Theologie als Nachfolge

Rückwirkungen auf die Theologie

Das solchermaßen präzisierte Verständnis von Nachfolge hat seine Rückwirkung für die Theologie. Der Standort der Reflexion, die Nachfolge zu reflektierter Nachfolge werden läßt, muß – wie wir sahen – die Nachfolge bleiben. Was „weiß“ solche Nachfolge, und was gibt sie ihrer Reflexion, der Theologie, zu wissen und reflektierend zu vermitteln? Nachfolge weiß, daß es allein auf den [177] Herrn und daß es zugleich auf je mich, auf mein wirkliches Nachfolgen ankommt, in das ich mich selbst und meine Welt einbringe. Darin weiß Nachfolge aber auch, daß jetzige Nachfolge sich nicht selber trägt, sondern daß sie dem Herrn nachfolgt, dessen Gekommensein, dessen Bezeugung, dessen „Tradition“ nicht durch den nachfolgenden Vollzug ersetzt oder abgelöst werden können – indem Nachfolge die Botschaft sagt, macht sie es nicht überflüssig, solches Sagen je im Hören auf die Botschaft zu begründen. Nachfolge weiß des weiteren, daß nicht sie zum Herrn kommt, sondern daß er kommen wird und daß keine noch so perfekte Operationalisierung des Evangeliums, keine noch so tatkräftige und phantasievolle Weltgestaltung aus dem Glauben sein vollendendes Kommen überflüssig macht. Schließlich weiß Nachfolge, daß auch ihr Jetzt nicht nur Veranstaltung eigenen Könnens ist, sondern Begegnung mit dem gegenwärtigen, jetzt lebenden Herrn. Bonaventuras dreifacher Schriftsinn und seine Verknüpfung mit dem menschlichen Wissen werden hier aktuell. Theologie ist Empfangen und Wahren einer Herkunft, die sie nicht vermag; Theologie ist Weg der Entsprechung zu einem Partner, den sie wiederum nicht durch ihr eigenes Reproduzieren und Konstruieren herstellen kann; Theologie ist Hinsein auf ein Ziel, das nicht sie erreichen, dem sie nur hoffend und verlangend Weg bereiten kann. Gerade solche Rezeptivität und Verwiesenheit von Theologie ist aber auch ihre Spontaneität und „Autonomie“. Wenn sie „Christus gehört“, gehört „ihr alles“ (vgl. 1 Kor 3, 23), will sagen: ist ihr Verstehen entbunden, je neu das Unverfügbare zu lichten und zu entwerfen als unverfügbar und doch als Antwort auf die Fragen, Anlagen, Möglichkeiten und Unmöglichkeiten aller geschichtlichen Situationen und Stationen des Menschen und der Welt. Bonaventuras Weg hilft uns so, unseren eigenen Weg zu finden. Das meint nicht Übernahme der Instrumentarien und Kontexte seines theologischen Denkens oder seiner inhaltlichen Einzelpositionen. Wohl aber meint es Kommunikation mit der Wegzeit und der Weggestalt seines Denkens. Der dreifache Schriftsinn Bona- [178] venturas kann uns heute zum Stichwort werden, um die Unverfügbarkeit der Botschaft, die Aufgegebenheit der Übersetzung in der Nachfolge, die Perspektivität des Glaubens auf die vollendende Zukunft Gottes hin als Konstituentien eines unverkürzten theologischen Denkens neu ernst zu nehmen. Eine solche Theologie, die Historik, Hermeneutik und Praktik einbezieht und doch aus den Absolutsetzungen der einzelnen Pole hinausführt, bedarf freilich auch eines Denkstils, der sich mit der Dynamik bonaventuranischen Denkens, mit den konstitutiven Spannungen, aus welchen seine Gestalt gefügt ist, berühren wird. Strukturales Denken, das Mehrursprünglichkeit und Einheit, Rationalität aus dem Überschuß der Rationalität und auf diesen Überschuß zu wahrt, sind aktuelle und in ihrer Synthese befreiende Postulate.