Gott und das Denken nach Schellings Spätphilosophie

Positive Philosophie

Die Vielfalt seiner Weisen, die dem fragenden Denken erwächst, führt, wie gesehen, über das bloß fragende Denken hinaus: in den Weisen des Fragens, die sich in der Freigabe ans Erfragte und Befragte erbilden, gewinnen das Erfragte und Befragte je selbst die Bahn, unverstellt von sich her dem Denken aufzugehen, ja schaffen sie sich je ein ihnen gemäßes Denken. Diese Bahnen des antwortenden Aufgangs des Erfragten und Befragten ins Denken erhalten dort ihren besonderen Rang, wo das Erfragte und Befragte „größer“ sind als die Faßkraft des Denkens, wo die Struktur des Denkens dem, wonach das Denken ausgreift, nicht mehr einsinnig entspricht, wo sie also nicht mehr begreifend in sich „unterzubringen“ vermag, was da an- und aufgeht. Wir sprachen in diesem Zusammenhang von direkter Anrede und indirektem Verweis, die gleichwohl [107] „eigentliche“ Weisen des Denkens, besser: Weisen zu denken, sind, weil das jeweilige Denken weiß: nur so, nicht in feststellender oder begreifender Ablösung wird es dem hier es Angehenden gerecht, weil es also sich durchsichtig ist und sich verantwortet, indem es tut, was scheinbar „nicht mehr“ Denken ist, eben: anreden, verweisen.

Es ist nun das Erregende an Schellings Spätphilosophie, daß sie – und zwar die für sie zugleich höchste und bezeichnende – eine Weise ihrer selbst entwickelt, die sich in der Gegend ansiedelt, ja in gewisser Weise diese Gegend dem Philosophieren des Abendlandes wieder thematisch und reflex eröffnet, auf welche wir mit „anredendem“ Denken hinzudeuten suchten.

Sowenig, per definitionem, eine Definition von anredendem und verweisendem Denken ihr Eigenes zugänglich vermitteln könnten, so ungenügend wäre auch eine Einführung in die Denkweise positiver Philosophie durch bloße Begriffsbestimmung. Solche Begriffsbestimmung positiver Philosophie ist notwendig, weil diese im Ganzen der systematischen Selbstvollstreckung des Denkens, wie Schelling sie konzipiert, einen, ja den entscheidenden Platz innehat. Aber die positive Philosophie geht nicht darin auf, einen Platz im Gesamtsystem zu haben, und so soll zunächst auf begründende Erläuterungen Schellings zur positiven Philosophie verwiesen werden, welche die phänomenale Nähe ihrer lebendigen Anlässe zu unseren Beobachtungen über ein anredendes und verweisendes Denken zeigen, ehe ihre systematische Funktion und die Mittel ihrer Durchführung zur Sprache kommen – hier wird uns der Unterschied begegnen, der sie in ihrem Bezug aufs „Seiende“ von einem unmittelbar „dialogischen“ und „geschichtlichen“ Denken absetzt.