Berufung
Nochmals: Gerufen, um zu rufen
Wenn der Mensch ein Gerufener ist, wenn jener, in dem der absolute Ruf Fleisch geworden ist, uns ruft, dann ist Berufungspastoral nicht nur ein unwichtiger oder auch sehr wichtiger Sonderaspekt der Pastoral, sondern Pastoral ins-[47] gesamt wird zur Berufungspastoral. Jeder Mensch ist gerufen. Der zum priesterlichen Dienst Gerufene hat die Aufgabe, in sich selber diese Grunddimension des Menschseins und Christseins ans Licht zu heben, um sie leben und beglaubigen zu können. Und er hat zugleich die Aufgabe, der Sachwalter des Rufes zu sein, der an jeden Menschen ergeht, diesen Ruf verstehbar zu machen, den anderen zu helfen, ihn zu entdecken, und ihnen Wege zu zeigen, dem Ruf zu folgen.
Eine so verstandene Pastoral, ein so verstandener Auftrag des Priesters ermutigt ihn zur Berufungspastoral im Sinn der Sorge für die geistlichen Berufe, er befreit eine solche Berufungspastoral aber zugleich von der Engführung, nur der Rekrutierung nötiger Dienste zu gelten. Die geistlichen Berufe stehen im umfassenden Kontext dessen, was jeden Menschen bewegt und angeht: Entdecke deinen Ruf; finde dich so, in deinem Ruf, daß du zugleich dich geben, dich verschenken kannst, dort, wo Gott will, und so, wie Gott will!
Es wird aber ebenfalls deutlich, daß Berufungspastoral – und Pastoral überhaupt – nicht eine Veranstaltung sein kann, die neben unserem eigenen Leben herläuft, sondern daß Spiritualität und Pastoral, noch umfassender gesagt: Leben und Dienst untrennbar miteinander verbunden sind. Die Wege, die Pastoral zur Pastoral des Rufes werden lassen, sind dieselben, die mich jeweils Ruf selber leben lassen.
Die drei Richtungen des Rufes und die vier Momente des Rufes geben in der Tat eine Leitlinie, die dem Priester selbst helfen kann, seinen Ruf zu wahren und zu vertiefen, zugleich aber Ruf beim andern zu entdecken und zu fördern.
Setzen wir bei den vier Momenten der Berufung an. Jedem wird gesagt: Verlaß deine Habe! Nur die Großzügigkeit, die wir im kleinen bereits einüben, nur das Weggebenkönnen, Lassenkönnen beglaubigten unsern Ruf und ermöglichen [48] dem andern, daß er sich rufen lassen, seinen Ruf finden und durchtragen kann. Anspruchsdenken und Ruf stehen einander frontal entgegen.
Höre auf mich, folge mir! Nur der wird den großen Ruf seines Lebens hören und ihm treu bleiben, der die kleinen Rufe des Alltags auch wahrnimmt. Was willst du jetzt von mir? Wie kann ich jetzt in deinem Willen leben? Gerade der Umgang mit dem Wort Gottes als einem Wort, das immer neu nicht nur mich beschenken und mich trösten, sondern auch mich fordern darf, so daß es in mir Lebensgestalt wird, befähigt dazu, daß der große, einmalige, personal auf mich zugeschnittene Ruf in mir Macht gewinnen kann.
Das lautere Herz und der hingegebene Leib: Einübung in jene Beherrschung der Sinne und Triebe insgesamt, die nicht nur Training und Disziplin bedeutet, sondern Hingabe- und Gestaltungsfähigkeit, wird den Menschen befähigen, sein Herz und seinen Leib nicht zu verlieren, sondern zu verschenken; nicht sich zu suchen, sondern personale Beziehung; jene Reife zu erlangen, die den Leib zum Ausdruck des Herzens, der Liebe, die Vollzug wie Verzicht gleichermaßen zum Wort, zur Gestalt werden läßt.
Nur ein Leben nicht in der Fixierung auf sich, sondern in der Einfügung ins Ganze, im „Dasein für“ sprengt die Schale unseres Ich so auf, daß der Strahl des Rufes den Kern unseres Selbst zu treffen vermag.
Großzügigkeit, Horchen auf das Wort, Wortwerdung des Triebes, Dasein für bezeichnen so Leitlinien, um den Ruf zu leben und für den Ruf zu befähigen. Die drei Richtungen des Rufes, eines jeden Rufes, bestätigen dies und verdichten es zu den drei Grundvollzügen, die in der Kirche lebendig sein müssen, wenn sie im doppelten Wortsinn jene Berufungen erhalten will, die der Herr ihr anvertraut für die Menschheit. Es beginnt mit der Einübung ins Unten, mit der Bereitschaft, zu dienen, zu helfen, klein zu [49] sein, sich zu bücken. Ruf stellt nie auf ein Podest; Ruf macht nicht groß, sondern klein. Ruf schickt fort. Gott braucht für seine Kirche nicht die Großen, sondern die Kleinen, und jeder, der seinen Ruf versteht, wird klein werden und Freund der Kleinen. Die zweite Richtung freilich führt nach oben, nach innen, aber nicht im Sinn der selbstgenügsamen Absonderung, sondern des Betens, des Verweilens in Gott. Nur eine Kirche, die zu Gott zu rufen versteht, wird den Ruf von Gott hören können. Nur wenn wir zu Gott selber beten, werden wir von Gott hören, was er uns zu sagen, von Gott empfangen, was er uns zu geben hat. Deshalb sind auch im Evangelium selber die beiden Dinge so eng miteinander verknotet: „Bittet den Herrn der Ernte, Arbeiter für seine Ernte auszusenden“ (Lk 10,2).
Schließlich kann Berufung nur wachsen, wo Einheit, gegenseitige Liebe gelingt. So oft fehlt es am Netz der Liebe, der Kommunikation, am konkreten Miteinander, in welchem der einzelne den Herrn in der Mitte und sich selbst auf seinem Platz beim Herrn und im Ganzen finden kann. Wo das Netz lose und schlaff wird, da fallen jene hindurch, die es fangen will. Wir brauchen das dichte Netz derer, die an Gottes Ruf glauben, damit Ruf lebbar und auffindbar wird.