Politik und Zeugnis

Politik und Zeugnis

[315] Ich bin dankbar, einigen Menschen begegnet zu sein, die durch ihre Haltung, ihr Wirken und ihre Ideen meinem Nachdenken das Thema aufgaben: Politik und Zeugnis. Zu diesen Menschen gehört Bernhard Vogel. Für mich ist sein Wesen und Wirken auf Leitfragen hin durchsichtig wie etwa: Welche Wahrheiten und Werte brauchen politische Anwaltschaft - und welche Anwaltschaft brauchen sie? Welche Wahrheiten und Werte sind so wichtig, daß sie unaufgebbar das eigene politische Handeln prägen müssen - welche Wahrheiten und Werte sind so wichtig, daß es politisch auch gefordert sein kann, um ihretwillen auf politische Ämter zu verzichten?

Politik ist, bei solchem Ansatz, keineswegs darauf reduziert, die „Geschicht' von der Moral“ zu sein, in der eben die „Moral von der Geschicht'“ (oder auch von mehr als bloß der Geschichte) in gesellschaftliche Realität mit Hilfe von Macht umgegossen wird. Umgekehrt ist dieser Ansatz freilich der Widerspruch gegen die Annahme, daß Politik sich darauf beschränken könne, jene Kunst zu sein, wie Macht zu erringen, zu bewahren und zu erweitern ist. Das funktionale und das ideelle Moment in ihrem unvermischten und ungetrennten Zusammen bezeichnen nicht eine Metaebene von Politik, sondern deren Wesen selbst, wie eine Phänomenologie des Politischen aufzeigen kann.1

Mit dieser Spannung zwischen den Wahrheiten und Werten, für die es nötig ist und sich lohnt, Politik zu machen, und ohne die Politik als solche verkäme, und den Gesetzmäßigkeiten, unter die diese Wahrheiten und Werte geraten, wenn sie Politik bestimmen und politisch relevant werden sollen, hat unser Thema „Politik und Zeugnis“ zu tun. Es kann hier nicht systematisch aufgearbeitet werden; doch einiges, was in seinem Kontext zu bedenken ist, kann zur Sprache kommen, wenn wir vom christlichen Verständnis des Zeugnisses und des Zeugen ausgehen und von ihm her die Aufgabe und die Bedingungen von Politik anvisieren.


  1. Vgl. Welte, Berndhard: Über das Wesen und den rechten Gebrauch der Macht, Freiburg 1960 und Hemmerle, Klaus: Unterscheidung des Politischen, in: Unterscheidungen, Freiburg 1973, 112–127; Politik und Ethik, in: Mols, Manfred/Mühleisen, Hans-Otto/Stammen, Theo/Vogel, Berndhard (Hg.): Normative und institutionelle Ordnungsprobleme des modernen Staates, Paderborn 1990, 66–79. ↩︎