Gott und das Denken nach Schellings Spätphilosophie
Rein rationale oder negative Philosophie
Unsere Vororientierung am Phänomen des Denkens führte über die deskriptive Logik hinaus zum fragenden Denken, zur Hinwendung auf das in den Bahnen des Denkens gemeinte Sein als solches zu. In dieser Frage des Denkens gibt es sich selbst in die unabschließbare Vielheit der Bedeutung frei, die seine Bahnen und Figuren gewinnen, wenn sie nicht in ihrer Formalität und deren Vorgriff aufs Sein betrachtet, sondern auf das Erfragte zu selbst begangen und vollzogen werden, das in seinem unversehenen Angang sie umstimmt und in Anspruch nimmt. Aus dem Denken wird so die allein durch den Hinblick und das Engagement von sich weg geeinte Vielheit von Weisen des Denkens. Wo das Denken hingegen in seiner formalen Vorzeichnung seinen Hinblick auf mögliche Wirklichkeit erschöpft, wo es das Seiende als universale Möglichkeit auf die reine Wirklichkeit als das sie seiende zudeckt, verändern sich die Verhältnisse.
Dem „fragenden Denken“ werden unmittelbar nicht seine, es freilich zum Erfragten geleitenden Bahnen und Gesetzlichkeiten thematisch, unmittelbar ist ihm der Anhang der Wahrheit, der es in die Frage ruft, und im von sich weggewandten Hinblick seines Fragens wächst ihm erst die Weise der Bedeutung zu, die hier und jetzt seine formalen Strukturen gewinnen. Anderseits läßt gerade die Orientierung am Erfragten es erst zu, daß auch diese Strukturen selbst fraglich, von ihrer selbstverständlichen Eindeutigkeit weggerückt und in ihrer unabschließbaren Bedeutungsfülle so zwar mittelbar, aber erst eigentlich thematisch werden.
Anders beim Denken, das, in zweifacher Unmittelbarkeit, einmal das Seiende setzt, den Inbegriff aller seiner Gehalte und somit aller Wasgehalte, und darin den dieses Seiende seienden Actus impliziert, zum anderen diesen Actus als solchen und absolut, ohne unmittelbare Beziehung zum Seienden, voraussetzt. Dieses Denken kann sich, auch und gerade wenn es sich auf den absoluten Actus hin orientiert und ihm entgegenzudenken versucht, unmittelbar nur mit seinem „Inhalt“, mit sich als dem Entwurf und Vorgriff dessen, was ist, beschäftigen. Nicht dem bestimmenden und gewährenden Anderen seiner selbst direkt zugewandte Frage, sondern in sich ge- [99] wandte Explikation seiner selbst ist sein Weg. Unmittelbar wird ihm der eigene Inhalt, das Seiende, thematisch, letztlich – so scheint es wenigstens zunächst – bleibt dieser Inhalt aber selbstverständlich einsinnig außer aller Frage, wie er im reinen Denken apriorisch konzipiert war.
Gleichwohl steht die rein rationale oder negative Philosophie, die Schelling aus dem reinen Denken als die „πρώτη επιστήμη“ bzw. „πρώτη φιλοσοφία“1 erwächst, in tieferer Entsprechung zu der von uns skizzierten Grundweise fragenden Denkens, als der erste Anschein es zeigt.
Das Seiende wurde von uns eingeführt als die universale Wesensfigur, als die omnitudo realitatis, die zwei Blickrichtungen vereinigt; das Seiende als Wesen schaut auf den Akt, der dieses Wesen vollzieht, dem es gehört, der es vorgängig ist, und schaut zugleich auf den Akt, der möglicherweise aus ihm folgt, den es ermöglicht. Es ist, was der absolute Akt ist, und ist zugleich die Potenz seiner selbst, Vorentwurf, Möglichkeit seiner eigenen Verwirklichung2. Diese dem Begriff von Wesen, Potenz, Idee entsprechende Doppelheit, ja der Charakter der bloßen „Möglichkeit“, der dem Seienden an sich allein und dem Denken an sich allein eignet, sind in der Unmittelbarkeit reinen Denkens diesem aber noch nicht aufgegangen. Das Seiende in seiner anfänglichen Setzung durchs reine Denken ist an sich, ist gerade rein potentiell gesetzt und dadurch seiner Potentialität nicht inne. Wo diese aufbricht, wo die Hinaussicht aufs Sein, die im Seienden geborgen ist, sich aus der Ruhe seiner in sich beschlossenen Gestalt erhebt, gerät das Denken und also das Seiende in eine das reine Denken sprengende Bewegung, die gleichwohl das reine Denken („die Vernunft“) zum Akteur und zum Material hat, aus dem sie schöpft3.
Das Offenbarwerden der Ambivalenz des Seienden, seines doppelten Verweises auf das voraufgehend Andere, das ursprünglich es „ist“, und auf das folgend Andere, das die Verwirklichung des Seienden als der Idee und Möglichkeit ist, wenn es ist: dies ist der Umschlag des reinen Denkens, das sein eigenes Innen ausschreitet, in die dynamische Auseinandersetzung dieses Innen.
[100] Dieses Innen [sic!] – das ist die Entsprechung zu unserem „fragen – das Seiende als der an- und eingeborene, identische den Denken“ Inhalt des Denkens, gerät in die Fraglichkeit: es läßt sich als „Programm“, als vorlaufendes Wesen dessen verstehen, was sein kann, und läßt sich verstehen als das nachträglich dem reinen Akt, nach welchem es als seinem gewährenden Halt und Träger ruft, zugehende, ihn bekleidende Wesen.
Die Bewegung aber, in der sich diese Fraglichkeit entscheidet – dies ist der bleibende Unterschied des vom Seienden her verstandenen Denkens zum fragenden Denken –, ist nicht Bewegung, in welcher das Denken sich und dem Denken seine Weisen aus dem Wohin der Bewegung gewährt würden, sondern – nach dem Ansatz folgerichtig – Bewegung, in welcher das Denken sich selbst von innen her, sein Gedachtes ableitend, notwendig entfaltet. Nicht die Wahrheit in ihrem das Denken unmittelbar fordernden, es in die Frage stellenden Angang ist das Bewegende des durch solches Bewegtsein in unabsehbar neue Möglichkeiten seiner selbst gerufenen Denkens, das Bewegende ist das Denken, d. h. ist das Seiende, das vom Denken in seine Fraglichkeit freigesetzt, sich selbst aus der Eindeutigkeit seiner bloßen Figur in die Pluralität seiner Möglichkeiten hinein entscheidet. „In das Seiende ist die Bewegung gelegt.“4 Diese „reine Vernunftwissenschaft“5 hat nicht das „eigentliche Prinzip“ als Prinzip, sondern ihr Prinzip ist das Seiende, freilich nicht als ,bloßes Seiendes“, sondern gerade seine Ambivalenz, „das Ganze als Gleichmöglichkeit (Indifferenz) von beiden, als Gleichmöglichkeit des außer dem Prinzip gesetzten Seienden (des außergöttlichen Seins) und des außer dem Seienden gesetzten Prinzips – der rein in sich seienden Gottheit“6. Dasselbe drückt Schelling im Kontext der anderen soeben herangezogenen Stelle, für unseren Zusammenhang noch verständlicher, so aus: „Gott, oder das was das Seiende ist, ist das Ziel der Bewegung, aber nicht das in ihr Wirkende oder Wollende; und es wird vielmehr um so vollkommener diese Wissenschaft ihren Begriff erfüllen, je ferner sie sich das Ziel, d. h. Gott hält, je mehr sie bestrebt ist, alles so weit nur möglich, ohne Gott, in diesem Sinne, wie man zu sagen pflegt, bloß natürlich oder viel- [101] mehr nach rein logischer Notwendigkeit, zu begreifen. Denn es liegt in dem Seienden, d. h. in der Vernunft, nicht bloß der Stoff, es ist ebensowohl das Gesetz der Bewegung in ihm vorherbestimmt.“7
Der Unterschied der rein rationalen Philosophie zum reinen Denken beruht nicht im Stoff, aus dem beide sich gestalten: beide bleiben im reinen Denken, bleiben im Seienden als seinem ihm identischen Inhalt. Er beruht auch nicht im Tätigenden ihrer Bewegung: beidemal ist es wieder das Denken, das sich bewegt. Wohl aber besteht er in der Weise der Bewegung, im Verhältnis der Bewegung zu dem sie Bewegenden. Reines Denken schreitet sich selbst aus und gewinnt seinen Inhalt, das Seiende. Es eignet diesem Seienden an sich von Anfang an, nicht selbst zu sein, sondern nur wesentlich zu sein, in diesem Nichtselbstsein aber in zwei Richtungen zu verweisen: auf das es tragende Selbstsein, aufs Prinzip, aufs reine Daß, und auf sich als den Vorentwurf eigenen Selbstseins. Die Doppelheit dieses Verweises war aber im reinen Denken nicht ausgetragen, sondern hielt sich in der Schwebe der bloßen Figürlichkeit. Nun aber wird sie, dies ist der Schritt im reinen Denken übers reine Denken hinaus, als bewegendes Prinzip gesetzt, und schaut das Denken dem zu, was in solcher Bewegung mit dem Seienden geschieht: Was wird aus dem Seienden und was aus dem Prinzip, wenn das Seiende als Möglichkeit eigenen Seins sich an sich nimmt?
Sinn und Anlaß dieses Experimentes des Denkens mit sich, mit seinem anfänglichen Inhalt, bleiben für den Augenblick noch außer Betracht, wichtig ist, die andere Weise des Denkens zu sehen, das nicht mehr nur seiner eigenen Anfänglichkeit, seines an- und eingeborenen Inhalts einsichtig zu werden sucht, sondern ihn als Basis zur Gewinnung eines in der sich durchsichtigen Anfänglichkeit seiner selbst nicht Gewußten benutzt.
Dieser Schritt ist, in Schellings Verständnis und Sprache, der Schritt zur Wissenschaft 8. „Auf diese Weise“ – Schelling bezieht in diese Aussage, über den dargelegten Verhalt hinaus, das programmatische Ziel der umrissenen Denkbewegung mit ein – „wäre das früher rein noetisch (dialektisch) Gefundene in einen Prozeß umgesetzt worden, und auf dem Wege des zur Wissenschaft ausein- [102] andergezogenen Denkens erreicht, was das einfache unmittelbare Denken nicht gewähren konnte. Denn das im reinen Denken Gefundene war nicht Wissenschaft zu nennen, es war nur der Keim der Wissenschaft, welche entsteht, wenn das im einfachen Denken Erlangte – die Idee – auseinandergesetzt wird.“9 Wissenschaft kraft der Weise, wie das reine Denken sich hier zu seinem Inhalt verhält, wie es ihn sich selbst bewegen läßt, ist sie freilich „nicht eigentlich wissende, sondern denkende Wissenschaft“10. Sie erweist aus der angesetzten Erhebung des Seienden in seine direkte Selbstverwirklichung nicht, daß es existiert, sondern wie es existieren kann, ja muß, wenn es existiert; ihr Ergebnis ist das bloß „Hypothetische“11.
Ist so der Unterschied der rein rationalen Philosophie gegenüber dem reinen Denken hervorgetreten, gilt es nun, ihren Unterschied zum fragenden Denken noch schärfer zu fassen.
Wie gesehen, ist fragendes Denken, das nicht davon ausgeht, daß sein ursprünglicher Inhalt „das Seiende“ sei, von sich weg den unabsehbaren Weisen des Angangs der Wahrheit zugewandt und unternimmt daher nicht den Versuch, aus seinen immanenten Verhältnissen heraus einen Universalentwurf alles dessen, was sein kann und wie alles sein kann, zu leisten. Seine Universalität ist die der Frage, der sich alles antun darf und die sich und ihre Weisen des Denkens von allem, was sie angeht, verändern zu lassen bereit ist. Fragendes Denken hat eine universale „Passibilität“, die es ihm zugesteht, sich in unabsehbar viele Weisen seiner selbst zeitigen zu lassen, die unter sich geeint sind durch die Selbigkeit der Verantwortung gegenüber dem Anspruch der Wahrheit. Die rein rationale Philosophie hingegen ist der Versuch des Denkens, aus sich selbst das Seiende als universale Grundfigur alles dessen, was sein kann, eben in all das, was sein kann, hinein auseinanderzufalten und im Prozeß dieser Auseinanderfaltung nicht nur die sein könnenden Wasgehalte, sondern ihren Zusammenhang, ihre Wesensgeschichte zu gewinnen.
Gleichwohl erschöpft sich darin die „rein rationale Philosophie“ gerade nicht. Sie trägt den Namen der negativen nicht nur, weil sie der Ableitung der Wirklichkeit des Wirklichen, der wirklichen Ver- [103] wirklichung des in ihr aus der Idee, aus dem Seienden Entwickelten, seiner Positivität also, nicht fähig ist12. Negation, Krisis ist in einem noch fundamentaleren Sinn ihre Signatur13. Diese rückt sie in neuer Weise dem fragenden Denken nochmals nahe und von ihm ab.
Das Seiende und das das-Seiende-seiende gaben sich uns als Inhalt reinen Denkens. Der Verweis des Seienden auf den es tragenden Akt ist im Seienden auf andere Weise verborgen und impliziert als die unmittelbare Potentialität des Seienden auf sein eigenes Sein zu. Das „Seiende“ als Wesen denken, seine Figur denken heißt in dieser Figur, in ihrer Totalität und Geschlossenheit ein Ganzes zeichnen, diese Figur meint von sich aus und ohne weiteres eines, das diese Figur ist. Die Wiederholbarkeit, Ausführbarkeit, Verwirklichbarkeit dieser Figur, die ihr gleich unmittelbar, ja an sich selbst sogar noch unmittelbarer zukommen, die das Figürliche ihrer Figur gerade ausmachen, verbergen sich indessen im Status bloßer Figürlichkeit, die Figur läßt nicht zuerst an sich, sondern an das in ihr Gefaßte, das Wesen, der Begriff lassen unmittelbar an das in ihnen Existente, an das sie „Seiende“ denken, die omnitudo realitatis weist, als Ganzes, als geistige Gestalt, vorweg auf das sie zum Wesen habende Ideal, nicht auf die Realisierbarkeit der in ihr zum Einen vereinten und zum Ganzen ergänzten Bestimmungen, aus denen das Denken zu ihr gelangte.
Das Prinzip, das das-Seiende-seiende ist so das im reinen Denken Gewollte, das Seiende das dem reinen Denken Gewordene, von ihm Vermochte. Nicht des Prinzips ist das reine Denken auf seinem Weg durch seinen Inhalt hindurch mächtig, sondern eben dieses Inhalts, der das Prinzip meint, des Seienden. Dem reinen Denken als solchen bleibt das Prinzip in der Potenz – sofern es nicht den umgekehrten Weg direkt zum Prinzip geht, von dem es aber kein unmittelbares Fortschreiten zum Begriff gibt. Es ist gemeint als wirklich, gemeint aber vom in sich nicht Wirklichen, vom bloßen Begriff, vom Seienden als Figur aus. Nicht das Prinzip hat also das Seiende, sondern umgekehrt hat, fürs Denken, das Seiende das Prinzip, in seiner Wesensbestimmung ist das Prinzip nicht als Prinzip, es ist bestimmt durchs Seiende, nicht es bestimmend.
[104] Hier sieht Schelling den eigentlichen Anlaß, über das bloße Denken hinaus zur „Wissenschaft“ zu schreiten: „Aber auch uns treibt es zur Wissenschaft. Denn das Prinzip selbst strebt aus dem reinen Denken hervor, in dem es wie gefangen ist, ohne sich als Prinzip erweisen zu können. Es ist wohl im Denken, aber nur materiell oder wesentlich, nicht als solches; als solches ist es selbst nur in potentia, denn wir besitzen es, aber nur durch das Seiende als sein logisches prius, an das es gebunden ist; also ist hier vielmehr das Seiende, das Gewalt hat über das Prinzip, und es ist nicht zu sagen, daß das Prinzip das Seiende hat, sondern umgekehrt, daß das Seiende das Prinzip hat.“14
Die Implikation des Prinzips ins Seiende hat eine dreifache Folge, die an der Schwelle zwischen reinem Denken und rationaler Philosophie ins Auge fällt:
Das Prinzip wird, als das Seiende seiend, zwar je als wirklich gedacht, indem das Seiende gedacht wird, aber es wird in seiner Wirklichkeit nicht unmittelbar erkannt, es bleibt in der Potentialität befangen.
Wenn das Prinzip vom Seienden her angegangen wird und wenn es so ans Seiende als an das auf es Verweisende gebunden oder in seiner reinen Wirklichkeit zwar erkannt, aber fürs Denken ohne Übergang zum Seienden bleibt, dann tritt die Mächtigkeit des Prinzips, durch die es sich als Prinzip erweisen könnte, nicht zutage; erst wenn das Seiende sich als das erweist, von dem und zu dem das Prinzip frei ist, d. h. als Potenz des Prinzips, ist das Prinzip Prinzip.
Bleibt die Stellung des Prinzips zum Seienden unklar, so bleibt auch die Wirklichkeit des Seienden unentschieden: Ist das Seiende als vom Prinzip bemächtigt nur sein Wesen, ist also die „eigene“ Potentialität des Seienden durchs Prinzip außer Geltung gesetzt? Oder ist das Seiende als seiner eigenen Potentialiät mächtig die Bestreitung, die Ohnmacht des Prinzips? Oder ist das Seiende eben die Potenz des Prinzips, seine, des Prinzips, und darin gerade zugleich seine eigene Mächtigkeit, Triumph des Prinzips, seiner absoluten Freiheit?
Diese Fragen präzisieren das am Ende des reinen Denkens er- [105] hobene Programm und zeichnen ihm den weiteren Weg des Denkens vor, eben die rationale Philosophie, die sich so als negative erklärt: indem das Denken das Seiende als die Möglichkeit seiner selbst ansetzt und durchführt, indem das Denken das, was sein kann, genetisch aus dem Seienden herausentwickelt, es hypothetisch verwirklicht, scheidet es das bloß Potentielle aus ihm, aus der Idee aus, sondert es das Prinzip als solches aus, gewinnt aus dem anfänglichen, von Schelling selbst als „pantheistisch“ bezeichneten Ineinander von Gott und außergöttlichem Sein in der Idee die Pole der Beziehung, in welcher die Wirklichkeit sich ereignet; die Frage nach der Wirklichkeit und Mächtigkeit des Prinzips und des Seienden kann endgültig gestellt werden. Schelling bezeichnet so die negative Philosophie als Erfüllung der zweiten Vaterunser-Bitte: „Geheiligt werde – ἁγιασθήτω=χωρισθήτω – dein Name. Und es wäre daher einleuchtend, daß ein wissenschaftlicher Theismus selbst im Prinzip Pantheismus voraussetzt.“15
Der negativen Philosophie fallen so zwei Aufgaben zu: einmal – dies ihre materiale Seite – die Entwicklung aller Wasgehalte möglichen Seins und ihres wesensgeschichtlichen Zusammenhanges aus der Idee, aus dem Seienden; zum andern – dies ihr funktionaler Sinn – durch das methodische Absehen von Gott als Prinzip die denkende Absonderung dieses Prinzips, in welcher es sich als Prinzip bewähren kann, wenn es sich der verselbständigten Potenz des Seienden gegenüber als mächtig und wenn dieses sich ihm gegenüber als abhängig erweist16. Das Seiende, die Idee, war in der Figürlichkeit reinen Denkens der allgemeine Begriff des Subjekt-Objekts, Wesen sich gehörender Geistigkeit, und tritt in der kritischen Exposition negativer Philosophie auseinander zum hypothetischen Begriff Gottes, der Welt und der diese abschließenden, in Gott zurückvermittelnden „Seele“, letztlich also: des Menschen17.
Wieso konnten wir sagen, in der „Negativität“ der negativen [106] Philosophie rücke diese in neue Bezogenheit und neuen Abstand zur von uns anvisierten Grundweise fragenden Denkens?
Fragendes Denken gewinnt sich aus dem Angang der Wahrheit: sich von allem in unverstellter Offenheit angehen lassen, sich selbst in je neue Weisen seiner selbst fragend aufgeben, das ist der Grundzug dieses Denkens, sein Weg in die unabschließbare Vielheit seiner selbst. Wenn das Denken im Übergang zur rationalen Philosophie nun erkennt, daß im Entwurf des reinen Denkens das Prinzip nicht als solches anwesend zu sein vermag, sondern daß es der „Umkehrung“ bedarf, in welcher es sich und seinen Entwurf als das vom Prinzip bestimmte zu verstehen vermag, und wenn es im Zuge dieses Anliegens ihm auf die Absonderung des Prinzips in seinen Eigenstand und auf die Freigabe der Potentialität des Seienden an sich selbst, also: der Welt und des Menschen an sich selbst ankommt, wenn es ihm so um Eigenstand und Bezug der Phänomene geht, so ist die negative Philosophie von solcher grund- und zielgebenden Intuition her in der Nähe zum fragenden Denken. Der Versuch, in immanenter erschöpfender Ableitung der Gehalte und Zusammenhänge des Denkens der Wirklichkeit durch den Begriff ihrer Möglichkeit zuvorzukommen, bezeichnet hingegen die bleibende Andersartigkeit.
-
XI 367. ↩︎
-
Vgl. XIII 76/77. ↩︎
-
Vgl. XI 375. ↩︎
-
XI 375. ↩︎
-
Ebd. ↩︎
-
XI 366. ↩︎
-
XI 375. ↩︎
-
Vgl. XI 364. ↩︎
-
XI 365. ↩︎
-
XI 376. ↩︎
-
Ebd. ↩︎
-
Vgl. etwa XI 563. ↩︎
-
Vgl. XI 373, 374, XIII 68/79. ↩︎
-
XI 364. ↩︎
-
XI 373. ↩︎
-
Vgl. bes. XI 365, auch XIII 66/67. ↩︎
-
Die Nähe und der Abstand zu Franz Rosenzweigs erstem Teil des „Stern der Erlösung“, seiner Ableitung der Urphänomene, und das ebenso dialektische Verhältnis zwischen der positiven Philosophie Schellings und der im zweiten Teil des „Stern“ in der „Beziehung“ gewonnenen „Wirklichkeit“ darf hier auffallen. ↩︎