Gerufen und verschenkt. Theologischer Versuch einer geistlichen Ortsbestimmung des Priesters

Pastoral aus der „Pastoral Jesu“

Der Herr muß die Erlösung wirken, nur er ist Erlöser. Und doch hat er sein Tun wirklich Menschen an vertraut. Der Priester soll weitergeben, was er empfangen hat, er soll weitertun, was der Herr getan hat. Eine andere Methode, ein anderes Maß pastoralen und speziell priesterlichen Wirkens gibt es nicht. Wir wollen uns auf zwei Fragen beschränken, die als besonders geeignet und als besonders wichtig erscheinen, um Jesu erlösendes Tun in die Pastoral umzusetzen. Zunächst [177] fragen wir nach den Prioritäten, die Jesus in seinem Wirken setzte, sodann ganz einfach danach, was er „getan“ hat, um daraus für das Tun des Priesters Orientierung zu gewinnen.

Die „Prioritäten“ Jesu

Auf welche Personengruppen kam es Jesus bei seinem Leben und Wirken besonders an; wem wandte er sich besonders zu? Wir können darauf drei Antworten geben, die sich gegenseitig ergänzen: die Nächsten, das Ganze, jene am Rand.

Der Nächste

Indem Jesus die Gottesbotschaft des Alten Testamentes aufgreift und bestätigt, spitzt er sie zugleich zu, hebt er sie hinein in den neuen Horizont des anbrechenden Gottesreiches. Und hier ist einer der entscheidenden Punkte, an denen diese neue Nähe Gottes aufblitzt: der Nächste. Gottesliebe und Nächstenliebe werden schockierend in ihrer Untrennbarkeit, ja Gleichrangigkeit betont (vgl. Mt 19,19; 22,39; Mk 12,31.33; Lk 10,27). Zugleich – dies der zweite, ebenso bedeutsame Akzent – wird der Begriff des Nächsten entgrenzt, aller Einengung auf bestimmte Beziehungen und Kategorien enthoben: Jeder Nächste, gerade auch der unerwartete und unbequeme, fremde, allzuleicht übersehene, unscheinbare, ist der Nächste, in welchem Gott selber für sich Liebe fordert (vgl. Lk 10,25–37; Mt 5,44 und 46; Lk 6,27.32.35). Der Lehre Jesu entspricht auch sein persönliches Verhalten. Dieses läßt sich indessen nicht auf eine allgemeine, weltumschlingende Menschenfreundlichkeit hin deuten, sondern als das Ereignis der Zuwendung Gottes in der Zuwendung zu dem, der je im Augenblick Gottes der Nächste ist. Wie Jesus [178] Begegnung abweist und ermöglicht, wie er an herkömmlichen Ansprüchen vorbeigeht und auf kühn und ungemäß erscheinende andere Erwartungen zugeht, wie er sich zuwendet, aber auch Abschied nimmt, dies läßt sich nur aus diesem Augenblick Gottes her verstehen, in dem er beständig lebt und der seinem Wirken den einzigen „Plan“ entwirft. Keine Zeit für die Verwandten; Zeit für die kleinen Kinder; Einkehr bei Zachäus; Zeit für alle; Zeit für die Jünger; Unruhe und Ruhe: Gottes Herrschaft, der Wille und die Stunde des Vaters haben ihn ergriffen – und gerade so rückt der Nächste ins Licht dieser neuen, erlösenden Zuwendung Gottes, die in der Zuwendung dieses Jesus geschieht. Je inniger Menschen mit Gott leben, desto mehr gewinnen sie Anteil gerade an dieser Kraft der Zuwendung Jesu zu dem, der im Augenblick Gottes der Nächste ist. Wären nicht viele der Nöte mit der Zeit, welche wir in der Seelsorge haben, heute leichter zu bewältigen, wenn wir nicht zuerst aus fremden Erwartungen und eigenen Planungen, sondern aus dem Augenblick Gottes je uns dem Nächsten im Maß und Stil des Evangeliums zuwendeten? Kraft zur Zuwendung; Kraft zum Abschied; ganzes Dasein im Augenblick; aber auch Annahme dessen, Menschen enttäuschen zu müssen, zugleich aber die Kraft, dies in Liebe zu tun: das könnte uns aus dem Eindringen in Jesu Verhältnis zum Nächsten Zuwachsen.

Das Ganze

Der Nächste – und das Ganze. Eine Episode anstelle einer einläßlichen Herleitung: „Bei Tagesanbruch verließ er die Stadt und ging an einen einsamen Ort. Aber die Menschen suchten ihn, und als sie ihn fanden, wollten sie ihn daran hindern wegzugehen. Er sagte zu ihnen: Ich muß auch den [179] anderen Städten das Evangelium vom Reich Gottes verkünden; denn dazu bin ich gesandt worden“ (Lk 4,42f). Zuwendung bedeutet auch immer Aufbruch, Abschied, Blick aufs Ganze. Dieses Ganze, dieses Dasein für alle neutralisiert gerade nicht Jesu Dasein für den je einzelnen. Aber es unterscheidet diese Zuwendung von jener Haltung, die sich in den einzelnen verliert, auf ihn fixiert, Liebe eng werden läßt und dadurch auch den, dem sie gilt, im Grunde beengt und verengt. Von innen her ist die Freundschaft Jesu nicht die Selbstbestätigung des anderen unter Zuhilfenahme göttlicher Liebeskraft und Autorität. Indem Jesus den anderen ganz annimmt, öffnet seine Liebe diesen anderen zugleich über sich hinaus. Das ganze Erbarmen erspart dem anderen nicht die Entscheidung, sondern ermöglicht sie ihm. Die Leidenschaft für alle ist nicht Gegensatz zur Zuwendung zum je Nächsten; im Gegenteil: das neue Bild vom Nächsten, wir sahen es bereits, öffnet den Blick und das Herz über alle Barrieren hinaus.

Der Letzte

Und diese Leidenschaft für alle, für das Ganze hat zugleich die andere Konsequenz: Vorliebe für jene am Rand, die Schwächsten, die Gefährdetsten, die Ärmsten, die Unscheinbarsten. Weil Gott der Gott des Ganzen ist, blickt er auf die Ränder, schreibt er niemanden ab, kümmert sich gerade um jene, die verlorenzugehen drohen. Nur der Hirt gibt das Leben für die Schafe (vgl. Joh 10,11); weil ihm alle gehören, weil ihm an allen gelegen ist, deshalb läßt er die 99 Schafe, die in Sicherheit sind, und wendet sich dem einen, dem versprengten, zu (vgl. Lk 15,4–6). Diese Dreigestalt der erlösenden Liebe – Liebe zum Nächsten, Liebe zu allen, Liebe zum Letzten – ist die dynamische [180] Kraft christlicher, priesterlicher Seelsorge. Aus ihr läßt sich nicht eine neutral zu verifizierende Prioritätenliste seelsorglicher Aufgaben ableiten; wer sich aber dieser dreifachen Liebe öffnet, der wird im Mitleben mit dem lebendigen Herrn die Prioritäten seines Herzens verstehen und glaubwürdiger Zeuge der Erlösung sein können. Nie wird der Seelsorger „fertig“ sein, immer bleibt noch mehr zu tun, und nicht selten wird das „Zuwenig“ der eigenen Mühe und Fruchtbarkeit ihn bedrängen. Aber sich hineingebend in die erlösende Liebe und ihre Prioritäten, wird der Priester nicht steckenbleiben in der Trauer um sich und seine begrenzte Kraft, sondern diese Liebe wird ihn weiterfuhren zum neuen Aufbruch, zur neuen Zuwendung; und sie hat zugleich von innen her jene froh machende Dynamik des Wissens: Er vermag mehr als ich; Er ist am Anfang, wo ich am Ende bin.

Jesu erlösendes Tun

Wie hat Jesus „gewirkt“, was hat er getan, um Erlösung zu bezeugen und dem Menschen nahezubringen? Wir wollen bei dieser Frage mehr im Vordergrund, mehr bei der Oberflächengestalt des Wirkens Jesu bleiben als in jene Tiefe stoßen, die uns in den „eucharistischen Grundrichtungen“ seiner österlichen Hingabe begegnet sind oder die mit den drei Ämtern Christi als des Propheten, des Königs und des Priesters oder auch mit den drei Grunddiensten der Martyrie, der Liturgie und der Diakonie bezeichnet werden. Wir können, etwas schematisierend, von sechs pastoralen Tätigkeiten Jesu sprechen, die uns bereits in den ersten drei Kapiteln des Markusevangeliums begegnen und die sich im Gesamt der synoptischen, aber auch der johanneischen Überlieferung nachweisen lassen. Wir müssen diesen sechs Tätigkeiten freilich eine siebte, die entschei-[181]dende, vom Ende des Lebens und Wirkens Jesu her, hinzufügen. Benennen wir eingangs diese sieben Tätigkeiten der Pastoral Jesu, tiefer und grundsätzlicher gesagt, seines erlösenden Handelns: Jesus verkündet – Jesus ruft – Jesus treibt Dämonen aus – Jesus heilt – Jesus vergibt Sünden – Jesus sammelt, eint – Jesus stirbt.

Jesus verkündet. Er sagt an, daß die Zeit erfüllt und das Reich Gottes nahe ist (vgl. Mk 1,14f). Das Zeugnis des Wortes steht da, ist durch nichts anderes zu ersetzen, hat – zumindest in der einen Richtung der Betrachtung – den Vorrang. Warum? Gottes Ratschluß ist verborgen, Gottes Liebeswille und Liebestat brauchen den Ausweis der Eindeutigkeit und Endgültigkeit, und zugleich rufen dieser Liebeswille und diese Liebestat zur Unterscheidung und Entscheidung. Ansage und Zusage tun not, Bekenntnis tut not. Die geschichtliche Eindeutigkeit, das Hereinreichen des Geheimnisses Gottes in unser endliches Weltgespräch, Gottes Partnerschaft an diesem Gespräch, das kommt nur zur Geltung im Wort. Wer das Wort vorenthält, der läßt vielerlei Deutung offen. Gewiß ist alles, was Jesus tut, ist sein Leben selbst Verkündigung. Aber daß es Verkündigung ist, dies muß verkündigt werden. Nicht immer ist die Stunde des Redens, und oft braucht es der langen Bereitung und der behutsamen Beglaubigung des Wortes durch die Tat. Nicht wer sagt: „Herr, Herr!“, sondern wer den Willen des Vaters tut, hat verstanden (vgl. Mt 7,21). Und immer gilt auch, daß Gottes Liebe und Gottes Heilstat größer sind als das, was sich von ihnen sagen läßt. Doch zu dieser Größe gehört es, sich ins ärmere, kleinere Wort zu geben, um damit Gehör, Annahme, Raum in unserem Leben zu finden. Gottes unsagbares Wort ist sich nicht zu gut dafür, sich im menschlichen Sagen unterbieten zu lassen, ja selbst zu [182] unterbieten. Nur der Mut zum Wort, zum verbindlichen Verkündigungswort wird der erlösenden Liebe Gottes in Jesus gerecht. Verkündigung bleibt Grunddienst aller Pastoral.

Jesus ruft. In der Prägnanz und Typik, mit welcher Markus Jesu Wirken darstellt, schließt sich in bedeutungsvoller Unmittelbarkeit an Jesu Predigt eine andere Weise seines Wirkens im Wort an: das Rufen, das Berufen (vgl. Mk 1,16–20). Gottes Heilshandeln geht den einzelnen an, trifft ihn, fordert ihn ein, zieht ihn hinein in eine lebendige Beziehung und Gemeinschaft mit dem Herrn. Ist unsere Pastoral als Ganze „Berufungspastoral“? Haben wir den Mut, Priester und Ordensleute nicht etwa zu rekrutieren, weil wir sie brauchen, sondern durchscheinend und durchtönend zu werden für den rufenden Herrn; so von seinem Ruf her auf Menschen zuzugehen und mit ihnen umzugehen, daß sie – wie auch immer und wohin auch immer – sich als gerufen erfahren? Eröffnet sich in uns der Raum, in welchem der Herr als der Rufende gegenwärtig wird?

Jesus treibt Dämonen aus. Gerade bei Markus, aber keineswegs bei ihm allein, steht diese Tätigkeit mit im Zentrum des Wirkens Jesu. Nach der Predigt und nach der Berufung folgt unmittelbar dieser Erweis der Vollmacht im ersten Markuskapitel (vgl. Verse 21–28). Es wäre verhängnisvoll, diese Grundlinie im Wirken Jesu zu übersehen und sie deshalb, weil wir uns in unserem Weltbild mit den entsprechenden Passagen schwertun, abzudrängen. Daß wir der Erlösung bedürfen, heißt ganz elementar auch, daß wir der Erlösung von Mächten und Gewalten bedürfen, die uns besetzt halten, einengen, in unserem Tun und Wollen abhalten von jener Hinwendung zur Quelle, aus der wir allein leben können. Heinrich Schliers [183] Buch „Mächte und Gewalten“ (Mächte und Gewalten im Neuen Testament, Freiburg i. Br. 31963) ist noch immer eine hermeneutisch höchst bedeutsame Aufschließung dieses im Evangelium so unübersehbar wichtigen Sachverhaltes. Liegt es indessen nicht in der Logik dieser uns entfremdenden und von Gott, damit aber von uns selbst abdrängenden Mächte und Gewalten, daß sie sich in einer Zeit rationaler Aufklärung und Berechnung nicht in die Auffälligkeit besonderer Phänomene hinein artikulieren, sondern ihr Unwesen im Anonymen treiben? Die Gegenmacht, die so wirken kann, als wäre sie nicht da, wirkt am zielsichersten. Doch können wir diese Gegenmacht übersehen? Vielleicht sind die Namen des Dämonischen, die heute besonders aktuell sind: Selbstherrlichkeit und Resignation. Bei Selbstherrlichkeit ist zumal gedacht an jenen immer wieder blockierenden Gedankengang: Ich meine es doch gut, ich bin doch gut, also kann das, was ich will und tue, nicht böse sein. Ich habe den Anspruch darauf, daß das, was mir plausibel erscheint, auch das Richtige ist und so stehen- und bestehenbleibt. – Keineswegs weniger gefährlich, möglicherweise gerade unter Seelsorgern selber wuchernd, erscheint aber jener andere Dämon, der Dämon der Resignation. Auch wenn dies und jenes gut und schön ist – es hat im Grunde ja doch alles keinen Wert, denn nicht alles ist gut, nicht alles gelingt. Gut, daß trotz aller Schwierigkeiten Menschen kommen, Menschen glauben, Menschen lieben – aber ist es ihnen wirklich ernst? Und wie wird es morgen mit ihnen sein? Wo es wie selbstverständlich zum guten Ton gehört, das Negative als den unvermeidlichen Nachsatz hinzuzusagen, da setzt jene verheerende Lähmung ein, die dem Herrn die Übermacht seiner erlösenden Liebe nicht mehr zutraut. Der Gegensatz zu solcher Resignation ist nicht der Optimismus, der selbst, übersieht er die Abgründe und Gefahren, die dämonischen Züge der abenteuerlichen Harmlosigkeit an-[184]nehmen kann. Und doch: Ist nicht die Resignation das noch Gefährlichere? Lähmt nicht sie die Kraft jener Hoffnung, die nicht von sich, sondern vom Herrn Heil erwartet, wo wir mit nur eigener Kraft uns dem Heillosen nicht zu entwinden vermögen? Es ist eine der vordringlichsten priesterlichen Aufgaben heute, in der Kraft der Demut, die mehr vom Menschen weiß, der Selbsttäuschung durch den Dämon der Selbstherrlichkeit und Selbstgerechtigkeit zu wehren und in der Kraft der Hoffnung auf den Herrn die Müden und Enttäuschten dem Dämon der Resignation abzuringen.

Jesus heilt. Unmittelbar nach dem Bericht über die Dämonenaustreibung in der Synagoge zu Kafarnaum überliefert Markus die Heilung der Schwiegermutter des Petrus (1,29–31), und andere Heilungsgeschichten schließen sich an (1,32–2,12). Wer die Krankenheilungen aus Jesu Wirken herausstriche, der verkürzte auch seine Botschaft. Es gehört einmal zu dieser Botschaft, daß Gott, dessen Reich im Kommen ist, das Heil des ganzen Menschen wirken will und kann. Und wenn Jesus schon jetzt heilende Zeichen setzt, so beglaubigt er damit diesen Willen und diese Kraft Gottes. Zum anderen aber hat Jesu heilendes Wirken nicht nur prophetische Bedeutung – Ansage, Vorwegnahme, Anbruch der Zukunft Gottes –, sondern Heilen ist eine innere Qualität dieses Wirkens, gehört zu seinem erlösenden Charakter. Das Wunde und Gebrochene unserer Existenz wird umfangen von der aufrichtenden, stärkenden, eben: heilenden Macht des göttlichen Erbarmens. Der Mensch braucht nicht mehr krank zu sein an sich und seiner Welt, wo er zu leben vermag aus der Liebe Gottes. Es geht nicht um Beschwichtigung und Betäubung, um ein Krisen und Brüche überspielendes Wohlbefinden, sondern um das Neuwerden des Menschen aus seinem Ursprung, aus Gottes Ja. Die heilende Kraft des [185] Wirkens Jesu aber ist auch uns, ist auch denen anvertraut, die zum priesterlichen Zeugnis der Erlösung berufen sind. Werden dort, wo wir Menschen begleiten, mit Menschen sprechen, Verletzungen und Wunden wieder heil?

Jesus vergibt Sünden. Die Heilungsgeschichten des ersten Markuskapitels münden ein in die erregende Erzählung von der Heilung eines Gelähmten am Anfang des zweiten Kapitels (Verse 1–12). Diese Begebenheit ist verflochten mit einer Dämonenaustreibungen wie Heilungen überragenden neuen Qualität: Sündenvergebung. Das persönliche Nein des Menschen zu Gott in der Sünde ist das Tiefste, von außen schlechterdings Unzugängliche am unheilen Zustand des Menschen. Nicht göttliche Kräfte, sondern nur Gott selbst, unmittelbar und personal, kann hier Hilfe, Erlösung bringen. Gegen Gott richtet sich die Sünde, die Beziehung zu ihm ist zerbrochen – nur er kann sie neu stiften. Was fällig ist, bedeutet Neuschöpfung von Grund auf. Wenn Jesus Sünden vergeben kann, dann ist in ihm Gott selber da. Exegeten vermuten, daß gerade diese Begebenheit, die uns auch bei Matthäus und Lukas berichtet wird, auf die Sündenvergebung in der Kirche hin zu lesen ist: Menschen sprechen Gottes Vergebung vollmächtig anderen Menschen zu, weil in ihnen der menschgewordene Sohn Gottes wirkt und sie sendet, bevollmächtigt. In der Tat ist es das Abgründigste und Ungeheuerlichste, was dem Priester gegeben und aufgegeben ist: in Gottes Namen von der Schuld vor Gott loszusprechen, in Gottes Namen Gottes Vergebung zuzusprechen. Nur mit tiefster Scheu und Ehrfurcht vor dem, was zwischen Gott und der Seele eines Nächsten geschieht, kann hier der Priester seines Amtes walten. Nirgendwo ist er so klein, so weit weggerückt von allem eigenen Vermögen wie hier, und zugleich ist er nirgendwo so sehr angefordert und als er selbst in die [186] Gegenwart des Geistes und des Herzens gerufen. Heilige Seelsorger haben nicht umsonst gerade hier, im Dienst der Versöhnung, im Sakrament der Versöhnung, die Mitte ihres Seins und Wirkens gefunden.

Jesus sammelt und eint. Zweimal berichtet Markus von der Berufung je zweier Jünger (1,16f; 1,19f), einmal spricht er von der Berufung eines einzelnen (2,13f). Berufung ist persönlich, einmalig. Aber sie ist Berufung zur Gemeinschaft. Jene, die Jesus nachfolgen und ihm angehören, gehören zusammen. Er sammelt Jünger. Er verbindet sie in eine neue Einheit hinein. In der Härte des Urtextes heißt es im Blick auf die Apostel: „Und er machte zwölf, damit sie mit ihm seien und damit er sie aussendet, zu predigen und Vollmacht zu haben, die Dämonen auszutreiben; und er machte die zwölf..(In der Einheitsübersetzung: „Und er setzte zwölf ein, die er bei sich haben und die er dann aussenden wollte, damit sie predigten und mit seiner Vollmacht Dämonen austrieben. Die Zwölf, die er einsetzte, waren ...“) (Mk 3,14–16a). Noch im selben Kapitel wird berichtet, wie jene, die an ihn glauben, die sich in seinem Wort versammeln, um Gottes Willen zu tun, seine neue Familie, Bruder, Schwester und Mutter für ihn sind (vgl. 3,31–35). Das Lebensgesetz der von ihm versammelten Gemeinschaft, das Neue seiner neuen Familie, das Kennzeichen der Jünger ist jenes Kleinsein, jene Demut, jene Haltung des Dienstes und der Liebe, die sie eins sein läßt (vgl. Mk 9,33–37; 10,41–45). Es gehört zu Jesu ureigenem Tun, daß er zusammenführt, sammelt, Gemeinschaft bildet, Communio stiftet. Zuletzt und zutiefst geschieht dies in seiner dienenden Hingabe des eigenen Lebens als Lösegeld für die Vielen (vgl. Mk 10,45), die gegenwärtig wird im Bundes- und Opfermahl, in der Eucharistie (vgl. Mk 14,17–25). Gemeindebildung, Sammlung und Einung derer, die Jesu Namen [187] tragen, zum gemeinsamen Sein und Tun, zur einen Heilsgemeinde und zum gemeinsamen Heilsdienst sind nicht Zusatz zu einer dem je einzelnen zugewandten Pastoral; Predigt und Ruf, Befreiung von der entfremdenden Übermacht des Bösen, von Krankheit und Schuld, entreißen den Menschen der Isolierung, setzen ihn nicht nur in Kontakt mit Gott, sondern auch in Gemeinschaft mit den anderen. Communio ist die Daseinsweise der Erlösten; Dienst an der Erlösung ist Dienst zum Aufbau der Kirche; und Dienst zum Aufbau der Kirche ist Dienst an der Erlösung.

Jesus stirbt. Der Tod Jesu, das österliche Geheimnis seines Sterbens und Auferstehens ist das Geheimnis der Erlösung. Nicht in dem, was Jesus tut, vollbringt er das Erlösungswerk, sondern im Weggeben seines Werkes in die Hände des Vaters. Erst im Tod erreicht seine Einheit mit denen, die er erlöst, als Eingehen in ihre Lebens- und Schuld- und Sterbegestalt ihr äußerstes Maß – und gerade so vollendet sich auch die Gestalt seiner Sohneseinheit mit dem Vater, in welcher er sich von den äußersten Enden her ganz in seine Hand hineinlegt. Jesu Tun wird nicht hinfällig, wird nicht zurückgenommen durch Jesu Leiden und Sterben. Im Gegenteil: Durch den Tod hindurch, in der Auferstehung, ist dieses Tun dem bloß Historischen und Episodischen entrissen, wird es zur unerschöpflichen Gegenwart, zum je selben und doch je neuen Jetzt für uns. Das fordert aber vom Zeugen der Erlösung, sich selber auf diesen Weg Jesu einzulassen. Nicht die Behauptung des eigenen Tuns, nicht die Festschreibung dieses Tuns und das Verliebtsein in die eigene Fruchtbarkeit sind Zeugnis für die Erlösung, sondern die täglich neue Bereitschaft, mit dem Herrn zu sterben, auf daß wahrhaft er in uns lebt und in uns wirkt. Zeuge für die Erlösung ist, wer sich in Jesu erlösenden Tod [188] hineingibt, um so den einzigen Erlöser selbst in sich und in der Mitte seiner Kirche gegenwärtig sein und wirken zu lassen.