Neuer Ansatz in Sicht?

Pluralismus

Das Stichwort für dieses Nebeneinander ist uns vertraut: Pluralismus. Aber mit diesem Stichwort ist Weittragendes über die Situation des Christlichen in der Gesellschaft und über die Position der Gesellschaft zum Christlichen angerissen. Pluralismus, das meint eine Vielzahl von Weltanschauungen, die mit gesellschaftlich gleichem Recht und grundsätzlich gleicher Chance nebeneinanderstehen. Pluralistisch ist jene Gesellschaft, die nicht mehr durch eine einheitliche, für alle verbindliche Überzeugung zusammengehalten wird. In einer solchen Gesellschaft ist das Christentum also ein Angebot zur Deutung des Menschen und der Welt unter anderen.

Einerseits ermöglicht eine pluralistische Gesellschaft dem einzelnen das gemäße Verhältnis zu Angebot und Anspruch des Christentums: er wird nicht durch einen Druck von außen, nicht durch eine bloße Anpassung an die Gesellschaft ins Christliche hineingedrängt, es kommt auf seine freie Glaubensentscheidung an. Andererseits hat er es in der pluralistischen Gesellschaft schwerer, zu dieser Glaubensentscheidung durchzustoßen; denn auf dem Markt der Weltanschauungen [19] sich nicht nur nach Laune und Belieben zu bedienen, sich nicht nur von den eigenen Bedürfnissen und Wünschen leiten zu lassen, sondern in einem einzigen der Angebote die endgültige und totale Wahrheit seines Heils zu erkennen und anzunehmen, das scheint den „Käufer“ zu überfordern.

Die gezeichnete Situation verschärft sich noch, wo der Markt der Weltanschauungen nur als Markt für Luxusartikel erscheint. In unserer pluralistischen Gesellschaft geht in der Tat die Tendenz dahin: Unterschiedliche Überzeugungen und Weltanschauungen stehen nicht nur gleichgültig nebeneinander, sondern Weltanschauung, Überzeugung überhaupt werden gleichgültig, rücken neben die Realität.

Woher kommt das? Hintergrund, wenigstens ein Hintergrund für unsere pluralistische Gesellschaft ist die Technisierung des Lebens. Je weiter die Technik hineingreift in alle Daseinsbereiche, umso mehr werden alle abhängig von allen. Ein einziger großer Funktionszusammenhang hält die Gesellschaft in Gang und stellt an jeden den Anspruch mitzumachen, sich anzupassen, mitzufunktionieren. Nicht mehr was man sich beim Funktionieren denkt, sondern daß man das Funktionieren nicht stört, wird entscheidend. Dies ist nicht böser Wille von irgendjemand, es ergibt sich wie von selbst. Aber die Konsequenz heißt eben: Weltanschauung, Glaube, Sinndeutung werden zum bloßen Zusatz, sind nicht mehr von öffentlichem und allgemeinem Belang, spielen nur noch im privaten Bereich eine Rolle.

Wo der Streß des Mitmachens und Mitkommens zu stark wird, wird gerade der „Zusatzanspruch“, den Religion, den Christentum stellt, am ehesten abgebaut, abgestoßen – es klappt ja auch ohnedies. Man ist nicht gewillt, zum beständigen Muß des Lebens auch noch [20] ein weiteres „Du sollst“ auf sich zu nehmen. Man fragt allenfalls, wie man Hilfe, Trost, Motivation für seinen Alltag und für die schweren Stunden von der Religion empfangen kann. Die Konsumhaltung setzt sich durch, die für einen möglichst geringen Preis möglichst viel erhalten will. Man ist so auch leicht geneigt, zwischen den Angeboten umherzuschwärmen und jeweils das herauszupicken, was da oder was dort gefällt, nützt. Ein ungeteiltes Ja zu einer Wahrheit fällt schwer, bloße Teilidentifikation – ein bißchen Christliches, ein bißchen östliche Meditation, ein bißchen liberaler Humanismus – breitet sich aus. Das Angebot des Christlichen, letzte Antwort zu sein, und sein Anspruch, ganze Antwort zu verlangen, stoßen also mehr und mehr auf Unverständnis. Wo nicht Gleichgültigkeit oder gar Abkehr vom Christlichen die Folge sind, da legen sich „vermittelnde“ Umdeutungen nahe: Man beschränkt sich auf den sozialen Aspekt des Christentums, Christentum als Garantie sozialen Friedens, als Ansporn zum Dienst für die anderen; oder man versteht Christentum bloß als Lebenshilfe, als Weg zur Selbstfindung, als Kraft zum Bestehen im Streß.