Das Zentralkomitee der deutschen Katholiken und die Diözesen

Neue Sicht kirchlicher Einheit

Im II. Vatikanischen Konzil stellte sich auf neue und eindrucksvolle Weise die Einheit der Gesamtkirche dar. Noch nie zuvor waren die verschiedenartigen „Welten“ innerhalb der Kirche, die verschiedenen kulturellen, geistigen und religiösen Traditionen, die nach Kontinenten und sozialen Bedingungen unterschiedlichen Mentalitäten und Spiritualitäten so unmittelbar und umfassend miteinander konfrontiert. Aus dieser Fülle trat dennoch ein gemeinsamer Stil und Zug konziliaren Wollens in der Weltkirche hervor. Diese Aussage gilt, auch wenn verschieden schnell verschieden geartete Konsequenzen in verschiedenen Teilkirchen aus demselben Impuls des Konzils erwachsen sind. Gleichwohl kann man mehr denn je von einer „gemeinsamen Situation“ der Weltkirche sprechen.

Die im Konzil dokumentierte gesamtkirchliche Einheit trägt freilich neue, andere Züge als jene, die man sich zuvor weithin unter diesem Titel vorgestellt hatte. Es ist eben eine Einheit, die aus dem Dialog der unterschiedlichen Partner herauswächst, welche die Kirchen verschiedener Weltregionen sind. Es ist Einheit, welche ungeheure Spannungen einschließt und sie fürs Ganze fruchtbar macht. Einheit ist nicht mehr Resultat einer vom Zentrum allein sich nach außen verbreitenden, alles gleichförmig machenden Bewegung, sondern sie geschieht in doppelter, gegenläufiger Bewegung: in der Bewegung von der Mitte her, vom sichtbar und gestalthaft das Ganze verbindenden Zentrum her, aber auch von der Peripherie, vom Leben des Glaubens und der Liebe am bestimmten Ort, in der bestimmten Gemeinde her. So betont das Konzil gerade die innere Vielfalt des Lebens der Kirche, und dies in mehrfacher Richtung. Es spricht vom Recht und Rang der unterschiedlichen Traditionen innerhalb der Einheit der Kirche, es [98] spricht von der Bedeutung der Ortskirche, des einzelnen Bistums und der Gemeinde im Bistum, und es spricht von der Vielfalt der Charismen und Dienste, die überall, auf jeder Ebene kirchlichen Lebens, zu dessen Reichtum gehören und Elemente seiner Einheit sind.1 Der Rhythmus kirchlichen Lebens erhält als Richtmaß die Orientierung des Einzelnen am Gesamten, des Gesamten am Einzelnen. So gewinnt das, was im einzelnen, vor Ort geschieht, Bedeutung und Rang fürs Gesamte, das seinerseits jedoch mehr ist als die bloße Summe oder das bloße Produkt der einzelnen Glieder.

In der Tat ist es eine der nahezu notwendigen „Krisen“, die sich im Vollzug und in der Weiterführung des Konzils in der Kirche einstellen, daß heute auf vielfache Weise um das gemäße Verhältnis von Teilkirche und Gesamtkirche gerungen wird. „Quantitative“ und exklusive Lösungen sind im Grunde von Anfang an zum Scheitern bestimmt. Der Versuch einer möglichst durchgängigen zentralistischen Regelung des kirchlichen Lebens und das bloße Streben danach, möglichst viel in die Alleinzuständigkeit der einzelnen Teilkirche hineinzuverlagern, bedeuten gleichermaßen eine Verkürzung des Problems. Es geht darum, in der Eigenständigkeit der Teilkirche und in der Einheit der Gesamtkirche nicht Gegensätze, sondern miteinander kommunizierende Größen zu sehen. So entspricht es allein dem oft mißbrauchten und doch nicht ohne Grund führend gewordenen Modell des Gespräches: Gespräch ist nur dort, wo zwar jeder zu Wort kommt, aber alle, aufeinander hörend, auf das Eine hören; anders gewendet: Gespräch ist dort, wo zwar alle sich aneinander, an eine gemeinsame Ordnung im Hören aufs eine Wort binden, wo aber gerade dadurch alle dazu freigesetzt werden, ihr eigenes Wort zu sagen, an dem so freilich nicht nur das Recht und Gewicht eigener Meinung, sondern die hörende Verantwortung fürs Ganze mithängt. Jedem Partner fällt sein Wort, sein Beitrag zu, und doch „gehört“ jedem Partner nicht nur ein Teil des Gesprächs, sondern das ganze Gespräch.


  1. Vgl. z. B. Lumen Gentium Nr. 12, 13. ↩︎