Theologie als Nachfolge

Nochmals: Was heißt Nachfolge?

Der Weg der Theologie gilt uns als Weg reflektierter Nachfolge. Was für diesen Weg heute Bonaventura bedeutet, muß sich aus dem entscheiden, was reflektierte Nachfolge heute bedeutet. Dann aber müssen wir uns nochmals mit dem Begriff, mit dem Verständnis von Nachfolge beschäftigen. Nachfolge – so sahen wir – ist den Urtext wahrende, ja konstituierende Übersetzung des Evangeliums in Leben und darin zugleich Übersetzung von Welt und Existenz ins gelebte Evangelium. Gibt es indessen nicht noch andere Weisen, wie ein Vorgängiges, Maßgebliches in eigenes Dasein und eigenes Denken übersetzt wird und wie zugleich die Wirklichkeit des Menschen und der Welt bewährt wird an diesem Übernommenen und Überkommenen, am Erbe etwa einer Idee, einer Kultur, einer vorgeprägten Lebensform? Oder noch weiter gefaßt: Prägen die formalen Momente von Nachfolge, die wir eingangs ermittelt haben, nicht viele, gar alle Gestalten von Kommunikation? Bedeutet nicht Kommunikation Übersetzung eines anderen Wortes ins Eigene und eines Eigenen ins Wort, das nicht nur mein Wort, sondern Wort eines Sprachhorizontes, vorgeprägtes, vorgegebenes Wort ist? Es drängt sich also die Frage nach der spezifischen Differenz von Nachfolge auf. Nachfolge, so zeigt sich zunächst, findet sich einem Anspruch gegenüber. Nicht irgendeine Idee, nicht irgendein Angebot, nicht irgendeine Möglichkeit, die neutral zu überprüfen wären, sondern ein Ruf, der Situation stiftet, ein Ruf, demgegenüber es so oder so nur die Reaktion der Entscheidung gibt, steht am Anfang. Darin ist aber ein zweites schon mitgesagt: Nachfolge ist – da er- [174] wachsen aus einem sich selbst verbindlich verstehenden Ruf – zugleich je meine Sache, Sache der Freiheit, Sache des entschiedenen Selbstverhältnisses und Sich-selbst-Vollbringens. Solche Steigerung des Angebotes zum verbindlichen Anruf und der Reaktion zum verantwortlichen Entscheid bringt uns dem Eigentümlichen von Nachfolge näher, aber holt es noch nicht ein. Sowohl der Rang des Rufes wie der Rang der Freiheit scheinen aufs erste nämlich gerade im Fall der Nachfolge nochmals herabgestimmt, reduziert zu werden: Nachfolge heißt ja gerade nicht, selbsttätige Konsequenzen aus einem Vorgegebenen zu ziehen, sondern einfach: nachlaufen, wiederholen. Ist das nicht Unterbietung von Freiheit? Und umgekehrt: Der Ursprung, der zur Nachfolge ruft, der Ursprung, der geschichtlich nur durch Nachfolge repräsentiert wird, erscheint in der Geschichte nicht mehr als Original, sondern nur noch in der Reproduktion. Doch die Begriffe „Wiederholung“ und „Reproduktion“ bedürfen einer Korrektur, unvermittelt greifen sie das Eigentümliche der Nachfolge Jesu nicht. Die Wiederholung Jesu ist nämlich kein „Ersatz“ Jesu. Einem großen Lehrer, einem großen Initiator darf es nur darum gehen, daß nicht er, sondern seine Idee, seine Sache weitergeht; das Gedenken an ihn, an sein Leben und seine Gestalt wird in dem Maße zum Zusatz, zur Äußerlichkeit, als die Sache, die Idee ihre eigene Schwungkraft in jenen entfaltet, die sie fortentwickeln, ins Werk setzen. Im Fall der Nachfolge aber ist dies anders. Gerade weil es Nachfolge Jesu gibt, gibt es keine Nachfolger Jesu. Jesus ist nicht Veranlasser, sondern selbst Ursprung; der Ursprung, die Quelle aber gehen nicht in dem allein auf, was ihnen entspringt. Noch in anderer Richtung setzt sich der Überschuß des Ursprungs in der Nachfolge durch: Die nachfolgende Wiederholung ist gerade nicht ihr eigenes Ziel und erreicht auch nicht aus sich selbst ihr eigenes Ziel. Nachfolge Jesu ist Unterwegs-Bleiben daraufhin, daß jener wiederkommt, der vorangegangen ist, Nachfolge ist Zulauf auf den, der vorangegangen ist, weil er Vollender und Vollendung ist. So kann Nachfolge weder das Evangelium noch den Herrn, weder das verheißene Reich noch die Erfüllung und [175] Seligkeit derer, die nachfolgen, und der Welt, für die ihre Nachfolge da ist, aufarbeiten. Der das erste Wort hat, hat auch das letzte Wort, und unsere Antizipation bleibt bloße Antizipation. Wie kann aber dann die Nachfolge, angewiesen nicht nur auf das erste, sondern auch auf das letzte Wort eines anderen, wie kann sie, in der Ohnmacht, Ursprung und Ziel in sich einzuholen, dennoch Steigerung der Freiheit jener sein, die nachfolgen? Die Antwort erscheint paradox: Einerseits verheißt der johanneische Christus denen, die ihm glauben, die Werke, die er tut, selber, ja noch größere Werke zu tun; dann aber schreibt er diese größeren Werke sich selber zu: er wird sie auf ihre Bitte hin vollbringen (vgl. Joh 14, 12. 13). Doch gerade hier liegt die Antwort: Bitte ist nicht nur Vollzug eigener Ohnmacht und Unfreiheit, aus sich das Erbetene zu tun; Bitte ist Vollzug von Kommunikation. Ursprung und Ziel der Nachfolge, die Einholung dessen, der ihr Ursprung und ihr Ziel ist, bleiben ihr unverfügbar, entzogen, aber die Entzogenheit selbst ist nur die Kehrseite seines Daseins, damit aber Ausdruck dafür, daß Nachfolge Situation lebendiger Kommunikation bleibt. Einmal mehr wird deutlich, wie tief das österliche Geschehen, die Öffnung bleibender, ja dichterer Begegnung im Entzug, für die Nachfolge konstitutiv ist. Kommunikation ist Gewähr und Steigerung der Freiheit ihrer Partner; das Entscheidende an Kommunikation liegt gerade darin, daß keiner der Partner durch den anderen ablösbar ist und daß beiden das Ganze des Kommunikationsgeschehens gehört. Die Kommunikation, welche in der Nachfolge geschieht, genauer: in welcher die Nachfolge sich nach dem Hingang Jesu zum Vater und darin zugleich zu uns findet, ist freilich unvergleichliche, einzigartige Kommunikation. Mit dem entzogenen Herrn kommunizierend kommunizieren wir mit dem uns entzogenen Grund unserer Freiheit, und das ist höchste Angewiesenheit und höchste Freiheit zugleich. Letztes, hier noch einzuführendes Moment: Worin bestehen die „größeren Werke“, die uns, wenn wir nachfolgen, in die Hand gelegt sind? Worin zeigt sich die Steigerung unserer eigenen Freiheit? Einmal eben in ihrer neuen Situation: Sie steht in Kommunikation mit ihrem Woher und Wohin, mit ihrem aus sich allein ihr [176] entzogenen Grund und Ziel; sie holt sich zu den vollen Maßen von Freiheit ein, ohne doch unsere Position der Geschöpflichkeit, der Endlichkeit zu nivellieren, ohne unser Gegenübersein zu Gott und Christus in eine monistische Identifikation hinein aufzulösen. Zum anderen aber dürfen wir, über unser eigenes Heil und unsere eigene Freiheit hinaus, die Horizonte des Fragens und Verstehens, die sich im Lauf der Geschichte verwandeln und neu erbilden, mit einbringen in die Begegnung mit dem Evangelium, und so wird das Evangelium im Vollzug unserer Nachfolge zum Evangelium für alle Welt und für alle Zeit. Damit aber ist unsere ursprüngliche Bestimmung von Nachfolge als integrative Übersetzung des Evangeliums zu sich und als integrative Übersetzung von Welt und Mensch ins Evangelium eingeholt und gesteigert. Der Herr, den die Nachfolge, seinem Ruf folgend, „übersetzt“ und auf den hin sie Welt und Menschsein übersetzt, ist als Ursprung und Ziel ihr entzogen – doch diese Entzogenheit ist seine Gegenwart, ist Verwandlung des Nachfolgegeschehens in gegenwärtige Kommunikation. In der Kommunikation ist mein Partner eben nur dadurch als er selbst, als Ursprung von sich her da, daß er meinem Reproduzieren und Verfügen gegenüber entzogen bleibt. Die „Ohnmacht“ der Nachfolge wird so ihre „Vollmacht“: Sie ist Kommunion mit dem lebendigen Herrn; Kommunion darin – und das hebt sie über alle andere Kommunikation hinaus – mit dem Ursprung und Ziel der eigenen Freiheit des Nachfolgenden und – nochmalige Steigerung – Präsenz, Angebot, „Stellvertretung“ dessen, der Grund und Ziel allen Menschseins und der ganzen Welt ist, für die Welt, für die Geschichte.