Das problematische Verhältnis von Philosophie und Theologie

Positive Verhältnisbestimmung

Wie also läßt sich das Verhältnis von Philosophie und Theologie aus der Perspektive der Theologie her positiv bestimmen, und wie gewinnen aus diesem Verhältnis Theologie und Philosophie ihr Profil?

Gehen wir, unserem Ansatz gemäß, vom Eigenen der Theologie aus. Die Herkunft der Theologie allein aus dem Ursprung der Offenbarung, allein aus der auctoritas Dei revelantis als Glaubensgrund schließt, so sahen wir, gerade die gleichzeitige Herkunft aus dem menschlichen Denken, aus der Philosophie mit ein. Um es an der klassischen Formel des Anselm von Canterbury zu sagen: fides quaerens intellectum meint die fides, die ihren eigenen intellectus von innen her erstrebt, sich von innen her zu ihm durchklärt; diese innere Erzeugung des intellectus fidei ist aber in einem Wendung der fides über sich hinaus, zum intellectus, zur Vernunft hin, auf die sie bereits trifft. Die Erzeugung der Theologie ist eine Erzeugung von innen, vom Glauben her, und darin zugleich eine Erzeugung im Außen, und das heißt auch: vom Außen her. So aber läßt sich von einem doppelten Apriori der Theologie sprechen: von einem theologischen und einem philosophischen.

Stellen wir es uns noch einmal vor Augen: Gottes Wort bricht auf aus seinem unerzwinglichen, unableitbaren Ursprung. Dieses Wort aber springt hinein in den Frage- und Verständnishorizont des Menschen, beansprucht Worte, die Menschen schon sagen, um in ihnen neues, göttliches Wort zu sein. Anderswo als im Menschenwort kommt Gottes Wort nicht vor, sonst wäre es für Menschen nichts. Dies aber ist eben kein Notbehelf, kein äußerer Zusatz, sondern selbst Inhalt, Gesagtes dieses Wortes. Die Struktur des doppelten Apriori der Theologie ist ihr erster und sogar ihr fundamentaler Inhalt: Gott will von sich her, daß er vom Menschen her da sei, und schenkt sich so, nur so, ganz und selbst dem Menschen. Indem sein Wort sich unter ein philosophisches Apriori, unter die Voraussetzung des Selbstverständnisses des Menschen stellt, indem Gott bereit ist, dem Menschen, der sich nach sich fragt, sich selbst, Gott selbst, als Antwort zu geben, tritt aber das philosophische Apriori selbst unter ein theologisches Apriori. Daß die Theologie ein philosophisches Apriori hat, ist ein theologisch höchst bedeutsamer Befund, ist eine Aussage über Gottes Eigenstes und Innerstes, ist die Aussage, daß er Sich-Entäußern, Sich-Geben, daß er Liebe ist.

Dies, gerade dies qualifiziert aber das philosophische Apriori der Theologie neu und weist der Philosophie selbst ihren theologischen Ort zu. Gott spricht zum Menschen, der selbst bereits spricht. Gott antwortet dem Menschen, der von sich aus bereits fragt. Gott geht ein auf die Struktur des Menschen, die schon besteht. Gott richtet sich an ein Seins- und Weltverständnis, das sein Wort bereits vorfindet. Dieses Seins- und Weltverständnis, dieses Sich-Verstehen und Sich-Fragen des Menschen, seine Philosophie geht vom Menschen, von ihm sel- [239] ber aus. Daß sie aber von ihm selber ausgehen kann, das ist theologisch nochmals kein bloßes Fatum, kein bloßes Widerfahrnis, das Gott eben hinnimmt, sondern es ist seine eigene Tat. Die Tat der Offenbarung, eine eigene und neue Tat, die Bereitschaft Gottes, sich in den Verständnishorizont des Menschen hineinzustellen und ihm zu unterstellen, hat bereits ein anderes zur Voraussetzung, ist die Vollendung und unableitbare Weiterführung der grundlegenden Tat Gottes: daß er den Menschen geschaffen hat und so geschaffen hat, daß er von sich ausgehen, daß er sich selber fragen und verstehen, daß er mit seinem eigenen Denken nach allem auslangen kann.

Theologie setzt also eine autonome Philosophie, eine Philosophie, in welcher der Mensch von sich her fragt und denkt, voraus. Die Autonomie des philosophischen Denkens aber ist gerade, theologisch betrachtet, Zeugnis und Bildnis des göttlichen Gottes selbst. Zeugnis und Bildnis seiner Autonomie, seiner Ursprünglichkeit, seines Aufgangs allein aus sich her. Indem Gott dem Menschen Gott schenkt, schenkt sich Gott seinem Anderen, das aber zugleich sein Bild ist – Gott begegnet im Bilde sich selbst.

Allerdings wirft die Theologie ein neues Licht darauf, was göttliche Autonomie heißt: sie ist nicht selbstgenügsame Verschlossenheit, sondern Sich-Überschreiten, Sich-Verschenken. Es sei noch einmal an das Mißverständnis im Wunsch Adams erinnert, der sich nicht dadurch verfehlte, daß er Gott gleich sein wollte, sondern daß er die Göttlichkeit in diesem falschen Sinne verstand. Die „Autonomie“, das Herr-sein Jesu stellt sich dar unter der paradoxen Gestalt des Gehorsams bis zum äußersten, in der Knechtsgestalt also, welche Knechtsgestalt aber gerade Gestalt der Liebe, der äußersten Souveränität ist. Und so ergibt sich, zunächst theologisch, die Vermutung: Ist nicht auch die „Autonomie“ der Philosophie zuletzt und zutiefst gerade ihre Fähigkeit, unabgeschlossen und unabschließbar, offen über sich selbst hinaus zu fragen, auf das zu und von dem her sie selbst zu sein, was sie nicht mehr selbst erstellen, leisten und verfügen kann? Heißt Autonomie nicht als solche: Beziehentlichkeit? Die Antwort auf diese Frage muß die Philosophie freilich philosophisch geben – und gerade dies ist die Herausforderung der Theologie an die Philosophie.