Der Himmel ist zwischen uns

Neue Gesellschaft

Nicht nur der junge Mensch, alle Menschen sind auf der Suche nach der neuen Gesellschaft. Wer nur verliebt ist in sich selbst, angenagelt an sich selbst, ist der schon je Zukurzgekommene. Eine bloß durch kluge Gesetze und verbriefte Rechte sanktionierte Einsamkeit ist dem Menschen unerträglich. Unerträglich aber auch das Kollektiv, das ihn aufschluckt und zum Baustein jener Zukunft degradiert, die entweder nie stattfindet oder, wenn sie stattfindet, ihn zuvor schon verbraucht hat. Das einsame Subjekt, gleichviel ob es einzelner heißt oder Gesellschaft, geht an sich selbst zugrunde. Die Alternative heißt: Jesus in der Mitte. Wo er ist, da kommt es auf jeden einzelnen an. Da muss jeder sich ganz geben, und so wird sich jeder ganz gegeben. Dabei aber bleibt er nicht allein. Er findet Gemeinschaft, in der er über sich hinauskommt und doch nicht verloren geht, in der seine Persönlichkeit ganz gewahrt ist und doch nicht auf sich selbst fixiert bleibt.

Gesellschaft ist heute Weltgesellschaft. Die Spannung zwischen einzelnem und Kollektiv wiederholt sich auf Weltebene in der Spannung zwischen Nationen bzw. Machtblöcken und der Menschheit. Die beiden Gefahren sind: Egalisierung oder mörderische Konkurrenz. Die Alternative heißt wiederum: Jesus in der Mitte. Diesmal in der Mitte der Völker und der Kulturen. Wo mir dein Land so wichtig ist wie das meine, deine Kultur so kostbar ist wie meine, da [94] bahne ich den Weg, dass Jesus in der Mitte der Welt maßgebend wird. Wir werden nicht gleichgeschaltet, aber wir haben einander im Blick und im Herzen, haben die Welt im Blick und im Herzen. Und so gehören unsere Welten zusammen, ohne unterzugehen in einer neutralen Welt. Die ganze Welt wird mehr eins und vielfältiger zugleich.

Ein bloßes Wunschbild, das die Unvollendbarkeit der Geschichte vergisst? Gerade wir Christen dürfen nicht meinen, das Reich Gottes auf die Erde zaubern zu können. Der Herr hat denen, die alles verlassen, um ihm zu folgen, das Hundertfältige versprochen – freilich unter Verfolgung (vgl. Mk 10,30). So vermessen es wäre, die vollkommene Welt, das Glück für alle, die heile Zukunft der Menschheit herstellen zu wollen, so kleingläubig wäre es, dieses Hundertfache hier in der Geschichte auszuschlagen. Wo zwei oder drei wirklich anfangen, mit Jesus in ihrer Mitte zu leben, da werden sich um die zwei oder drei bald zweihundert oder dreihundert versammeln, und die Kette solcher Explosion wird sich fortsetzen. Und wenn wir daran denken, dass unter den je wenigen der Herr der Geschichte selbst gegenwärtig ist, dann werden wir ihm die Macht nicht absprechen können, mit uns und unter uns Geschichte zu machen. Nicht nur Geschichte der Spiritualität und nicht nur Geschichte der Kirche. Auch Geschichte, die sich in Gesellschaft und Welt hinein auswirkt. Wie gesagt, unter Verfolgung. Wie gesagt, mit dem Risiko der Freiheit des Menschen, die der Herr in seiner Liebe nicht überspielt. Und zudem keineswegs so, dass wir die Stunde bestimmen können, da er aus seiner Vollmacht das Hundertfache geben wird.

An uns ist daher die Gelassenheit, die sich in der Stunde der Wirren und der Bedrängnisse nicht die Hoffnung und nicht den Mut zum nächsten Schritt nehmen lässt. Wir haben nur [95] den Augenblick zu leben, jeweils den einen Augenblick. Zwar müssen wir planen, aber unser Planen ist nur ein Angebot an ihn, und unsere Sicherheit liegt nicht im Kapital, das wir in Händen haben, sondern allein in der Zusage, die er uns gibt.

Soweit aber an uns der Augenblick liegt, heißt der Augenblick: anfangen. Anfangen in allen Bereichen. An den Schulen und Universitäten kann Jesus in der Mitte der Lehrer sein. In unseren Fabriken, Schalterhallen und Büros kann Jesus in der Mitte der Meister sein. In den Parlamenten kann er das Licht sein für die Entscheidung, in den Kliniken kann er sich über die Kranken beugen, in den Konzerthallen kann er den Ton angeben. Das wird leise geschehen, zunächst nur da und dort. Aber wo wir anfangen, schlägt sein Anfang durch in unsere Zeit. Wo wir den Augenblick mit ihm leben, macht er mit uns seine Zukunft.

Die Welt ist zwischen uns. Und wenn in vielen kleinen Zwischen er selbst zugegen ist, dann wandelt sich nicht nur der Lebensraum zwischen einzelnen. Vielmehr hebt in aller Vorläufigkeit das endgültige Jetzt schon an: Der Himmel ist zwischen uns.