Musik als Liturgie – Liturgie als Musik

Neuer Impuls, neue Not

„Ewige Dinge, Dinge von Gott, sind sehr einfach und sehr tief. Wir müssen keine neuen Programme machen, wir müssen neue Wege finden, neue Energien und eine neue Begeisterung, um an Gottes ewigem Heilsplan Anteil zu haben und ihn in unserer Zeit zu verwirklichen. Das Konzil hat vieles in Bewegung gesetzt, aber für viele unter uns sind seine Beschlüsse noch immer Papier. Ich möchte die Erzdiözese Krakau für die wahre Bedeutung des Konzils aufrütteln, damit wir seine Lehre in unser Leben umsetzen.“ Das sind Worte von Kardinal Wojtyla bei seiner Amtseinführung als Erzbischof von Krakau am 8. März 19641.

Wenn wir auf das Verhältnis von Liturgie und Kirchenmusik blicken, 15 Jahre nachdem der damalige Erzbischof von Krakau diese seine Überzeugung aussprach, so können wir in seinen Worten Tatbestand und Aufgabe unverändert wiedererkennen. Selbstverständlich wird man sich streiten können, ob diese oder jene konkrete Regelung des Konzils und der nachkonziliaren Entwicklung in Sachen von Liturgie und Kirchenmusik die beste und klügste sei. Jede Entwicklung und jede Festlegung bedeuten Gewinn von Wirklichkeit auf Kosten von Möglichkeiten, die nicht verwirklicht wurden. Aber es geht hier um den Ansatz. Und der Ansatz liturgischer Reform, wie ihn die „Konstitution über die heilige Liturgie“ des Zweiten Vatikanischen Konzils markiert2, verdient es in der Tat, so beurteilt zu werden, wie unser Papst das Konzil eben beurteilte. Da ist nicht ein neues Programm, das eine alte, gültige, ursprüngliche Einsicht verdrängte, da ist nicht ein kompliziertes, neben das Leben hingesetztes Gedankenkonstrukt, da ist Liturgie, wie sie elementar zu Christsein und Kirche gehört und wie sie sich selbst in der Geschichte der Kirche ausgelegt und entfaltet hat. Freilich werden da neue Wege gezeigt und neue Energien entbunden, Liturgie Leben, unser Leben, Leben heute werden zu lassen.

Das gilt nicht nur für die unmittelbaren Konzilsaussagen, sondern insgesamt auch für die Entwicklung, die sie auslösten. Und doch haben mit der Entwicklung der letzten 15 Jahre nicht nur jene ihre Not, die entweder nicht an die Notwendigkeit neuer Wege glaubten, um das alte Programm lebendig werden zu lassen, oder aber das alte Programm überhaupt ablehnten. Die Not mit dem, was aus dem Konzil geworden ist, befällt auch jene, die im Konzil einen positiven Ansatz und in der Entwicklung hernach ein Wachstum erblicken.

Um es ein wenig banal auszudrücken: Das Konzil hat das fertig gepackte Paket der Liturgie aufgeschnürt, um uns zu zeigen, was wahrhaft drinnen ist, um uns freilich auch zuzumuten, alle seine Elemente in die Hand zu nehmen und je wieder zusammenzufügen, damit daraus ein lebendiges Ganzes werde. Sicher, die Aussagen und Normen der Kirche beim Konzil und hernach geben uns deutlichen Aufschluß, was in dieses „Paket“ hinein- und wie es zusammengehört; aber immer wieder kommt es vor, daß nicht alles oder zuviel hineingepackt oder die Dinge nicht recht zusammengepackt werden. Nun, da könnte man ja – dieser Gedanke legt sich nahe – mit ein bißchen Bildung und Übung nachhelfen. Das geschieht auch immer wieder, und es geschieht keineswegs ohne guten Erfolg. Doch da stoßen wir eben genau auf den Punkt, der unser Bild nicht nur zu banal, sondern insgesamt als zu „harmlos“ aufdeckt. Die liturgische Erneuerung beim Konzil und hernach stieß in einen epochalen Umbruch menschlichen Selbst- und Weltverständnisses, der Liturgie grundsätzlich in Frage stellt oder aber sie grundsätzlich in eine andere Position als die überkommene zum Menschen rückt. Wir dürfen diese Entwicklung nicht übersehen, können uns aber auch nicht damit begnügen, sie zur Kenntnis zu nehmen und entweder alles beim alten zu lassen oder aber uns rasch dem anzupassen, was heute gerade ankommt und gefällt. Beides hieße die geschichtliche Verantwortung für den Menschen wie für die Liturgie nicht ernst nehmen.

Diese Bemerkung reißt ein Problem auf, das nicht im Rahmen unseres Beitrags ausgelotet und gar gelöst werden kann. Aber es muß mitgesehen werden. Und der diesen Beitrag schreibt, [15] ist davon überzeugt: Das eingangs zitierte Wort des Papstes und die damit verbundene Wertung des konziliaren Ansatzes behalten ihre Gültigkeit auch angesichts solchen Umbruchs. Ja, eine gemäß dem Konzil verstandene und vollzogene Liturgie kann sogar, in ihre Voraussetzungen und Konsequenzen hinein bedacht und vollzogen, ein heilender und helfender Beitrag sein, um die Verantwortung der Christen und der Kirche für die Zukunft des Menschen und des Menschlichen wahrzunehmen.

Darum soll es uns im folgenden gehen. Und weil es darum geht, – dies ist unsere These – geht es um das Verhältnis von Liturgie und Musik. Aber eben nicht nur um die Musik in der Liturgie, sondern zunächst um ein tieferes „totaleres“ Verhältnis von Liturgie und Musik zueinander: Musik als Liturgie, Liturgie als Musik. Das verdrängt nicht die konkreten Einzelprobleme, rückt sie aber in einen anderen Kontext, stellt sie auf einen anderen Hintergrund.


  1. Nach Kaufmann, Ludwig: Johannes Paul II.. Papst für das Jahr 2000, Freiburg u. a. 1979, 62. ↩︎

  2. AAS 56 (1964) 97-138. ↩︎