Der Himmel ist zwischen uns

Orden

Orden und Klöster gehören zu den größten Schätzen der Kirche. So unterschiedlich ihre Berufungen auch sind, eines haben sie gemeinsam: Es gibt diese Orden und Klöster nur, [76] weil es Menschen gibt, die sich mit ihrem Leben radikal auf Gott, auf seine Herrschaft, auf Jesu Ruf zur Nachfolge einlassen wollen. Aber die Entscheidung eines jeden, der in einen Orden eintritt, ist zugleich Entscheidung zu den anderen, die denselben Weg gehen, Entscheidung zur Gemeinschaft, zur Gemeinschaft um Gottes willen. Und weiter: Nachfolge und Gemeinschaft nehmen Gestalt an, sie prägen eine bestimmte, verfasste, geregelte Lebensform aus. Hier kann man etwas ablesen von dem, was Jesus verkündet und vorgelebt hat. Klöster, Orden sind Jüngergemeinschaften, die um den Herrn versammelt sind.

Solche Jüngergemeinschaften sind entstanden, weil einzelne Menschen sich dem Anruf Gottes geöffnet haben. Sie haben ihren Ruf, ihren Weg, ihren Dienst vor dem Antlitz Gottes gefunden. Es war das Charisma der Gründer, diesen Weg exemplarisch zu gehen, so zu gehen, dass er auch Weg für andere wurde. Sie haben Menschen um sich versammelt, die allein um des Herrn willen sich von ihren Plänen und Wegen getrennt und zur Gemeinschaft zusammengeschlossen haben. Das Charisma des Gründers und die Gemeinschaft derer, die sich auf den Namen Jesu hin versammelt haben, um in diesem Charisma das ganze Evangelium zu leben: das ist die innere Geschichte eines jeden Ordens. So braucht es nicht zu verwundern, wenn viele dieser Gründer in ihren Schriften und Regeln auf die Verheißung Jesu hinweisen: Wo zwei oder drei in meinem Namen versammelt sind, da bin ich mitten unter ihnen.

In jeder Generation und zumal heute geht es in den Orden um die Treue zur ursprünglichen Berufung und um ihre Erneuerung. Ist nicht in dieser Verheißung der Weg gewiesen? Wo geistliche Gemeinschaften sich darum bemühen, dass der Herr in ihrer Mitte sein kann, dort, eigentlich nur dort kann [77] sich erschließen, was der Ruf und das Charisma des Gründers heute verlangen. Es gilt, sozusagen den Weg der Gründer in den Ursprung zurückzugehen: von der Gemeinschaft im Namen Jesu in den Ruf des Gründers, vom Herrn, der in der Mitte der Gemeinschaft lebt, in das, was er dem Gründer für seine Gemeinschaft aufgetragen hat.

Bei den verschiedenen Orden stehen verschiedene Aspekte des Evangeliums im Vordergrund. Dass im einzelnen Aspekt das ganze Evangelium ergriffen wird, unterscheidet das Charisma von der verengenden Häresie. Jedes Charisma aber, jede Berufung ist Berufung des lebendigen Herrn. Geht der Blick zuerst auf ihn, auf seine Gegenwart unter uns, dann kann dies die spezifische Berufung nicht verfremden, sondern wird sie erschließen, sie in ihrer wahren Mitte verankern. Wenn in allen Orden und Klöstern die Regel vor aller Regel heißt: so leben, dass der Herr in ihrer Mitte sein kann, so ebnet das die Vielfalt nicht ein, im Gegenteil! Zugleich aber eröffnet sich eine fundamentale Begegnung der verschiedenen Orden und Gemeinschaften miteinander und mit der ganzen Kirche.

Zum Besonderen der Lebensform in den Orden gehört, in mancherlei Ausprägung, die Verpflichtung auf Armut, Gehorsam, Jungfräulichkeit. An ihnen können wir eindrücklich nachlesen, wie Jesus in der Mitte Ziel und Fundament des Ordenslebens ist. Zunächst und unmittelbar wurzelt solche Lebensform in der Situation der Jünger, die der Herr um der hereinbrechenden Gottesherrschaft willen zur radikalen Nachfolge ruft. Wenn Gott im Ruf Jesu alles in allen zu sein anhebt, dann ist es sinnlos, mich an dem festzuklammern, was mein war. Dann ist nicht mein Wünschen und nicht mein Mögen, sondern nur sein Wille von Belang. Dann suche ich nicht mehr Gemeinschaft, in der ich mich menschlich einrichte und berge, sondern meine Erfüllung ist er allein, [78] und er öffnet mich für alle, sendet mich zu allen.

Jesus selbst geht uns diesen Weg vor, indem er sich dem Vater ausliefert am Kreuz: ganz arm, ganz weggegeben an den Willen des Vaters, allein ihm zugewandt und ausgespannt, um alle an sich zu ziehen. Und zum Vater gehend, kommt er zu uns, tritt er österlich in unsere Mitte. Schon jetzt öffnet sich ein anderer Weg, als selber zu haben, über sich selber zu verfügen, unmittelbar die Erfüllung von Ehe und Familie zu erfahren. Schon jetzt bewährt sich, dass der Herr uns alles schenkt, dass der Herr selbst uns führt, dass der Herr selbst unsere Erfüllung ist. Eine solche Daseinsform wäre bloße Anstrengung, wäre bloße Erwartung, die jeder Anschaulichkeit entbehrt, wenn sie nicht Leben mit dem gegenwärtigen Herrn in unserer Mitte wäre. Mit ihm aber ist diese Daseinsform Zeugnis und Anfang des Kommenden, des Endgültigen. Und so ragt in den Orden und geistlichen Gemeinschaften das Ende, die neue Schöpfung in unsere Welt herein. An ihnen kann jeder Christ ablesen, was es heißt: haben, als hätten wir nicht (vgl. 1 Kor 7,29–31), in der Welt sein, aber nicht von der Welt sein (vgl. Joh 17,11–18).

Die Perspektive des Endgültigen, der Erfüllung, die nicht mehr innerhalb dieser Geschichte erreichbar ist, war kaum einer anderen Epoche so fremd wie der unseren. Damit hängt die krisenhafte Situation in vielen Orden zusammen. Vor allem auch die bedrängende Not um den Nachwuchs. Was kann man tun, um diese Not zu wenden? Zum Leben mit Jesus in der Mitte führt nichts anderes hin als das Leben mit Jesus in der Mitte. Orden und geistliche Gemeinschaften, Familien, Gemeinden, Priester müssen dieses Leben leben.

Erst dann wird sichtbar, dass ihr Leben nicht Ausweg, sondern Weg ist. Und es wird sichtbar, dass jeder Weg Berufung von ihm ist. Wo Jesus in unserer Mitte der Filter unseres Lebens wird, da hören die unbesehenen und am Ende ungeliebten Selbstverständlichkeiten auf: Man heiratet eben, man probiert einmal etwas und schaut, was herauskommt. Nein, Jesus will etwas von mir, er hat für mich ein Leben bereit, und mit ihm kann ich herausfinden, welches. Ehe wird kostbar und Priestertum, jungfräuliches Stehen in der Welt und Gemeinschaft eines Ordens. Nur wo ich mein Schicksal mit dem gegenwärtigen Herrn bespreche, hört es auf, blinder Zufall oder eigenmächtiger Versuch zu sein. Solche Sicht tut not für den, der selber in der Entscheidung steht, sie tut aber auch not für jene, die sich sorgen um die Zukunft von Ehe und Familie, von Priestertum und geistlichen Gemeinschaften.