Christliche Spiritualität in einer pluralistischen Gesellschaft

Perspektive auf die Gesellschaft

Fast ließe sich dasselbe nochmals wiederholen, wenn es darum geht, die christliche Perspektive für die Sicht der Gesellschaft und den Dienst in der Gesellschaft zu formulieren. Stichworte, Akzente können daher hier genügen.

Vier Fluchtwege sind versperrt: Spiritualistische Auswanderung aus der Gesellschaft, pragmatisches oder integralistisches Aufgehen in der Gesellschaft, Identifikation einer gesellschaftlichen Entwicklung mit dem Heil, [107] ratloses Zuwarten auf die Lösung und Erlösung von oben.

Demgegenüber führt der christliche Weg zugleich in die Gesellschaft hinein und über sie hinaus. Die Botschaft, an die wir glauben, und das Heil, das wir erwarten, stehen vor, über und nach dem, was die Gesellschaft aus sich vermag und was sich in ihr durchsetzen läßt. Aber als das Vor, Nach und Über aller gesellschaftlichen Möglichkeiten und Mächtigkeiten erhalten Botschaft und Heil, erhält das Christliche seine gesellschaftliche Brisanz. Christen sind gerufen, dieses Vor, Nach und Über in der Gesellschaft zu repräsentieren und präsent zu machen, es gestaltend, leidend und hoffend offenzuhalten – nicht nur für die einzelnen, sondern auch für die Gesellschaft als Gesellschaft, für alle gesellschaftlichen Bereiche. Wenn nämlich eine Gesellschaft Maßstäbe und Ziele, Werte und Normen ausschließt oder als gesellschaftlich irrelevant abtut, die über sie hinausweisen, wird sie unmenschlich, droht sie, einem ideologischen oder funktionalen Totalitarismus zu verfallen.

Als Sachwalter des Vor, Nach und Über sind die Christen so zugleich in eine kritische und aufbauende Funktion für die Gesellschaft gewiesen. Es geht dabei nicht nur um das Vertreten und Durchsetzen christlicher Interessen, nicht einmal nur und zuerst um christliche Mission, sondern um die Identität des Menschlichen, die nur dann gewahrt wird, wenn das Andere des bloßen Menschlichen sein Horizont bleibt.