Grenzgänger der Transzendenz – eine Zielgruppe der Pastoral

Ordensexistenz*

Wenden wir uns nun noch jener Gruppe zu, die nicht durch Schicksal, sondern durch Entscheidung in die Nachbarschaft der Kinder und der Alten oder Kranken, so aber in die Nachbarschaft der Transzendenz gerückt ist: jenen, deren Existenz von einer Lebensform und Gemeinschaft „um des Himmelreiches willen“ bestimmt wird. Unser Leitsatz gewinnt bei ihnen sozusagen zwei Akzente: Das Ganze kommt ins Spiel.

Sowohl das Ganze wie auch das Spiel haben für sie eine besondere Weise der Entschiedenheit und der Offenheit an sich. Sie wissen, was dieses Ganze ist: Gottes Herrschaft steht vor der Tür und entscheidet alles. Auf ihn, auf den Nachfolgeruf Jesu, der diese Herrschaft in seiner Botschaft, seinem Weg, seiner Hingabe nahebringt, kommt alles an. Dies ist die Entschiedenheit des Ganzen. Und seine Offenheit: Dieses Ganze ist gerade „anders“ als die Weise, in welcher es ergriffen wird. Dieses Ganze ist Erfüllung, Leben ohne Grenze, Gemeinschaft in einem umfassenden, dichtesten Sinn. Und was Menschen in der zeichenhaften Nachfolge ergreifen, bedeutet vordergründig Verzicht, Ausfall von Lebensdimensionen, Loslassen von Wünschen, Erwartungen, Sehnsüchten. Die Nähe des Erfüllenden wird in einer zumindest scheinbaren Ferne dieses Erfüllenden repräsentiert.

Die Entschiedenheit des Spiels liegt an der Bindung, in welcher ein ganzes Leben in eine Gestalt eingebracht wird, die vom übergreifenden Ganzen und auf es zu ihre „Regel“ erhält. Es geschieht eine totale Antizipation des gesamten Daseins, eine Festlegung darauf, was der Inhalt des Daseinsspiels sein soll. Aber gerade so gibt der Mitspielende sich aus der Hand, wird ihm ungewiß, was das Spiel ihm bringt: das gebundenste Spiel wird zum offensten Spiel. Die Unbeschriebenheit kindlichen Schicksals und die Verschriebenheit des an die Grenze seines Daseins Gerückten, des Alten oder Kranken, schlagen ineinander über, verbinden sich.

Solches Leben ist in der Tat institutionalisierte Grenzsituation. Die fundamentale Grenzsituation unserer Zeit, der Zeit nach der Ansage und dem Anbruch des Gottesreiches in Jesus und vor seiner Wiederkunft in Herrlichkeit, prägt jene Daseinsform, die mit dem Namen „Evangelische Räte“ mehr oder minder treffend gekennzeichnet wird: Bindung an nichts anderes als ans nahende Gottesreich, darum radikale Offenheit für den Herrn allein im Verzicht auf die unmittelbare Erfüllung in Ehe und Familie – Weglassen alles Verfügbaren, alles Sichernden in einer sich an ihn ausliefernden Armut und in einem sich an Menschen ausliefernden Gehorsam um des Herrn willen. Weil am Ende der Herr allein alles in allem sein und uns so zu allen hin öffnen wird, weil wir in ihm nichts mehr brauchen und alles haben werden, weil wir unseren eigenen Willen in den seinen verlieren [151] und so gerade erfüllt und bestätigt wiederfinden werden, deswegen hat solches Leben seinen Sinn. Der Verzicht auf das unmittelbar Erfüllende ist das Zugehen auf das endgültig Erfüllende, den endgültig Erfüllenden.

Wir sprachen von „institutionalisierter“ Grenzsituation – und hier treffen wir jene Gefährdung, die mit der Größe solchen Lebens verbunden ist. Was als Wagnis, als Aufbruch angelegt ist, kann sich ins funktionierende sichernde System verkehren. Töricht, aber naheliegend, um solcher Gefährdung willen die Größe des evangelischen Lebens als Ideologie, als Selbsttarnung sich festhaltender Endlichkeit abzutun. Nicht minder töricht, aber auch nicht minder naheliegend, die Bindung an den Herrn allein und die Gemeinschaft im Herrn allein zu ersetzen durch Dynamiken und Techniken, die humaner und funktionaler erscheinen, im Grunde aber das Humanum zerstören, weil sie dem Dasein die Grenze, somit aber den Kontakt mit dem Anderen, dem Größeren, dem Unsicherbaren wegoperieren.

Die Entwicklungen der letzten Jahre und Jahrzehnte haben es drastisch gezeigt: Das Zeichen des evangelischen Lebens gehört zum Verwundbarsten, aber auch zum Kostbarsten christlicher und menschlicher Existenz. Wo dieses Leben auf dem Spiel steht, steht in der Tat das Ganze auf dem Spiel, jenes Ganze, dessen wir zumal in den „Grenzsituationen“ des Kindseins, Altseins, Krankseins und eben dieser Existenz um „des Himmelreiches willen“ ansichtig werden.