Volk Gottes auf dem Weg

Paradoxer Befund

Und doch wäre es ein frommer Irrtum, wenn man in der Zunahme des Kurswertes der Kirche unter den Themen öffentlicher Diskussion bereits eine neue Zuwendung des Menschen von heute zu Gott, Christentum, Glaube sähe. Vor 50, mancherorts auch noch vor 15 Jah- [3] ren hätte man auf die Frage nach dem Interesse der Allgemeinheit an der Kirche etwa antworten können: Man trägt die traditionellen Formen durch, man wandert nicht aus, doch die religiöse Überzeugung nimmt ab, der „lautlose Abfall“, das Entgleiten der vielen aus der Kirche, der sie treu zu sein meinen, ist im vollen Gange. Vor 10 Jahren wäre man wohl versucht gewesen, von einer größeren „Ehrlichkeit“ der Menschen zu sprechen: Traditionelles Kirchlichsein wurde abgebaut, aber die Frage nach dem Sinn, nach dem Heiligen, nach der existentiellen Begegnung mit Gott schien sich allenthalben und gerade auch weit weg von etablierter Kirchlichkeit zu rühren. Heute läßt sich, freilich überzeichnet, das folgende sagen: Das religiöse Interesse nimmt ab, das Interesse an der Kirche wächst. Mit der Zuwendung zum Thema Kirche, zu ihren Reformen und Entwicklungen, zu ihren Strukturen und Verlautbarungen geht eine tiefe Unsicherheit des Glaubens Hand in Hand, ein Mißtrauen gegen alles fraglos Geltende, gegen die Fundamente, ohne welche Kirche ein sinnloser Apparat wäre.