Neuer Ansatz in Sicht?
Nord-Süd-Gefälle
Man könnte im Blick auf das Nord-Süd-Gefälle, im Blick auf die Problematik der Dritten Welt innerhalb der einen Welt die Frage stellen: Geht es hier nicht um dasselbe? Geht es nicht nochmals um die Konkurrenz zwischen „sozialistischen“ und „freiheitlichen“ Modellen? Natürlich geht es darum – und doch rückt die Situation [32] in ein neues, grelleres Licht.
Es geht zunächst ganz banal ums Überleben eines großen Teils der Menschheit. Antworten, die Ideen geben, aber kein Brot, Antworten, die Zukunft planen, aber Gegenwart nicht ermöglichen, zählen nicht. Doch mit derselben Unerbittlichkeit zeigt sich etwas anderes, das scheinbare Gegenteil: Bloßes Abfüttern, Hilfe für den Augenblick ohne Eröffnung einer Partnerschaft innerhalb der einen Weltgesellschaft auf Zukunft hin, materielle Hilfe ohne soziale Befreiung zählen ebenfalls nicht. Leben können heißt, überleben können, leben können heißt, miteinander leben können, leben können heißt, eine Antwort, einen Sinn, eine Erfüllung haben. Daß dies sich nicht auseinanderreißen läßt, wird an der Situation der Dritten Welt überdeutlich.
Nicht ohne Grund erinnert uns das Hauptwort beinahe aller Bewegungen und Ideologien in der Dritten Welt, das Wort „Befreiung“ an die Geschichte unserer Neuzeit. Befreiung, Freiheit hat hier allerdings einen noch elementareren Klang als bei uns. Es geht um Freiheit von Hunger, von Krankheit, von Unterdrückung, von Abhängigkeit, von Unmündigkeit. Aber wozu befreit solche Befreiung?
Wo liegen die Modelle, welche von den Völkern der Dritten Welt in die Schicksalsgemeinschaft der einen Welt eingebracht werden und dort die gemeinsame Zukunft der Menschen mitbestimmen? Wieviel von den Angeboten des Ostens und des Westens hier abhängt, liegt auf der Hand. Welche Antworten werden auf diesem Prüfstand bestehen können? Haben wir in der Tat nichts anderes einzubringen als das, was unser Weg durch Gegenwart und Geschichte uns bislang gezeigt hat?