Volk Gottes auf dem Weg

Pilgerndes Gottesvolk

[19] Es zeichnet gerade unser heutiges Verständnis der Kirche, daß sie sich auf ihr „Unterwegssein“, daß sie sich darauf also besinnt, daß sie „pilgerndes Gottesvolk“ ist (vgl. die Kirchenkonstitution des II. Vaticanum Nr. 10, 48–51). Die Gründe hierfür liegen einesteils in der neuen und unmittelbaren Zuwendung zum Wort der Schrift; hier wird deutlich, daß die lange gängige Gleichsetzung zwischen Reich Gottes und Kirche dem Textbefund nicht ganz gerecht wird. Andernteils unterstreicht die Erfahrung der Situation, in welcher die Kirche heute inmitten der Welt lebt, diese biblisch begründete Er­kenntnis. Es wird uns immer deutlicher, daß wir nicht in einer „christlichen Welt“ leben. Die Strukturen und Maßstäbe der Welt decken sich keineswegs allgemein und nahtlos mit einer „christ­lichen Weltanschauung“. Kirche ist heute viel eher wieder die „kleine Herde“ (Lk 12,32). Man spricht, zu Recht, von der „Diasporasituation“ der Kirche. Das steht nicht im Widerspruch zu der neuen Zuwendung des Interesses der Öffentlichkeit zur Kirche, von dem die Rede war. Im Gegenteil, die Kirche, die vermeint, schon selbst „die Welt“ zu sein, verdeckt sich und ihren Auftrag viel eher dieser Welt als die Kirche, die weiß, daß sie, klein und vorläufig, nur in der Welt ist, ein Zeichen für die Welt, das nichts aus sich vermag, sondern alles nur aus dem, der sie zum Zeichen gesetzt hat.

Die Nähe der Berufung der Kirche zur Berufung des Volkes Israel im alten Bund tritt deutlich ins Bewußtsein. Daß Gott ein kleines, unscheinbares Volk herausgenommen hat aus den vielen Völkern, um es zum „priesterlichen“ (vgl. Ex 19) Zeichen für die Welt zu machen (vgl. Ex 19,4–6), daß er es auf einen Weg der Wanderschaft gerufen hat, der menschlich wahnwitzig gewesen wäre ohne die Hoffnung auf Gottes Führung und Verheißung, dies ist das „Erbe“, welchen das neue Gottesvolk aus allen Völkern und inmitten aller Völker, die Kirche, übernimmt. Sie ist das priesterliche Volk, das der Welt durch sein Leben und Leiden, durch sein Bei­spiel und seine Bereitschaft zur Antwort an jedermann das Zeugnis der Hoffnung ablegen soll (vgl. 1 Petr, bes. 2,4–12).