Aufgabe der Universalität – Aufgabe der Identität

„Prophetisches“ Gespräch*

Aber wenn ich damit schlösse, dann wäre nur eine ratlos lassende Aufgabe formuliert. Ich meine, wir sollten noch einen kleinen Schritt weitergehen. Ohne daß wir vorzeichnen können – wie schrecklich, wenn wir es vorzeichnen könnten –, wie diese Aufgabe geht, möchte ich in einem kleinen Bild doch noch ver- [105] suchen, etwas von dem zu sagen, wie denn ein solches Gespräch vielleicht in Gang kommen könnte, ein solches Gespräch, das die vielen Gespräche der Akademie durchziehen sollte. Ich tue dabei zwar etwas exegetisch Gewagtes, aber exegetisch Gewagtes ist nicht immer theologisch unfruchtbar, sowenig ich exegetische Verantwortlichkeit herunterspielen möchte. Ich wende also nun einmal die Kapitel 12 bis 14 des ersten Korintherbriefes in einem uneigentlichen Sinne an. Ich weiß, daß dort – zumal im 14. Kapitel – von den Gnadengaben der Glossolalie und der Prophetie in einem anderen Sinn gesprochen ist als in dem, welchen ich jetzt bemühen will. Ich weiß auch, daß diese Gnadengaben – im ursprünglichen Sinne des Textes – näher bei unserer Erfahrung liegen als in vielen Jahrhunderten zwischen dem ersten Korintherbrief und heute. Aber ich meine, daß in ihnen doch auch so etwas wie ein Typos vorliegt. Wenn ich einfach aus der großen christlichen und menschheitlichen Tradition und Geschichte spreche, dann bin ich gegenüber einem neuzeitlichen Wissenschaftler wie auch gegenüber einem jungen Menschen, der aus lebendigen Aufbrüchen und Wachheiten des Geistes heute lebt, sozusagen einer, der in einer unverständlichen Sprache spricht. Wenn ein Wissenschaftler nur seine Wissenschaft sagt, dann trifft er den, der glaubt und aus der Tradition des Glaubens lebt, und dann trifft er den, der sich nur aus der Sprache und den Fragen der Gegenwart speist, nicht ins Herz. Und wenn Menschen aus der Ergriffenheit ihres Ursprungs und ihrer Ursprünglichkeit heute sprechen, wie immer sie sich artikulieren mögen, so zuckt der Wissenschaftler mit den Achseln, und so versteht die Tradition nicht, wie sie das einordnen soll. Sollten wir nicht bei diesen drei Sprachen in jeder gegenüber den anderen etwas wie eine Geistesgabe der Glossolalie sehen, die in der je anderen ihre Prophetie, ihre Auslegung braucht?

Gestern war ich mit Künstlern zusammen, und wir kamen miteinander auf die Formel, die für Erlösung und Kunst eine gemeinsame sein könnte: den andern im Eigenen retten, das Eigene im anderen retten. Gott rettet sich im Menschen, indem er den Menschen in sich rettet, in sich hineinrettet. Und wir meinten, so etwas müßte auch zwischen Kunst und Kirche geschehen. Keine Ausdrucksform dürfe einfach nur draußen bleiben, sondern sie müsse von der Kirche gerettet werden, in- [106] dem sie fragt: Was ist mir hier als Ausdruck und als Aussagemöglichkeit gegeben, damit ich in ihm auch mich selber und meine Botschaft verstehe und umgekehrt?

Geht es nicht nur so? Brauchen wir nicht die Prophetie, die das andere im Eigenen und sich im anderen rettet? Müßte nicht auf diese Weise das Gespräch geschehen? Aber wie kann solches gelingen? Wie können wir die unverfügbaren Gnadengaben der Auslegung dessen, was wir gegenseitig nicht mehr verstehen, gewinnen, so daß doch das Gespräch möglich wird? Wir können es nur durch die größte Gnadengabe, wir können es nur durch die Liebe. Die Liebe ist fähig, zu entdecken, daß uns in der Traditio nicht fremde Last auferlegt ist, sondern Ursprünge erschlossen sind, die lebendiger und lebenswichtiger sind als was wir nur aus uns selbst vermögen. Die Liebe ist fähig, die Nüchternheit des intellectus und die Stütze der Strukturen als Bedingung der Inkarnation, der Gestaltwerdung ihrer selbst anzunehmen. Die Liebe ist fähig, die Sehnsucht zu vernehmen und zu klären und den verborgenen Schatz zu heben, die auch in befremdlichen Aufbrüchen des Pneumatischen sich anzeigen. Und so könnten wir in der Bemühung, aus der Liebe einander zu verstehen und den je anderen in uns selber zu retten, vielleicht eben doch ein Pfingsten vorbereiten, ein Pfingsten, in dem jeder das eine und selbe Wort Gottes in seiner Sprache und gerade so in der Sprache des anderen versteht. Dieses Pfingsten ist die Bedingung der christlichen Identität und christlichen Universalität. Und nirgendwo mehr als in diesen pfingstlichen Zungen, die die Zungen der Menschheit sind und das Wort Gottes sagen, geschieht wahrhaft Begegnung zwischen Kirche und Welt. Darum geht es in der Akademiearbeit, das wünsche ich der Akademiearbeit. „Akademie ist Begegnung zwischen Kirche und Welt“ – die ersten Antworten sind manchmal doch die besten.