Anfang bei der Zukunft: Anfang beim Vater

Offenbarung des Vaters in Jesus

Wir haben uns am Anfang dieses Kapitels nur zögernd dem Bild des Michelangelo genaht: Gott in der menschlichen Gestalt? Der Vater gar im Bild menschlichen Antlitzes? In der Tat, Gott ist der je Größere, und so lebendig und bildhaft Israels Bibel von ihm spricht, so sehr verbrennt sie doch stets wieder ihre eigenen Bilder in der Ehrfurcht vor dem Geheimnis. Die Quelle der Zukunft, der anfanglose Anfang, aus dem all unser Anfang entspringt, das ist über allen Sichtweiten und Horizonten draußen, so unübersehbar auch die Spuren des Weges zu ihm hinführen und so verläßlich auch die Kunde von ihm zu uns herreicht.

Abraham, Mose und die Propheten sind gekommen und haben uns den Weg des Glaubens, die Umkehrung unserer selbstgemachten Wege, die wir von uns aus gehen, gewiesen: Weg, der im Hören auf Gottes Wort das Unmögliche wagt. Wir wissen durch Abraham, Mose und die Propheten, was wir ohne sie von Gott nicht wüßten. Wir haben sogar das Recht, weil dieser Gott sich in ihnen als der je Größere und je Nähere erwies, ihm den Namen, der Größe und Nähe wie kaum ein anderer unter den Menschen verbindet, zu geben, den Vaternamen. Doch vorerst ist er noch ein Name unter anderen. Die Größe des Weggenossen und Bundespartners Gott wächst dem Volk immer wieder über die Nähe dieses Gottes hinaus, das eigene Ich und Wir des Menschen [164] mit seiner belastenden Unmittelbarkeit gewinnen immer wieder Übergewicht über das liebende Du zum heiligen Gott.

Nun aber kommt einer, der anders Vater sagt zu diesem Gott als wir und der uns doch genau in dieses sein Vater-Sagen hineinholt. Er „weiß“ einfach, daß dieser sein Vater uns bis zum Äußersten liebt, daß er die Zeit angesetzt hat, um uns aus aller Fremde und Verlassenheit heimzuholen, um die versprengten Schafe zu sammeln und die verlorenen auf seine Schultern zu laden (vgl. Lk 15,3–7). Er „weiß“ einfach, daß dieser Vater auf der Warte seines Hauses steht, um Ausschau zu halten nach dem verlorenen Sohn und ihn in seine Arme zu schließen. Er „weiß“ einfach, daß dieser Vater jenes radikale Erbarmen und Vergeben, jene bedingungslose Treue und jenes ebenso bedingungslose Vertrauen fordert, die nicht Scharfmacherei eines Überstrengen sind, sondern Teilhabe am Maßstab, aber eben auch an der Seligkeit seines eigenen, erbarmenden Herzens bedeuten. Er weiß das alles, und daher heißt auch für uns durch ihn das Wort „Vater“, zu seinem Vater, zu Gott gesagt, etwas noch Größeres, Seligeres als bislang. Mit „Abba“ redet er ihn an, und das ist der Kosename, der familiäre Umgangsname für den Vater. Nicht mehr nur Weggenossen, sondern Hausgenossen dessen sind wir, von dem er da spricht.

Er ist dabei, sich auf die Reise zu machen zu diesem Vater. Er sagt uns, er wolle Quartier vorbereiten, damit wir mit ihm für immer beim Vater daheim wären. Eine merkwürdige Reise, die Reise durch die äußersten Grenzstationen des Daseins, durch den Tod hindurch. Dort muß die Pforte sein in das Haus des Vaters.

Das Johannesevangelium zeichnet uns diese Szene, und da finden wir einige für uns ganz wichtige Sätze. Jesus sagt da:

„Euer Herz lasse sich nicht verwirren. Glaubt an Gott, und glaubt an mich! Im Haus meines Vaters gibt es viele Wohnungen. [165] Wenn es nicht so wäre, hätte ich euch dann gesagt: Ich gehe, um einen Platz für euch vorzubereiten? Wenn ich gegangen bin und einen Platz für euch vorbereitet habe, komme ich wieder und werde euch zu mir holen, damit auch ihr dort seid, wo ich bin. Und wohin ich gehe – den Weg dorthin kennt ihr. Thomas sagte zu ihm: Herr, wir wissen nicht, wohin du gehst. Wie sollen wir dann den Weg kennen? Jesus sagte zu ihm: Ich bin der Weg und die Wahrheit und das Leben; niemand kommt zum Vater außer durch mich. Wenn ihr mich erkannt habt, werdet ihr auch meinen Vater erkennen. Schon jetzt kennt ihr ihn und habt ihn gesehen. Philippus sagte zu ihm: Herr, zeig uns den Vater; das genügt uns. Jesus antwortete ihm: Schon so lange bin ich bei euch, und du hast mich nicht erkannt, Philippus? Wer mich gesehen hat, hat den Vater gesehen. Wie kannst du sagen: Zeig uns den Vater? Glaubst du nicht, daß ich im Vater bin und daß der Vater in mir ist. Die Worte, die ich zu euch sage, habe ich nicht aus mir selbst. Der Vater, der in mir bleibt, vollbringt seine Werke. Glaubt mir doch, daß ich im Vater bin und daß der Vater in mir ist; wenn nicht, glaubt wenigstens aufgrund der Werke!“ (Joh 14,1–11).

Viele Erklärungen brauchen diese Worte nicht. Sie sprechen aus sich selbst. Der da uns den Vater kündet, der da mitten unter uns lebt, er ist das Antlitz des Vaters. Er ist das Wort, in dem alles Leben ist, alles geborgen ist, was da ins Sein gerufen werden kann. Er ist der rufende Ruf des Vaters – und als solcher die ewige Antwort an ihn. Er ist mit ihm geeint im gleich ewigen Hauch der Liebe, im Geist. Und er, aus dieser Liebe hergekommen zum Adam, sein sterbliches Wesen anziehend und tragend bis in den Tod, bis in die österliche Wieder-Holung der Erweckung des Adam ins Leben, er ist nicht nur der „Ecce homo“, das Antlitz des Menschen also, er ist zugleich der „Ecce Deus“, das Antlitz des Vaters. Wir brauchen nicht mehr hinter den Horizont und über alle Sichtweiten hinausblicken zu wollen, wir sehen bis in den innersten Grund. Er strahlt uns auf im Antlitz Christi. Wer ihn gesehen hat, hat den Vater gesehen.

[166] Glauben heißt jetzt, mit Jesus und in Jesus seine Geschichte mit dem Vater haben, seine Gemeinschaft mit dem Vater haben. Auf ihn blicken und so den Vater sehen. Mehr noch: durch seinen Geist „Er“ sein und so mit dem Sohn Söhne und Töchter sein, selber „Abba“ zu Gott sagen. Wie ernst und kühn das gemeint ist, das zeigen die Verse, die unmittelbar das Stück fortsetzen, das wir bereits zitierten:

„Amen, amen, ich sage euch: Wer an mich glaubt, wird die Werke, die ich vollbringe, auch vollbringen, und er wird noch größere vollbringen, denn ich gehe zum Vater. Alles, um was ihr in meinem Namen bittet, werde ich tun, damit der Vater im Sohn verherrlicht wird. Wenn ihr mich um etwas in meinem Namen bittet, werde ich es tun.“ (Joh 14,12–14).

So ganz soll Gottes Zukunft uns gehören, daß wir die Werke Jesu, die Werke Gottes tun, über Jesus hinaus. Was er begonnen hat – Rufen ins Haus des Vaters und die Einholung der Menschen in das Haus des Vaters –, die Liebe, die sich in jede Not und Fremde hineinsagt, um ihr den Vater zu beglaubigen: das soll durch uns weitergehen und wachsen. Nicht weil wir das könnten, sondern weil unser vom Geist bewegter Finger in der Fürbitte die Hand des Vaters bewegen kann.