Theologie als Nachfolge

Ortsbestimmung für heute

Der Ort, von dem aus sich Nachfolge reflektieren läßt, der Ort der Theologie bleibt die Nachfolge. Nur in ihr wird offenbar, daß der Überschuß des Herrn und seines Evangeliums, daß die Unverfügbarkeit der Herkunft, Gegenwart und Zukunft von Theologie nicht Begrenzung und Einengung bedeuten, sondern Entbindung in die eigene Freiheit. Und nur in der Nachfolge wächst auch der Mut, das alte Erbe neu zu sagen, neu das Evangelium und Welt und Menschen einander zuzutrauen. Vor allem aber: nur in der Nachfolge sprechen sich der Herr und sein Evangelium so zu, daß sie gegenwärtiges Leben, treffender Anspruch und treffende Verheißung werden; nur in der Nachfolge sprechen sich die Worte und Fragen der Zeit und des Denkens so zu, daß sie das Wort und die Botschaft unverkürzt und neu zugleich zu sagen vermögen. Aus der Struktur gelebter Nachfolge haben sich – gerade im Kontext eines Franz von Assisi – Lebens-Worte erbildet, die ganz das Eigene und mehr als das Eigene, die eigene Erfahrung und den für sie konstitutiven Überschuß des wirkenden, fordernden, verheißenden Herrn aussagten. Der Nächste – das Kreuz – der Friede – die Armut: was das heißt, was das heißt im eigenen Leben [179] und mehr als nur im eigenen, was das heißt als Kommunikation mit dem Herrn, das erfahren wir bei Franz. Daraus lebt und denkt Bonaventura. Aber: hat Paulus, hat das vierte Evangelium, hat die junge Gemeinde, in der das Christus-Bekenntnis Gestalt gewann, aus anderem gedacht und gesprochen? Und wie soll es möglich sein, heute anders von Gott zu sprechen? Bloße Auslegung unserer Sinn-Verwiesenheit und Sinn-Erfahrung bliebe im Vorfeld des Evangeliums, bloße definierende und explizierende Auslegung des Tradierten käme kaum ins Vorfeld gegenwärtigen Fragens und Verstehens, bloße Addierung des beiden bliebe dürres Konstrukt. Dann aber heißt die Aufgabe für Theologie und Verkündigung – die Aufgabe nicht zuletzt für den, der seinen eigenen Glauben in seiner Glaubwürdigkeit neu zu gewinnen und zu vertiefen sucht: Sieh dich um, wo Nachfolge gelebt wird; ganze Nachfolge freilich, die sich nicht abschneidet von der unverfügbaren Herkunft des Evangeliums und seiner Tradition in der noch so armseligen Kirche, die ein Franz und Bonaventura durch die Naivität ihrer Treue mehr „kritisierten“, als jede distanzierte Reflexion es könnte, ganze Nachfolge, die nicht Gottes Zukunft durch den Rausch eigener Gegenwart oder eigenen Planens ersetzt; ganze Nachfolge, die nichts wegschneidet von jetzigem Gehorsam gegen Gottes Wort. In solcher Nachfolge, die ihre Spuren da und dort in der Kirche aufleuchten läßt, findet sich das Lebens-Wort für heute, das auch uns und unseren Zeitgenossen die Antwort des Petrus in den Mund legt: „Herr, zu wem sonst sollen wir gehen? Du allein hast Worte ewigen Lebens“ (Joh 6, 68). Darauf, auf solch gegenwärtiges Suchen und Nachfolgen, wollte unser Gespräch mit Bonaventura uns hinstoßen.