Voraussetzung des Dienstes: dienende Gemeinde

Partizipation*

Das Problem Teilidentifikation, aber auch die Lösungsrichtung „Identifikation durch Dienst“ verweisen auf ein zweites Problem. Wir deuteten bereits darauf hin, daß unsere funktionale und pluralistische Gesellschaft die menschliche Freiheit nicht nur vermehrt, sondern auch in eine Krise bringt. Viele fühlen sich trotz aller formalen Freiheitsräume geknechtet im Zwang der Leistungs- und Konsumgesellschaft, verplant in einen unmenschlichen Apparat. Die Antwort: Man strebt nach immer mehr Partizipation, Mitbestimmung. Das ist eine notwendige und auch im Ansatz richtige Konsequenz, nur darf das Spiel von Mitbestimmung und Kompetenzverteilung, von „Demokratisierung“ aller Lebensbereiche nicht demselben Fehler verfallen, um dessen Überwindung es doch geht. Im Klartext: [23] Bloß formale Kompetenzen, bloß formale Möglichkeiten der Mitwirkung bringen die Freiheit, das Eigene, das Unverwechselbare des einzelnen gerade nicht ein in die Gesellschaft, brechen den Apparat, seine Anonymität, seine Unfreiheit nicht auf. Es kommt darauf an, daß der einzelne Initiative entfaltet und in gesellschaftliche Gruppierungen einbringt, die nicht allein und nicht zuerst auf einen meßbaren Effekt abzielt. Mitgestaltung, um die es in der Mitbestimmung geht, kommt gerade nicht zum Zuge, wenn sie sich in der Mitbestimmung erschöpft. Gesellschaft ist nur menschlich, wenn sie nicht nur demokratisch ist. Wo alle Lebensäußerungen der Entscheidung aller unterworfen würden, gäbe es nur die Diktatur der Mehrheit, verkümmerte der innere Reichtum der Gesellschaft, würde Sachkompetenz fälschlich auf Entscheidungskompetenz reduziert, verkürzte sich aber auch für den einzelnen die Bandbreite möglicher Entscheidung.

Die Anwendung auf Kirche und Gemeinde fällt nicht schwer: Das Amt wird heute seine Aufgabe nur sachgerecht erfüllen können, wenn es in einem geregelten Kommunikationsprozeß der Mitwirkung mit dem ganzen Gottesvolk steht und wenn es sich auf seine eigenen Aufgaben konzentriert, die kein Ersatz der anderen Dienste und Aufgaben, sondern der Dienst an ihnen sind. Dennoch wäre eine Konzentration des kirchlichen Lebens auf die Mitwirkung aller an den Aufgaben des Amtes allein eine fatale Engführung. Nicht nur käme eigenständiger christlicher Dienst an Welt und Gesellschaft zu kurz, sondern es würde auch der Klerikalismus von gestern im Grunde nur auf eine weitere Gruppe hin ausgedehnt und somit konserviert: Der Kreis jener, die sich am Mitbestimmen in der Kirche beteiligen, bliebe im Endeffekt gering und höbe sich von der vielbesprochenen Basis so weit ab wie früher vielleicht der Klerus vom Kirchenvolk.

Konsequenz für den pastoralen Dienst: Die vielerlei genuinen Zuständigkeiten in der Gemeinde müssen gewahrt und gefördert werden, die Frage, wie viele überkommene priesterliche Funktionen auch von den anderen ausgeführt werden könnten, ist nicht die einzige und erste. In der Gemeinde muß außer dem Pastoralen im engeren Sinn die vielgestaltige Diakonie in den Sach- und Lebensbereichen der Welt eigenständig wahr- und ernstgenommen werden. Im pastoralen Dienst selbst muß zudem darauf geachtet werden, daß er nicht zu einer Vervielfachung von Minipriestern führt oder die innere Konsistenz des priesterlichen Dienstes in eine Vielzahl von Einzelrollen auflöst. Überschneidungen, Partizipation am selben Aufgabenbereich lassen sich kaum vermeiden, fallen auch nicht als das eigentlich Gravierende ins Gewicht. Vielmehr kommt es darauf an, in sich glaubhafte Gestalten unterschiedlicher Dienste zu finden, die einander zugeordnet sind, die auf den priesterlichen Dienst der Einheit zulaufen, die aber ihr eigenes Gewicht, ihre eigene Gestalt, ihren eigenen „Kern“ haben.