei leitende Komponenten: Erstens die „Armut“ der Kirche, will sagen: ihr Dasein nicht für sich, sondern für die vielen, ihre Verbundenheit mit allem Menschlichen und gerade mit den extremen Situationen menschlicher Gefährdung und Not; und das erfordert weithin den Verzicht auf selbstsicheres Verfügen eigener Mittel; zweitens die „Gemeinschaft“ als Grundweise christlichen Daseins, das Miteinandersein als die Stätte, an der, durchaus nicht ohne die Meditation und ihre Einsamkeit, sich die Nähe Gottes ereignet und schenkt. Wie es einmal formuliert wurde: Wir haben nicht die Zeit der großen Heiligen, sondern die Zeit des „allein Heiligen“, der aber dort für die Welt und in der Kirche gegenwärtig ist, wo die Menschen in seiner Liebe sich versammeln und ihr eigenes Ich und ihre eigene Heiligkeit in das gemein- [123] schaftliche Dasein füreinander und auf ihn hin verbergen.1
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Vgl. Lubich, Chiara: Bis wir alle eins sein werden, München 1967, 88f. ↩︎