Das Neue ist älter

Omne ens est sanctum

Als eine erste transzendentale Bestimmung taucht das Heilige in unserem neuen Kontext auf. Omne ens est sanctum, alles Seiende ist heilig – ens et sanctum con- [87] vertuntur, „seiend“ und „heilig“ sind gegeneinander vertauschbare Bestimmungen. Sind diese zwei Aussagen nicht allzu kühn? Denn nur Einer ist heilig, und in seinem Heiligsein ist genau das angezeigt, worin der göttliche Gott über alle transzendentale Bestimmbarkeit hinausweist. Er ist der Unberührbare, jener, vor dem all unser Sagen und Denken verstummt und der es zugleich aus dem betroffenen Schweigen verwandelnd erhebt in einen Lobpreis, welcher nicht mehr fassende Aussage, sondern anbetender Verweis ist. Und nun soll „heilig“ eine transzendentale Bestimmung, eine Seinsbestimmung werden, aussagbar von allem, was ist, sofern es ist? Jenes Heiligste der Heiligkeit Gottes aber, jenes, worin er alles besiegt und übertrifft und durch nichts zu übertreffen und zu besiegen ist, es ist in der Sicht unseres Hymnus, in der Sicht des Glaubens, die in ihm zum Ausdruck kommt: die Liebe. Jene Liebe, deren unverletzliches, überwältigendes, Erstarren und Erstaunen wie Seligkeit zugleich auslösendes Geheimnis es ist, sich zu entäußern, sich zu verströmen. Diese Liebe ist gerade das Mitgeteilte, das alles verwandelt, alles in ein neues Licht setzt. Sie ist das neue Licht, das nicht nur das, was ist, umspielt, sondern es von innen her durchdringt, in eine Entsprechung, in einer adaequatio zu sich und conformitas mit sich bringt. Weil alles geliebt ist, ist alles heilig. In allem glänzt das Geheimnis jener Liebe, mit welcher es wunderbar erschaffen und noch wunderbarer erlöst und erneuert ist. Heiligung durch die Liebe, dies ist das neue Wahrheitsgeschehen, das Heilige nimmt in der Ordnung der Liebe transzendentale Bedeutung an, und seine transzendentale Bedeutung rückt es an die Stelle, in welcher in der alten Transzendentalienlehre das verum, das Wahre steht. Die Wahrheit von allem heißt: Es ist heilig, geheiligt vom Alleinheiligen, von der Liebe. Liebe selbst aber ist heilig. Der Gott, der Liebe ist, ist näher, aber auch größer, seine Wahrheit ist, weil Liebe, nicht weniger, sondern noch „mehr“ Geheimnis.

In der klassischen Transzendentalienlehre wurde Wahrheit als adaequatio ad intellectum, als Entsprechung des Seienden zum Denken bestimmt. Dem entsprach als die innerste Wahrheit Gottes: Er ist jener, der das Denken schlechthin übertrifft, der keinem anderen entspricht als nur sich selbst. Seine Heiligkeit entzieht Gott der Kraft des Sprechens und Denkens, ihrer Sache zu entsprechen und zu gleichen. Gott, aufgehend aber als die sich verschenkende Liebe, nimmt alles hinein in sein eigenes Geheimnis und teilt darin zugleich dieses Geheimnis, das alles Ausdenken und Fassen übersteigt, dem mit, was immer ist und wie immer es ist. Sein eigenstes, unzugängliches Geheimnis, die Liebe, versiegelt und verwahrt und verwandelt so alles, was ist. Nur wenn Denken und Verstehen die Heiligkeit des Seins als Geliebtsein wahren, kommen sie in die Entsprechung zu dem, was ist. So holt sich ein: Der neue Name des Wahren heißt in der Ordnung der Liebe „heilig“.