Theologie als Nachfolge

Phänomenologie des Anfang-Seins

Wie schon angedeutet, impliziert solches transitive Anfangen eine bislang übersprungene Stufe: transitiv anfangen kann nur ein Wesen, das in sich von der Wesensart des Anfangs ist, das im strengen Sinn Prinzip ist, das sich je schon gehört, schon bei sich ist – ohne solches wäre die Konzentration des Sich-Zusammennehmens, des Sich-Sammelns, eben: des Anfangens nicht möglich. Die Stelle, an der dieser Charakter des Anfang-Seins zum Tragen kommt, ja für uns selbst erst sichtbar wird, ist allerdings das transitive Anfangen. Lesen wir die Konstitution unseres eigenen Anfang-Seins an diesem springenden Punkt des transitiven Anfangens ab. Wenn ich anfange, nehme ich nicht nur einfachhin meine Kräfte, meine zerstreute Aufmerksamkeit zusammen, um mich auf den Anfang zu konzentrieren; ich nehme mich selbst, etwas anfangend, in die Mitte zwischen mich und mich. Ich bleibe meinem Anfang als Anfangender voraus, und diesen meinen Standpunkt, als in mein eigenes Anfangen hinein aufbrechend, bekomme ich nie hinter mich; ich bin je der Voranfängliche, auch und gerade dann, wenn ich alsdann etwas anfange und hernach es angefangen habe. Rein zeitlich: Ich bleibe einer, der dies angefangen hat, kann diese meine Vergangenheit, kann mich als Voraussetzung meines Anfangens nicht von mir abstoßen. Fundamental: Ich als Quelle gehe nicht dahinein auf, bloß mir entsprungen zu sein. Zugleich aber entwerfe ich, etwas anfangend, nicht nur etwas, sondern mich, mich als einen, der durch diesen Anfang bestimmt ist, mich als einen, der dieses oder jenes wollend sich so oder anders will. Ich bin meine eigene Zukunft, bin sie aus mir her, und der Anfang ist die Mitte zwischen mir als meiner nie verfügbaren Ursprüng- [68] lichkeit, meinem von mir selbst nicht eliminierbaren Herkommen aus mir selbst und meinem Seinwerden, das von mir, von meiner Herkunft, die ich selber bin, ausgeht und sie zu sich bringt. Diese meine Zukunft, dieses mein Seinwerden geht aber nicht nur von mir als Herkunft, sondern sie geht auch von dem Anfang aus, der die Mitte ist zwischen mir als Herkunft und mir als Zukunft. Bin ich dann aber durch mein Anfangen fremdbestimmt? Keineswegs. Denn was ist dieser Punkt meines Anfangens? In seiner Tiefe gelesen, bin ich es selbst, ich als der, der sich widerspiegelt und in solcher Spiegelung seine eigene unverfügbare Herkunft als die Offenheit seiner eigenen Zukunft gewahrt: ich kann so und so sein, ich will so und so sein, indem ich will, daß dies oder jenes sein wird. Ich bin also in dreifacher Stellung da in meinem Anfang: da als reiner Ursprung, hinter den, sofern ich Ursprung bin, nicht zurückzukommen ist; da als das lichte Vermögen des Entspringens, ohne welches Vermögen ich gar nicht Ursprung wäre, als Gegenübersein zu mir, als Gegen-wart, worin meine Ursprünglichkeit für mich selbst erst aktuell ist und zugleich zur Potenz wird, zur Offenheit und Fähigkeit über mich hinaus; da schließlich als die in solcher Gegen-wart, in solcher Helle anvisierte Zukunft meiner selbst, die aber nicht bloßes Resultat ist, sondern der abschließende, vollendende Konvergenzpunkt meiner mit mir, auf den hin ich in meiner Helle, meiner Gegenwart mich selbst so und so entschließe und entscheide. Meine Gegenwart, meine Helle, die mich als Ursprung zu mir als dem, der ich sein werde, vermittelt, ist die eine Mitte meiner selbst zu mir und zu meinem anderen hin, will sagen: Mitte des Weges meines Ausgangs von mir und meiner Rückkunft auf mich, Mitte also in Richtung auf die mich in mir beschließende und mein Beimirsein vollendende Re-flexion, aber auch Mitte meines möglichen Weges zum anderen, meines Anfangens von etwas, Mitte also auf dem Weg meiner das andere seinlassenden Pro-flexion. Ein zweifaches Mißverständnis muß hier ausgeschlossen werden. Das eine: Herkunft, Gegenwart, Zukunft, das ist ein zeitliches Modell, wie es sich aus meiner Existenz in der Zeit und erst [69] recht aus meinem Etwas-Anfangen in der Zeit her nahelegt. Die Grundverhältnisse: ich als von mir ausgehend, ich als in mir selbst mir gegenüber, ich als das beide Positionen vermittelnde, ihre Identität gewährende Woraufhin meiner selbst: solches wird nicht erst durch einen zeitlichen Prozeß, durch eine zu meinem Dasein nachträgliche und zu-fällige Aktivität gesetzt; es ist vielmehr die jeden Augenblick schon geschehene und weiter geschehende Geschichte, die ich bin, indem ich meine Geschichte habe. Da ich freilich nicht reiner, sondern entsprungener Ursprung bin, erhält die Zeitlichkeit der Geschichte, die ich bin, ein Eigengewicht, das die Momente meines Beimirseins, sosehr sie meiner Geschichte je vorausgesetzt sind, dennoch in die Differenz, in die Krisis zwischen Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft spannt: Ich bin nicht ganz bei mir gegenwärtig, nicht ganz mir zur Verfügung, nicht ganz in die Helle meiner selbst, nicht ganz in die Mächtigkeit zu meinem anderen gesetzt, ich bin noch nicht ganz, ich bin nicht ganz, was ich sein werde, meine Zukunft, auf die hin ich mich entwerfe und die mich mir zuentwirft, ist mir nicht ganz präsent, ist nicht ganz entschieden – und so wird meine unverfügbare, voranfängliche Ursprünglichkeit mir selbst nicht nur zum Quell der Freiheit, sondern zur nachträglich zu übernehmenden Verfügung. Dieses „nicht ganz“ heißt aber zugleich, ja von seiner Wurzel her: ich bin nicht allein, nicht ausschließlich die Bedingung und die Gewähr meiner Gegenwart und meiner Zukunft, wie ich eben auch nicht aus mir her, sondern allein aus meinem Entsprungensein Ursprung bin. Dennoch ist es möglich und legitim, die Momente meines Selbstseins aufs darin intendierte reine Ursprungsein und Anfangsein hinzulesen. Zweites Mißverständnis, das mit dem ersten unmittelbar zusammenhängt: Wir wurden der Momente unseres Anfangseins am Vollzug des zu diesem Anfangsein je nachträglichen Etwas-Anfangens gewahr. In der Tat bin ich, als zeitlicher Ursprung nur Anfang, indem ich zugleich etwas anfange – was nicht jeden Augenblick eine bewußte Aktivität, einen verantworteten Entschluß meint. Dennoch wäre es sowohl im Blick auf den Menschen als auch erst recht im Blick auf unbedingte Ursprünglichkeit ein Miß- [70] verständnis, das Etwas-Anfangen, die vollzogene Wendung nach außen, zur Bedingung oder auch nur zur notwendigen Konsequenz des Anfangseins zu erklären.