Das Neue ist älter
Omne ens est apostolicum
In der klassischen Transzendentalienlehre gibt es einen Grenzpunkt, an dem der Überstieg, die Übersetzung in ein von der je älteren und je neueren Ursprünglichkeit der Liebe geleitetes Denken am leichtesten gelingt. Es ist die Lehre vom bonum, vom Guten. Sicher, das Gute ist einerseits in der Sicht der Überlieferung die Konformität des Seienden mit dem appetitus, mit dem Streben und Verlangen des Menschen. Aber der Appetit liegt nicht nur auf der Seite des ein Gut Erstrebenden, sondern das Sein selber als Gutes hat seinen „Appetit“, und nur deshalb, weil das Sein selber unserem Wollen gut ist, kann unser Wille etwas als gut wollen. Bonum est diffusivum sui. Das Gute ist gut, indem es sich selbst verströmt. Es ist mehr als eine Einordnung in unser Sprachspiel, wenn dieses bonum in Entsprechung gesetzt wird zum apostolicum. Licht ist, indem es Strahlen sendet, Quelle ist, indem sie entspringen läßt und das Entspringende weggibt, weitergibt, „aussendet“. Daß der Vater den Sohn in die Welt sendet, daß der Geist von Vater und Sohn gesandt wird, daß Gemeinschaft mit dem Vater und dem Sohn und dem Geist zugleich Sendung, Apostolizität der Kirche und für die Kirche bedeutet – dies alles ist nichts nur Funktionales. In der Sendung des Sohnes und des Geistes wird welthaft das Innerste Gottes präsent: Mitteilung, Weggabe, Ausgang. Und Gemeinschaft mit Gott haben heißt hineingehen in diese innerste Seinsbewegung Gottes, in seine Bonität, in seine Vollkommenheit, die das Liebste weggibt und die Sonne scheinen und Regen fallen läßt über Gerechte und Sünder.
Alles, was ist, alles, was geschieht, wird dem, der an die Liebe glaubt, zum Zugedachten, zum Gefügten, zum Geschick. Alles ist mir zugedacht und zugesandt, was immer mir begegnet. Ich selber bin denen zugedacht und zugeschickt, welchen ich begegne. Sein heißt Botschaft sein, Geschenk sein.
Apostolizität, gesandt sein, beschenkt werden und sich weitergeben lassen, sich verschenken lassen, sich den anderen zudenken lassen, Sendung annehmen und übernehmen – das ist Charakter des von der Ursprünglichkeit der Liebe ergriffenen Christseins, aber auch des Menschseins, des Daseins überhaupt. Alles, was ist, [91] gerät in die Dramaturgie des Apostolischen, der Weitergabe und Antwort, in welchen sich Freiheit und Neuaufbruch vollziehen.
Vielleicht ist es hier als Randbemerkung am Platze, auf ein weiteres klassisches Transcendentale hinzuweisen: das Etwas, die Sache, die res. Alles Seiende hat seinen Gehalt. Wie übersetzt sich dies in unseren Kontext? Am ehesten vielleicht: omne ens est donum. Alles Seiende ist Gabe. Die Eigenheit, den Gehalt, den inneren Sinn dessen, was je ist, entdecke ich in der Ursprungsordnung der Liebe, wenn ich entdecke, welches die Gabe, welches – analog gesprochen – das „Charisma“ des jeweiligen Seienden, des jeweils Seienden ist. Realitas, Sachhaftigkeit, Inhaltlichkeit des Seienden, seine transzendental verstandene Eigenschaft, ist eben das, was ihm geschenkt ist und was sich in ihm weiterschenkt. Im Bonitätsvollzug, in der Sendung und Fügung des Seienden im ganzen wird dieser sein Inhalt offenbar.