Theologie als Nachfolge

„Neues“ Modell für Ekklesiologie

Gewohnterweise geht Ekklesiologie, theologische Lehre von der Kirche, anders vor. Sie sucht entweder den geschichtlichen Weg, wie es von Jesus und seinem Evangelium zur Gemeinde, zur Kirche kam, nachzuzeichnen und aus diesem Weg die unveräußerlichen Merkmale der wahren Kirche Christi herauszustellen; oder sie fragt nach den Bedingungen, unter denen Werk und Person Christi in der Geschichte gegenwärtig und wirksam bleiben können, und stößt von hier aus zu den Grundzügen von Kirche vor; oder nochmals anders, sie entfaltet grundlegende Bilder der Kirche aus Schrift und Tradition und fügt in sie die wesentlichen Bestimmungen ein, die zur Identität und Integrität der Kirche hinzugehören. Bonaventura zeigt demgegenüber einen – man kann das auch heute noch angesichts so vieler ekklesiologischer Entwürfe unseres zu Ende gehenden „Zeitalters der Kirche“ sagen – neuen Weg ein: Kirche ist ihm Geschichte, aber er liest die faktische Gestalt der Geschichte von Kirche auf eine innere Geschichte hin, die immer und überall und doch je neu geschieht, solange Kirche geschieht. Kirche ist die Geschichte des Wortes Gottes, der Vollzug seines Ansatzes. Gewiß kann diese innere Geschichte von Kirche nicht der Bewährung und Entfaltung an der äußeren entbehren, gewiß kann sie nicht eine Betrachtung etwa des apostolischen [41] und marianischen Prinzips in ihr oder der Bedeutung von Amt, Sakramenten und Charismen ablösen. Aber wie das alles nicht ein spätgotischer Kapellenkranz um eine romanische Kathedrale, wie das alles nicht bloß sekundäre Aus- und Nachwirkung primärer evangelischer Wahrheit ist, das kann an der Alternative Bonaventuras deutlich werden, und hierfür kann diese Alternative den strukturalen Aufriß geben, der sich ins übersprungene Detail hinein ausarbeiten läßt. Vor allem aber ist Bonaventuras Alternative der Hinweis auf die mögliche und nötige Synthese zwischen Kirche als Bestand und Kirche als Vollzug: Weil Gottes Wort die Momente kirchlichen Selbstvollzugs je schon vorumgreift, besteht Kirche, ist sie da. Weil Gottes Vorgriff Zeitigung der Antwort, der je neu aus ihrem Ursprung erwachsenden Gemeinschaft ist, bleibt Kirche auch stets Ereignis, Aufgabe, ja Zukunft. Dieses von innen her geschichtliche Modell des Kirchenverständnisses überbietet jede statische und organisch-evolutive Ekklesiologie, sein streng theologischer Ansatz, sein Ausgang von Gottes Sich-Sagen könnte den Weg zeigen, warum und wie Ekklesiologie überhaupt nicht nur Zusatz und Nachtrag zum Eigentlichen der Theologie ist.