Macht und Ohnmacht des Wortes

Ohnmacht des Wortes als Macht

Nun aber müssen wir noch einmal zurück. Und dieser Rückweg in die Situation kann deswegen um so direkter zu ihr führen, weil wir unserer Situationsanalyse scheinbar ein Stückchen entlaufen sind. Wir haben nämlich – und das ist zweifellos nicht nur eine immanente Interpretation unserer Anfangssituation – angefangen, vom lieben Gott zu reden und davon, wie er es macht. Aber fragen wir uns einmal: Ist es wirklich wahr, daß es bei Gott so einfach geht, wenn er spricht? Fragen wir uns theologisch! Oder ist es nicht so: Wenn Gott sich offenbart, wenn Gott sich uns gibt, wenn Gott es zuläßt, daß ein Wort als das unmittelbar und wahrhaft seine in der Welt steht, begibt sich dann eben Gott nicht auch in das Medium der Ohnmacht hinein? Auch sein Wort ist mißdeutbar, auch sein Wort kommt nicht an, auch sein Wort als Wort an einen freien Partner zwingt diesen Partner nicht zur Annahme, auch sein Wort hat ein Schicksal bis dahin, daß dieses Schicksal gar Gottes eigenes Schicksal wird.

So gibt es also nicht nur eine Ohnmacht des Wortes, die durch eine Optimierung des Wortes überspielbar und ausschaltbar wäre, sondern es gibt eine konstitutive Ohnmacht des Wortes. Und diese konstitutive Ohnmacht des Wortes besteht eben darin, daß ich in meinem Wort mich exponiere in die Mißverständlichkeiten, daß ich mich exponiere dem Angenommen- oder Nicht-Angenommenwerden durch den anderen. Bis dahin, mindestens bis dahin, reicht auch die Ohnmacht des Wortes Gottes. Die Ohnmacht Gottes in seinem Wort ad extra.

Wenn aber dem so ist, dann müssen wir die Situation, in der wir stehen, noch einmal bedenken und noch einmal verschärft anschauen. Dann stimmt es zwar, daß wir durch Optimierung der Verhältnisse zwischen den vier Polen die Sprache selber optimieren, die Ohnmacht verringern können; aber es bleibt die fundamentale Ohnmacht, daß mein Wort immer ein Drama ist, ein Drama der Selbstexposition und ein Drama des Betreffens des anderen, der Angebot und Anspruch erfährt, auf Annahme oder Ablehnung hin. Und dies ist Schicksal meines Wortes, daß er annimmt oder [90] ablehnt, und insofern, als ja ich in meinem Wort bin, Schicksal meiner selbst.

Hier aber können wir einen sonderbaren Satz formulieren: Die Ohnmacht des Wortes ist das Prinzip seiner Macht.

Fragen wir uns, was denn überhaupt Macht des Wortes und, mehr noch, Macht überhaupt bedeutet.

Macht bedeutet, daß ich in einem mir Äußeren oder Anderen bin. Sie können sagen: Nein, das stimmt nicht. Macht bedeutet doch zum Beispiel, daß ich etwas bewegen kann. Ja, wenn ich es bewege, ist mein Anstoß in diesem anderen als bestimmend präsent. Also bin ich in diesem anderen präsent. Das ist Macht. In dem, was das andere ist, wie es sich bewegt, wie es sich gibt, wie es reagiert, bin ich.

Sie können den anderen Einwand bringen: Ich sage doch auch, ich habe Macht über mich selbst. Ja, ich habe Macht über mich aber als über einen mir Gegenüberseienden, als über einen, den ich selber dirigiere, den ich selber in die Hand nehme, den ich selber zu etwas bestimme. Selbstbestimmung ist ja nicht Unbestimmtheit, sondern ist ja gerade dieses, daß ich mich, dieses Faktum und Datum, das ich mir bin, in eine bestimmte Richtung bringe. Sofern ich Macht über mich habe, bin ich mir gegenüber, und mein Wollen bestimmt meine Gegebenheit, meine Kräfte, die meinem Wollen vorgegeben sind. Immer bedeutet Macht, daß ich in einem anderen, zumindest in mir als einem mir gegenüberseienden „drinnen“ bin.

Macht – dies läßt sich durchspielen durch alle Möglichkeiten – heißt immer: Ich bin in einem, das sozusagen in seiner funktionalen Stellung mir gegenüber ist, das mir gegenüber ein anderes ist. Dann wird freilich deutlich, daß die geringste und eigentlich verfehlteste Form von Macht die bloße Gewalt ist. Denn wenn ich ein anderes vergewaltige, dann bin ich in ihm ja gerade nur äußerlich. Ich habe nicht die Macht, ihm von innen her innerlich zu sein, so daß es von sich aus mitgeht. Meine Macht ist viel größer, wenn ich so ich bin, daß der andere oder das andere von sich aus so ist, wie ich will, wenn ich also nicht gegen das Eigengewicht oder das Eigensein oder gar gegen die Freiheit des anderen der bin, der ich bin und in ihm bin als Bestimmender, sondern mit ihm, so daß er von sich aus dies ergreift und tut und will. Dies ist auctoritas. Und so bewirkt die auctoritas, daß der andere zustimmt, einstimmt, von sich aus so spricht, wie ich sage, mehr noch: von sich aus weiterspricht, von sich aus sich einbringt in dieses Wort, von sich aus mein Wort durch seinen neuen Akzent in der Antwort vermehrt. Daß ich dich zu dir entbinde und daß darin ich und du eins sind miteinander: dies ist Macht.

Dann aber ist auch klar, daß gerade meine Ohnmacht das Prinzip der Macht [91] ist. Macht ist um so größer, je mehr sie sich frei an Freiheit wendend, Ohnmacht zu ihrer Voraussetzung hat, die Ohnmacht nämlich, dich nicht zwingen zu können. Die Unerzwingbarkeit des Effektes des Wortes ist gerade Signum dessen, wie das Wort mächtig ist; denn darin ist das Wort mächtig, daß es die Freiheit des anderen herausfordert und bewegt. Wort als Weise, die mich als mich dem anderen gibt, ist genau daraufhin angelegt, daß du als du ins Spiel kommst und so eins wirst mit mir.

Der Übereinklang der freien Ursprünge miteinander ist das eigentliche Ziel des Wortes. Und nur durch diese Ohnmacht hindurch sich auszuliefern, sich auszusetzen und darin gerade den anderen so zu bewegen, daß nicht nur ein machbarer Effekt, sondern eine freie Übereinstimmung entsteht: darin beweist das Wort seine Macht.

Macht hat sozusagen zwei Spitzen. Die eine Spitze ist jene auctoritas, jene Vollmacht, die die Freiheit bewegt und sie nicht mindert, sondern mehrt; und die andere Spitze – sie konvergiert mit der ersten – liegt in der Allmacht des Erschaffens. Ich mache, daß du überhaupt bist. Ich gebe dir zu sein. Ich gebe dir die Kraft, daß du von dir aus bist. Ich setze mich in dir, denn du bist nur von meinen Gnaden: aber ich setze dich so, daß du nicht nur eine bloß äußere Bestimmung an mir bist, sondern selbst frei bist. Wer solches wirken kann, hat die größte Macht. Freisetzen ist das Entscheidende von Macht.

Das tut Gott, indem er schafft und indem er sich offenbart und indem er uns erlöst. Dies hat für uns erhebliche Konsequenzen. Ich soll über meine Ohnmacht nicht klagen und sie nicht überspielen, sondern ich soll zur Ohnmacht meines Wortes stehen. Ich soll die Chance dieser Ohnmacht erkennen. Nur wenn ich dies tue, nur wenn ich bereit bin, mich zu exponieren, bereit zur Ohnmacht – nicht einfach einen sicheren Effekt auf das Tablett legen zu können –, habe ich die Chance, daß mein Wort wahrhaft mächtig ist und nicht nur ein in sich ablaufendes, im Grunde uneffektives Geschehen bleibt.

Die Bereitschaft dazu, jeden Morgen, wenn man in die Schule geht, das anzunehmen: gerade in dem Verkauftsein an das, was die anderen tun, liegt die Chance, daß etwas passieren kann – diese Bereitschaft ist nicht leicht, aber sie ist, glaube ich, fundamental, wenn wir etwas mit dem Gott zu tun haben wollen, der eben gerade diese Ohnmacht zu seinem Lebensgesetz gemacht hat, indem er eine Welt geschaffen hat, indem er sich der Welt geoffenbart, indem er sich in die Welt hinein preisgegeben hat.