Unterscheidungen
Religion als paradoxe „Möglichkeit“des Menschen*
Die Analyse der transzendentalen Grundakte führte uns bis hin zu dem Punkt, an dem sie in sich selber umschlagen. In diesem Umschlag werden sie nicht zum religiösen Akt, sie erreichen aber die Zone seiner Phänomenalität. Sie geraten dorthin, wo die Besinnung des Denkens das Sein gewahrt. Die Offenheit zum Sein ist Offenheit zum Heiligen, Offenheit für seine Spur und seinen Wink. Der Aufgang des Heiligen selbst ist in der Offenheit des Seins aber nicht erzwingbar, er kann sich nur von sich her gewähren. Umgekehrt aber gewährt sich im Aufgang des Heiligen das Sein. So ist es zwar nicht mehr der religiöse Grundakt an sich selbst, wohl aber ist es Entsprechung zu ihm, wenn das Denken, sich einlassend auf den Weg über Seiendes und Sein hinaus in ihre Ereignung aus der reinen Gewähr, von ihr her wieder zurückkehrt in die Besinnung des Denkens und in den Bereich der transzendentalen Grundakte hinein. In ihnen kann sich – und dies sollte hier geschehen – der „Unterschied“ des religiösen Grundaktes, sein transzendierender und nicht mehr transzendentaler Charakter ausweisen. Ein Denken, das die innere Konsistenz dieses religiösen Grundaktes gewahrt, das den Unterschied des Religiösen an sich selbst von seinem bloß theoretischen, ästhetischen oder ethischen Verständnis zu artikulieren vermag und das die gegenläufige Affinität des religiösen Aktes als solchen zum „inneren Ende“ der transzendentalen Grundakte wahrnimmt, hat keineswegs Religion „bewiesen“. Es kann aber mit untrüglicher Sicherheit erkennen, daß Religion nicht eine Projektion, eine Auslagerung aus anderen Bezirken menschlichen Daseins ist, sondern eine paradoxe „Möglichkeit“ des Menschen, mit der er aus einer geschehenden, wirklichen Begegnung begabt ist. Diese Begegnung aber bekundet sich dem, der die Zeugnisse des Lebens der Menschheit zu lesen vermag.