Orden und Jugend im Lebensraum der Kirche
Not der Orden
Wieviel ist schon gesagt worden über die Krise der Orden und geistlichen Gemeinschaften heute! Diese Analysen sollen hier nicht um eine weitere vermehrt werden. Aber der Blick auf die Strukturmomente der spezifischen Ordensberufung und der spezifischen Eigenart von Jugend können zur Unterscheidung der Geister beitragen, will sagen: sie können helfen, unserer Situation der Orden naheliegende Versuchungen als solche zu entlarven. Das Bedenken dieser Versuchungen gehört genau in unseren Kontext hinein. Denn es sind Versuchungen, den scheinbar so langen und schwierigen Weg zwischen Ordensberufung und junger Generation „abzukürzen“ oder aber aus bloßem Herkommen aufgeschichtete Hindernisse auf diesem Weg nicht abzutragen.
a) Der Anspruch: ermäßigen oder festschreiben?
Der Deus Semper maior, der je größere Gott ist und bleibt der Existenzgrund der Orden. Neuzeitliche Wissenschaft steht unter dem methodischen Ansatz, die Dinge so betrachten zu wollen, wie sie sind, auch wenn es Gott nicht gäbe – ohne daß damit freilich der Wissenschaftler selbst auf den Glauben an Gott verzichten müßte. Ordensexistenz ist genau das Gegenteil: Existieren, so daß es keinen Sinn und keine Plausibilität hätte zu leben, keine Aussicht auf Zukunft, wenn es diesen je größeren Gott nicht gäbe. Also: Gott nicht als den Sinn und das Leben verstärkender Zusatz, sondern als Basis, auf der alles aufruht und ohne die alles zusammenbricht.
Vermutlich hat das noch in wenigen geschichtlichen Situationen so viel gekostet wie heute. Auch die Ordenschristen bringen die menschlichen Voraussetzungen mit, die wir angerissen haben: das Gefühl, überfordert zu sein von Entscheidungen und Bindungen, die das ganze Leben in Spruch nehmen und weggeben. Wie viele Ordensleute sind mit ganzem Mut und offener Bereitschaft in ihre Berufung hineingegangen – und haben in unserer Krisenzeit ihren großmütigen Lebensentwurf scheitern sehen.
[15] Verunsichert das nicht uns alle? Setzt es nicht ein paar Fragezeichen hinter unser mitgebrachtes Ordensideal? Müssen wir nicht doch realistischer sein und zurückstecken? Gibt es nicht für begrenzte menschliche Kräfte eben ein „zu groß“? Natürlich ist nicht jede Form eines Lebens aus dem Evangelium und um des Evangeliums willen für jeden Christen zugänglich. Natürlich darf nicht die Gnade Gottes für Überforderungen in Anspruch genommen werden, die der Mensch sich nur selber auferlegt, indem er seine Grenzen verkennt. Und doch, Christsein ist immer zu groß für bloß menschliche Kräfte, das Leben der Orden erst recht. Es gehört dazu, daß wir dieses „zu groß“ erkennen und annehmen, daß es uns aber nicht Grund zur Entmutigung, sondern zum Vertrauen wird. Weil du mich zu etwas rufst, was zu groß ist für mich, wirst du es in mir wirken! Der Ruf muß geprüft, aber dann will er angenommen werden im Bewußtsein: Dieser Weg geht nur, weil Gott ihn mitgeht. Gottes Weg ist Barmherzigkeit, die alles zumutet, aber auch alles schenkt, nicht aber Ermäßigung, die weniger verlangt und weniger schenkt. Erneuerung der Orden ist Bekehrung zu ihrem Mehr, nicht Aufgabe dieses Mehr. Bonaventura spricht davon, daß ein großer Berg, der uns die Kraft gäbe, ihn zu tragen, leichter zu tragen wäre, als ein kleiner, den wir mit eigener Kraft zu tragen hätten. Übrigens: wenn junge Menschen an Ordenschristen erfahren, daß die überfordernde Last Christi leichte Last ist, weil sie im Vertrauen, in der Zuversicht auf Gottes Gnade angenommene und getragene Last ist, dann ist das einer der entscheidenden Schritte auf dem Weg, Mut zu machen zur ganzen Entscheidung. Nur unser Mut gibt anderen Mut, nur Gottes Kraft gibt uns und anderen Kraft. Wo die Erfahrung der nachkonziliaren Jahre Orden dazu veranlaßte, den Maßstab ihrer ursprünglichen Berufung zurückzustecken, da wäre eine falsche Klugheit gewachsen.
Diese falsche Klugheit ist indes nicht die einzige Versuchung in unserer Situation angesichts der Ungeheuerlichkeit des Rufes zum je Mehr. Auch die scheinbare Treue zum je Mehr kann der Deckmantel einer falschen Angst, einer bloß menschlichen, allzu menschlichen Antwort auf den Anruf Gottes sein. Es braucht Regeln, Konstitutionen, Festlegungen. Dies ganz gewiß. Wo der Geist sich nicht in den Buchstaben verfaßt, da zerflattert und zerfließt er. Inkarnation ist und bleibt das Grundgesetz. Ein gemeinsamer Weg bedarf gemeinsamer Regelung. Auch Gottes Bund mit seinem Volk hatte eine Bundesurkunde, ein Bundesgesetz, aber dieses Bundesgesetz war nicht eine perfekte Landkarte, in welchem die Wege Gottes eingezeichnet waren. Im Bundesschluß und in der Treue zum Bundesgesetz gab das Volk sich frei in die Führung des je größeren Gottes und das hieß: in seine je unabsehbaren Wege hinein. In Regeln und Konstitutionen ist „alles“ gesagt – und doch wäre nichts gesagt, wollte man das „je Mehr“ und „je Weiter“ in ihnen als absehbare Leistung sichern, messen, be- [16] schränken. Anpassung und Legalismus sind Formen von Angst. Treue und je neues, unabsehbares Leben aus dem Ursprung sind Leben, sind Antwort.
b) Der je selbe Ruf: neue Aufgaben?
Die innere Orientierung an der bleibenden Grundgestalt des Rufes, die Treue zum Charisma des Ursprungs – ohne dieses Fundament hat Ordensleben wenig Sinn und Zukunft. Das zeigt sich immer mehr. Aber mit dieser Erkenntnis ist noch nicht die andere, zunehmend bedrängende Frage bereits beantwortet: Wo liegen die Aufgaben, die die jeweilige Gemeinschaft, der jeweilige Orden in Angriff nehmen soll?
Einen Ansatz zur Antwort gewinnen wir freilich in der unaufgebbaren Grundorientierung eines jeden Ordens. Wenn kontemplative Mönche mehr und mehr pastorale Aufgaben außerhalb ihres Konvents übernehmen, so geht das in aller Regel zu Lasten der Identität und des Auftrags der eigenen Berufung. Wenn umgekehrt eine aktive Gemeinschaft sich ihr Aufgabenfeld nach dem wählt, was im Augenblick Chancen gibt und „gefragt“ ist, so unterbietet auch dies die Treue zum Auftrag und zur Berufung. Man darf es sich nicht leicht machen mit der Aussage: Wenn unser Gründer heute leben würde, dann würde er auch etwas anderes tun. Vielleicht würde er als Gründer etwas anderes tun. Doch wenn er ein langes Erbe anzutreten und zu übernehmen hätte, vielleicht ginge er seinen Weg in jener Treue, die Anfänge, Aufgaben, Übernommenes, auch mit äußerlich wenig Chancen, durchträgt. Das soll keineswegs sagen, ein Abweichen von ursprünglichen Aufgabenfeldern könne nicht in der Tat dem Ruf Gottes entsprechen. Wie viele Gründungen sind auch Verwandlungen eines Übernommenen, aus der Stimme Gottes in der Zeit gewachsene quantitative oder qualitative Sprünge einer voraufgehenden Entwicklung gegenüber. Aus der „Indifferenz“, die ebenso bereit ist, den verlorenen Posten der Mutter unter dem Kreuz anzunehmen wie das Zeugnis der Maria von Magdalena an die Brüder am Ostermorgen, den Aufbruch des Abraham wie das Ausharren des greisen Simeon im Tempel, muß eine Ordensgemeinschaft sich heute die Frage stellen: Was ist gemäß dem Charisma des Gründers, der Gnade des Ursprungs die Aufgabe heute, entsprechend ebenso dem übernommenen Erbe wie der Zeugnispflicht angesichts der Situation in Kirche und Welt. Felder sozialen und caritativen Einsatzes, Methoden und Wege des Missionarischen und der Bildung, Hinordnung auf pastorale oder soziale Extrem- und Randsituationen, das alles kann sich geschichtlich ändern – in alledem kann neue Übersetzung des Urtextes fällig werden, nie aber Ersatz des Urtextes durch einen anderen Text; er mag noch so attraktiv und gefällig sein. Auch kann es die Erledigung einer einmal übernommenen Aufgabe durchaus geben, der Ruf zum Neuanfang, zum Neuanfang aber aus der Treue zum geistlichen Impuls des Ursprungs. Und bei aller Übersetzung wird eben das Befremd- [17] liche, Provokatorische des christlichen Urtextes, des Urtextes auch eines jeden Ursprungscharismas fühlbar bleiben müssen. Nie wird ein Leben allein im Gebet, in Beschauung und stellvertretendem Opfern und Leiden Überflüssig sein. Nie wird der noch so wichtige Einsatz für soziale Gerechtigkeit den Dienst helfender Liebe an den Ärmsten und Schwächsten ersetzen können. Nicht nur und nicht zuerst das faszinierend Andere, sondern auch und zumal das unscheinbar Andere des Evangeliums gehört zum Urgestein eines jeden evangelischen Charismas.
Die Entscheidung, wo, in welcher Aufgabe das Jetzt Gottes für eine jede Gemeinschaft liegt, ist gewiß nicht leicht. Könnten da nicht jene Früchte des Geistes, von denen Paulus spricht (vgl. Gal 5,22 ff), eine wichtige Orientierung bieten? Wo in einer Aufgabe diese Früchte für die Gemeinschaft lebendig sind, da ist auch geistliche Fruchtbarkeit für den Dienst zu erwarten, da ist auch eine Zukunft für die eigene Gemeinschaft zu erwarten, die Gott ihr vorgesehen hat.
Wir sahen: „Ermäßigung“ hat nicht die Anziehungskraft des Geistes auf die junge Generation, bloßes Sichern und Festschreiben des Geistes von außen hingegen droht ihn zu verbergen statt zu schützen. Wir sehen jetzt: bloße Anpassung an das, was im Augenblick gefällt oder weiterhilft, kann höchstens ein Strohfeuer entfachen; Festklammern am lieben Gewohnten ohne den Mut zur Neuorientierung aus dem Ursprung verbaut die Sicht für Gottes Jetzt und läßt jene nicht kommen, die Gott für dieses Jetzt in Anspruch nehmen will.
c) Not um die geistliche Mitte
In vielen unserer Konvente und Ordenshäuser wäre zwischen dem Tagesablauf und der Lebensgestalt heute und dem Tagesablauf und der Lebensgestalt vor 20 Jahren ein weit größerer Unterschied als zwischen damals und einigen Jahrzehnten zuvor. Der allgemeine Gestaltwandel der Frömmigkeit, die andere Weise des Umgangs mit Liturgie, Sakrament, Wort Gottes, religiösen Ausdrucksformen und religiöser Sprache hat sich in den Orden durchschnittlich nicht weniger, sondern eher mehr, empfindlicher ausgewirkt. Es mag gewichtige Gegenbeispiele geben. Insgesamt aber steht das geistliche Leben in den Ordensgemeinschaften heute angesichts der Wandlungen und Entwicklungen des letzten Jahrzehnts oder der beiden letzten Jahrzehnte in einer erregenden Belastungsprobe. Sie war und ist unumgänglich. Vieles, was zur Revision anstand, vieles, was in seinem ursprünglichen Ausdruckswert mißverständlich oder gar unverständlich geworden war, bedurfte wandelnder, klärender, erneuernder Schritte und Schnitte. Und bei entsprechenden Prozessen geht es wohl immer so: Mit den notwendigen Umstellungen folgen auch die einen oder anderen weniger notwendigen und sinnvollen, die neue Form, die an die Stelle der alten [18] tritt, ist nicht immer bereits so ausgereift und überzeugend, wie es zu wünschen wäre. Mut und Behutsamkeit sind ein Zwillingspaar, das man nicht auseinanderreißen sollte.
Eigentlich problematisch sind – entgegen dem oft massiv anderen Anschein – aber nicht die äußeren Umstellungen. An ihnen ist vielmehr etwas anderes sichtbar geworden, dem zentral unsere Sorge gelten muß. Haben wir, haben die Orden insgesamt und jede einzelne Gemeinschaft im besonderen die bleibende geistliche Mitte in die neue Form mit hinübergenommen, haben wir sie wiederentdeckt oder entleert – oder vermeinten wir, mit einigen neuen Formen den Verlust dieser Mitte überspielen und wieder gutmachen zu können? Gerade das Wahren und Neugewinnen dieser Mitte können neue Formen fordern, dasselbe Wahren und Neugewinnen können aber auch ein Durchtragen von Formen gegen den Trend nötigmachen. An den Formen allein werden wir den Geist nicht erkennen, wenn auch Geist nie ohne Form und jede Form ihres Geistes Kind ist. Um noch einmal auf den Galaterbrief zurückzukommen: Die Form ist die Schale, in welcher der Geist seine Früchte darreicht, und an den Früchten des Geistes werden wir den Geist selbst erkennen.
Und hier erhebt sich die Frage: Der Geist Gottes zerbricht nicht Menschlichkeit, sondern gewährt Menschlichkeit. Wachstum menschlicher Unmittelbarkeit, menschlicher Vollzug des Lebens mit dem Geist, Sich-Einbringen des einzelnen und der Gemeinschaft in den geistlichen Vollzug, Sich-Wiederfinden in dem, was ich sage und tue – das alles gehört hinzu. Aber wenn ich mit allen nur erdenklichen methodischen Mitteln dies bewerkstellige und erreiche, dann habe ich damit allein noch nicht den Geist Gottes erreicht. Spiritualität, Meditation, Gebet, Sammlung, die genauso Recht hätten, „auch wenn es Gott nicht gäbe“, das ist nicht christliche Spiritualität. Die kritische Anfrage an jede spirituelle Methode und Praxis ist der Vers der Pfingstsequenz: „Sine tuo numine nihil est in homine, nihil est innoxium.“ „Ohne dein lebendig Wehen kann im Menschen nichts bestehen, kann nichts heil sein noch gesund.“ Es ist die Aussage einer Bitte. Und nur wo der Mensch als letztes nicht den Heiligen Geist aus sich hat und nicht sich selber und sein Gleichgewicht und seine Erfüllung hat, sondern wo er sich ausstreckt, bittend, um zu empfangen, wo er der Angewiesene auf das Kommen des Geistes bleibt, ist christliche Spiritualität da. Das ist und bleibt das Erste. Und dieses Erste muß so von uns bewohnt, durchgetragen, ernst genommen, ausgestaltet werden, daß daraus die Gelassenheit, das Gleichgewicht, eben die Frucht des Geistes wächst in Liebe, Freude, Friede und Geduld. Auf dem Weg dahin aber, auf dem Weg des Bittens und auf dem Weg der Entfaltung darf es nicht die Angst vor der Wüste, der Trockenheit, dem harten „Noch nicht“ sein, die uns abhält von der Treue, vom Weitergehen. Und auf dem Weg [19] des Bittens und der Entfaltung muß es ein Weiteres geben: das Miteinander, die Gemeinschaft, nicht nur die hier und jetzt erfahrbare, sondern die mit der Kirche im ganzen: beten in der Kirche und mit der Kirche, leben aus dem Heute, das zugleich leben aus dem Schatz der Jahrhunderte, aus dem Schatz des Ganzen und zumal aus dem Schatz des eigenen Charismas und der aus ihm erwachsenen Spiritualität ist.
Einfügung in die Kirche, Mitleben mit der Kirche, Mittragen der Kirche in entscheidender Einheit sind nicht organisatorische, zusätzliche Außenbezüge, sondern Vollzug der eigenen Identität als Orden, Leben aus der Mitte. Die geistliche Mitte und die Mitte kirchlicher Einheit liegen ineinander, lassen sich nicht trennen.
Die Treue zur eigenen Herkunft, das Leben aus dem Charisma des Ursprungs bedeutet so gerade nicht Verschließen, sondern Öffnung. Nicht selten kann es der Fall sein, daß die Begegnung mit einem neu in der Kirche aufbrechenden Charisma einen Orden, eine geistliche Gemeinschaft nicht von ihrem eigenen Weg abbringt, sondern daß dieser neue Lichtstrahl gewissermaßen auf eine Knospe trifft, die im Eigenen gewachsen ist und sich in diesem Lichtstrahl nun entfaltet. Es wäre geradezu ein Kennzeichen dafür, ob die Öffnung für eine „neue“ Spiritualität und Bewegung helfend oder schädlich ist, wenn man sich fragt: bricht in einem solchen Kontakt das Eigene in seiner Identität neu, tiefer, reicher auf – oder aber verkümmert es, wird es unfruchtbar zweitrangig?
Wie dringlich ist es, daß die geistliche Erfahrung der Orden lebendig und intakt bleibt, damit in ihr und an ihr die neuen Aufbrüche und der große Hunger der Jugend nach authentischer Innerlichkeit Halt, Klärung, Raum empfangen.
d) Not um erfüllte, glaubwürdige Gemeinschaft
Orden geht nicht ohne gelebte Gemeinschaft aus dem einen Geist, aus der einen Berufung. Nichts trifft die Ordensberufung, die Lebendigkeit der Orden tiefer als die äußere und innere Zerstörung solcher gelebter Gemeinschaft.
Drei Gefährdungen sind hier zu nennen. Einmal die Gefährdung durch den Vorrang der Tätigkeit des einzelnen und Erfüllung des einzelnen vor dem gemeinsamen Zeugnis. Noch so wichtige Überlebensprobleme finanzieller Art, noch so große Chancen für die Effektivität durch einzelne befähigte Glieder oder Gruppen, noch so plausible Planungen pastoraler oder anderer Aktivitäten müssen sich prüfen lassen an der Frage: Bleibt jedes einzelne Glied der Gemeinschaft rückgebunden, nicht nur theoretisch, sondern konkret rückgebunden an seine Kommunität? Und umgekehrt: Kann die Kommunität, kann das gemeinsame Leben eine so starke Außenaktivität verkraften? Sicher gibt es Notwendigkeiten, auch um des [20] Wohles des einzelnen willen Tätigkeiten und Wege zuzulassen, die mit diesem Prinzip in einer Spannung stehen. Den Schwierigen oder Unbequemen nach außen zu lassen, im Zweifelsfall doch dem Druck von außen oder der Rentabilität nachzugeben, wäre indessen gefährlich. So unterschiedlich die Struktur und die Aufgabenfelder der einzelnen Gemeinschaften sind, so sehr ist es doch ein allgemeines Prinzip: jedes Vor-gehen in den Raum von Welt und Kirche erfordert eine doppelte Rück-Bindung an Gemeinschaft, wo Gemeinschaft nicht mehr lebendig erfahren wird, stirbt Ordensleben ab.
Eine zweite, oft kaum zu vermeidende Not um Gemeinschaft: die „Erschöpfung“ der Kräfte, die Anspannung aller durch Alter und Krankheit belasteter Mitglieder, die es kostet, ein lebendiges Miteinander zu tragen. Das Wort des 1. Petrusbriefes „Ante omnia“, vor allem die beständige gegenseitige Liebe durchzutragen (vgl. 1 Petr 4,8), gibt hier sicher den entscheidenden Fingerzeig. Hilfe für entsprechende Situationen ist in der geistlichen Logik des Ordenslebens eine der vornehmsten Aufgaben. Wo freilich Situationen nicht zu wenden sind, die es schwermachen, Gemeinschaft zu gestalten, da wird auch hier der Vorrang des Seins vor dem Tun, der Glaube an die Fruchtbarkeit des „Nichteffizienten“, das Vertrauen auf den Gott, der das Ersterbende zum Quell neuer Hoffnung macht, Fundament eines glaubwürdigen und wichtigen Zeugnisses werden lassen. Doch noch einmal: die Sorge um „sich erschöpfende“ Kommunitäten ist eine vorrangige Pflicht für jeden Orden.
Die dritte Not um Gemeinschaft ist die allezeit bedrängendste, sie tritt aber heute besonders deutlich zutage, wo das Leben in einer Ordensgemeinschaft ausgesetzter, fühlbarer auf das Mittragen eines jeden einzelnen Gliedes gestellt ist: Ordensgemeinschaft kann nicht die Synchronisierung selbstgemachter Lebensentwürfe im Rahmen einer akzeptierten äußeren Lebensordnung sein; sie ist vielmehr – wir deuteten es bereits mit anderen Worten an – Vorwegnahme des vom Herrn erbetenen Zieles, daß alle eins seien, wie der Vater im Sohn und der Sohn im Vater ist. Die Hingabe eines gemeinsamen Ordensideals erfordert eine äußerste Offenheit aller füreinander. Die Not um die Kommunikation ist wohl die tiefste Not, die der Mensch heute erfährt. Die großen geistlichen Aufbrüche, die unser Jahrhundert und die auch die letzten Jahrzehnte kennen, knüpfen genau hier an: es sind Aufbrüche zu neuer Intensität von Gemeinschaft. Was der Erfüllung des Herrenwortes im Wege steht, daß er selbst dort zugegen sein will, wo wir in seinem Namen versammelt sind, steht glaubwürdiger Gemeinschaft im Orden entgegen. Die Erfahrung glaubwürdiger Gemeinschaft mit dem Herrn in der Mitte, die Erfahrung eines intensiven Miteinander, das zugleich offen ist über sich hinaus ins Ganze von Kirche und ins Ganze von Geschichte hinein: das sind die Orden – beinahe möchte ich sagen: vor allem anderen–unserer jungen Generation schuldig.