Gott und das Denken nach Schellings Spätphilosophie

Personalität Gottes

Wie deutet sich und artikuliert sich das göttliche „Ich bin“ selbst für Schellings Gedanke? Die Folge, die sein Verständnis göttlichen Selbstseins als Seins bei der Möglichkeit seines Anderen für dieses Andere erbringt, soll uns ihren Reflex aufs Verständnis der göttlichen Personalität anzeigen.

Der grundsätzliche Verhalt ist uns vertraut: Personalität in Gott ist vermittelt durch den Bezug auf die erste Potenz, auf die Urmöglichkeit, in der als bloßem Ansichsein Gottes sein Selbstsein verschwiegen, an sich gehalten bleibt, in der als der unversehens verlautenden Möglichkeit seines Anderen sie sodann aber selbst verlautet. Auch die Problematik dieses Ansatzes ist uns aus dem Erörterten offenkundig: Person ist hier verstanden als Ergebnis [279] einer – freilich nicht ontischen – Konstitution, als ens quod infolge seiner entia quibus, die das anfängliche Daß zur Person erheben und als Person auslegen, um es mit scholastischen Ausdrücken zu sagen. Das Sein von sich her und hinweg soll durch etwas erklärt werden, was es der Person vermittelt, daß sie von sich her und hinweg ist: Subjektivität – als der Wesenszug der ersten Potenz, als von sich weg umschlagen könnende Selbstheit – wird zum Interpretament der Person und so gerade zur Aufhebung ihres rein ursprünglichen Aufgangs aus sich selbst.

Was ergänzend zu solchem Ansatz an dieser Stelle referiert werden soll, ist nur der schematische Grundriß der spekulativ eigenständigen und eigenwilligen Einarbeitung der Elemente christlich-dogmatischer Trinitätslehre in den Gedanken Gottes und der Potenzen. Die Ausführung und Ausfüllung dieses Grundrisses leistet Schelling vor allem in der 15. Vorlesung der Philosophie der Offenbarung1.

Gott ist kraft der im Ansichsein seiner selbst geborgenen Möglichkeit seines Anderen der von diesem Anderen und zu ihm, so aber auch von und zu sich selbst, d. h. von und zu seinem Sein und Wesen unbedingt Freie, d. h. aber „absolute Persönlichkeit“. Als solche ist er der „Vater“2, denn von Ewigkeit an, also vom Auftauchen der Möglichkeit seines Anderen an, sieht und findet er bereits an sich selbst jenes, das es ihm möglich macht, diese seine Möglichkeit vom An-sich ins Außer-sich umschlagen zu lassen, weil es im Prozeß der erregten Möglichkeit als die zweite Potenz, als das Seinmüssende wirken, d. h. auf das außer sich geratene Seinkönnende einwirken, es ins Ansichsein und so ihm selbst zurückbringen, ihn selbst und zugleich sich selbst ins reine Sein restituieren wird.

Die Kraft seiner selbst, die das in die Andersheit geratene Können aushalten und in der er so seine Macht über das Andere durchhalten wird, ist – theologisch gesprochen – der „Sohn“.

Vorausersehen ist er von Ewigkeit an, vom Auftauchen der Möglichkeit des Anderen an als das ewig sie Überholende, aus ihr aber zu sich Erweckte, also „Gezeugte“. Im Vollzuge der Bemächtigung des „Anderen“, in seiner Zustandebringung als Begrenzung und Zu- [280] rückbringung in die Konsonanz und Selbigkeit mit Gott „verwirklicht“ sich diese Potenz, d. h. bewährt sie sich als wirklich, tritt sie ein in die Macht über das Seinkönnende, wird also der Möglichkeit des Anderen mächtig, wird sie also selbst Person, und zwar göttliche Person, Partner des Vaters in der Macht über mögliche Andere.

In diese Personalität und Gottheit tritt der Sohn ein mit dem Ende der Schöpfung, will sagen: mit der Erschaffung der [sic!] ursprünglichen Person, Partner des Vaters in der Macht übers mögliche Andere. [Er ist in] sich gekommen und so sich von außen wiedergebracht ist in jene Gottheit, also: Herrschaft des Seins, die von innen nie verloren war und unverlierbar ist3.

Im Menschen erscheint Gott aber, indem die Selbstgehörigkeit, das Beisichsein, das Seinsollende, die Subjekt-Objektivität erscheint. Sie ist, was theologisch der „Geist“ als dritte Person ist. Die Hinaussicht auf ihn ist das von Ewigkeit Gottes Möglichkeit zum Andern zur Freiheit Befreiende, sie ist das leitende Maß des gesamten Prozesses, das außer dem Wirken draußen bleibend ihn doch bestimmt und sich aus seinem Ende als Person und göttlich, als unbedingte Herrschaft des Seins, bestätigt und vollbracht sieht4.

Um Schellings Thesen formelhaft aufs trinitarische Dogma zu beziehen:

Die Potenzen sind als solche, als Potenzen, als Wirkmächte Gottes nach außen, sind an ihrer „Außenseite“ also, nicht die göttlichen Personen. An ihrer „Innenseite“ betrachtet, an dem, was sie für Gott sind und wie Gott selbst sie ist, stellen sie sich, wie folgt, dar:

Der Vater ist keine der Potenzen, er ist die unbedingte Person über ihnen, ist es aber durch den Bezug auf sie, und der Bezug auf sie geht durch die erste als die Möglichkeit seines Anderen hindurch. Von ihr her ist die zweite als das zu ihrer Beherrschung im Wirken Bestimmte der Sohn, die dritte als das zielhaft Maßgebende, Gottes Selbstbesitz, das Können als Können Restituierende der Geist. Das, was die Personen sind, gehört ewig zu Gott und ist unverlierbar in ihm, ihre Personalität und göttliche Personalität wird als solche wirklich, indem das Göttliche Gottes, seine Herrschaft übers [281] Sein in der Restitution Gottes im Andern, in der Erschaffung des Menschen als Schlußgeschöpfes nach außen, im Sein, wirklich wird.

Zu diesem in seiner Kürze um so befremdlicheren Aufriß soll ein dreifaches bemerkt werden:

1) Ein weiteres Mal fällt die Konsequenz auf, mit der Schelling seinen Ansatz dazu hinausführt, nachbegreifender Begriff der wirklichen Wirklichkeit zu werden, und mit der er die positiven Daten – hier: der Offenbarung – nicht etwa bloß rasch in seine Schemata einarbeitet, sondern das in ihnen Angesetzte genetisch auf sie zu denkt.

2) Zugleich „multipliziert“ sich aber die Differenz seines Personbegriffes, der vom Verhältnis zur Möglichkeit her konzipiert ist, zu dem der reinen und bloßen Urspünglichkeit des angehenden Aufgangs aus sich her aufs Andere zu, indem die Personalität der göttlichen Personen hier „konstituiert“ wird. Person ist nichteinmal mehr nur der den Potenzen entzogene Bezugspunkt, der in ihnen sich als Person realisiert; die Potenzen selbst werden „personifiziert“, Person wird zur Personifikation, letzteres gilt freilich nur von der „sekundären“ Personalität des Sohnes und Geistes.

3) Wenngleich so die Verfremdung eines Denkens personaler Beziehung ins Etwasdenken auf seine Spitze getrieben erscheint, nähert sich Schellings Gedanke gerade hier in dem, was aus ihm folgt, auf eigentümliche Weise dem, was er denken will. Dies soll im folgenden dargetan werden.


  1. XIII 310/336. ↩︎

  2. 311. ↩︎

  3. Zum Ausgeführten siehe 317–332. ↩︎

  4. Zur Pneumatologie 332–336. ↩︎