Neuer Ansatz in Sicht?

„Neue Innerlichkeit“

Die Impulse der sechziger Jahre wirken weiter, in ihnen ist eine Aufgabe formuliert, von der wir uns nicht zurückziehen können. Und doch kommt es nicht von ungefähr, daß inzwischen die Zeichen des allgemeinen Interesses bereits wieder anders stehen. Wo der Mensch glaubt, seine Zukunft machen zu können, wo er sich selbst ganz hineingibt, aber auch ganz hinein verplant [16] in den Dienst am Fortschritt, wo er der Evolution zutraut, daß sie seine Träume und Sehnsüchte einlöst, wo er sich selbst ganz und gar von der Gesellschaft her und auf sie hin versteht, da tritt bald Erschöpfung und Enttäuschung ein, da droht der Wettlauf um die Zukunft zum Leerlauf zu werden, da bricht sich die Erkenntnis Bahn, daß es „menschliche Strukturen“ im Grunde nicht gibt, wenn nicht der Mensch selbst durch anderes als Strukturen das Menschliche wahrt. Die noch so edle gemeinsame Anstrengung überanstrengt und läßt am Ende den Menschen allein. Wohin läuft alles? Was ist erreicht, wenn alles erreicht ist? Welchen Sinn hat das Je-mehr der Entwicklung? Wo bleibt der Mensch, das Ich und das Du, wenn je nur das Morgen und nie das Heute zählt?

Der Mensch hat den Eindruck, er sei krank, und er sucht diese seine Krankheit zu kurieren. Er hat den Eindruck, sich selbst zu entgehen, und er sucht den Weg zu sich, den Weg in die eigene Tiefe. Der Mensch fühlt sich ungeborgen, und statt der großen weltweiten Gesellschaft sucht er den kleinen Kreis, die Gruppe, die ihm Heimat gewährt. Der neue Stellenwert von Psychologie und Psychotherapie, von Gruppendynamik und Sensitivitytraining, die Methoden zur Förderung von Spontaneität und Kreativität, die unterschiedlichen Wege zu Meditation und Sammlung, der Hunger nach Leben und Fest, das Bunte und Melancholische, das unser Leben heute begleitet: dies alles zeigt die Wende an, die sich in den letzten Jahren unversehens begab. Viele fragen: Wann kommt die nächste Welle, was ist die nächste Welle?

Nun, Grenzen deuten sich schon an: Kann der Weg in die Tiefe nicht auch Flucht vor dem konkreten Dienst in der Welt, kann der Weg in sich selbst hinein nicht auch Rückzug auf sich selbst, Verschließung ins eigene Ich sein? [17] Es wäre jedoch müßig, Prophet spielen zu wollen. Die Weiterentwicklung läßt sich nicht ohne weiteres absehen, noch weniger vorausplanen. Wer angesichts dieser Entwicklung nervös würde, ob ihm das Glücksspiel gelingt, immer Wellenreiter zu sein, jeden Trend schon an der Spitze eingeholt zu haben, der würde dem gar nicht ganz gerecht, was im aufregenden Wellenspiel sich ablösender Tendenzen in Wirklichkeit geschieht: Hier zeigt sich doch eine Unruhe an, die mehr sucht, als was sie jeweils erreicht. Wir dürfen den Menschen nicht enttäuschen, indem wir uns ihm nur vordergründig anpassen; sein Hunger geht im Grunde nicht darauf, immer etwas anderes zu bekommen, sondern darauf, mehr zu bekommen, Größeres, das, wovon sich leben läßt.

Eine Pastoral des bloßen Gegensteuerns, um durch Kurskorrekturen jede Einseitigkeit auszugleichen, wäre nicht minder problematisch. Denn die Unruhe und der Hunger wollen mehr als nur Balance, als nur Richtigkeit.

Die Trends also Trends sein lassen, sich mit der Wahrheit an sich, sich mit dem Wesentlichen an sich, mit dem immer selben Evangelium begnügen? Allen alles werden – dieser Rat des Paulus weist in eine andere Richtung. Man kann nicht den Menschen „an sich“ ernst nehmen, sondern nur den Menschen so wie er ist.

Dann aber muß noch tiefer hineingefragt werden in die Situation. Was sagt das rasche Nacheinander gegenläufiger Tendenzen vom Menschen, von der Gesellschaft, von unserer Zeit?