Glaubwürdig die Botschaft Jesu Christi leben

Schlüsselwort Geduld: zielstrebige Wegtugend

Ich habe das Schlüsselwort genannt; es ist ganz wichtig, daß wir in unserer Arbeit ein Schlüsselwort haben. Es heißt aktive Wegtugend „Geduld“: Wir sind auf dem Weg. Wir lernen spielen. Das Instrument lernt, zum Klingen zu kommen. Es muß sich einüben. Der Bogen setzt sich auf. Der Bogen spielt nicht im ersten Moment das Ganze: einüben, aber zäh dranbleiben. Immer neu, immer wieder und Stück um Stück. Aktive Wegtugend „Geduld“: das heißt, auf Seiten der Verantwortlichen konsequent auf das Ziel schauen, aber das Ziel nicht wie ein Fliegennetz dem andern überwerfen. Weder die Leute mit der Norm erschlagen noch ihnen die Norm vorenthalten, sondern aktive Wegtugend. Da Ja zum ganzen Ziel, aber nicht das Ziel überstülpen, sondern werben um das Ja, das Ja reifen lassen, das Ja von innen wachsen lassen.

[15] Aktive Wegtugend auf Seiten der Jugendlichen selber, das heißt: das Ziel anvisieren und bejahen, aber nicht an der inneren Ungeduld scheitern, weil ich es nicht zu schaffen glaube und dann das Ziel aufgeben will. Aktive Wegtugend heißt vielmehr: diese Frustration aushalten, überwinden und in den allmählichen Weg verwandeln, es heißt auch Geduld haben mit denen, die eigentlich mit mir Geduld haben sollten. Das ist sehr schwierig. Ich habe den Eindruck, wir verlangen von den Jugendlichen manchmal mehr Reife der Geduld, als wir sie bei manchen finden können, die Jugendliche leiten und begleiten sollen. Wir müssen uns einüben in diese Geduld.

Ich erinnere mich an eine recht lustige Szene. Sie ist ein Einstieg in die aktive Wegtugend „Geduld“. Als ich am Schluß einer Talkshow zum Schluß einer religiösen Woche Leute auf die Bühne rufen sollte, hat man mir gesagt: „Rufen Sie mal den Josef.“ Es war ein 17jähriger Oberschüler, der eine ähnlich lange Nase hat wie ich und deswegen als Doppelgänger von mir verkauft wurde. Ihn habe ich darum gefragt: „Na, lieber Bischof Hemmerle, warum müssen Sie denn immer so restriktiv sein? Warum geht‘s nicht rascher weiter mit der ‚Amtskirche‘? Warum ist da so wenig Dynamik? Warum hat die Jugend denn nicht eigentlich ihren Ort in dieser Kirche? Warum tun Sie da nicht mehr?“ Daraufhin schaute er mich altklug an und sagte: „Aber lieber Josef, ich tue doch schon einiges, du mußt halt etwas Geduld haben.“ Und diese spontane Äußerung hat in der Tat tiefer gezeigt, worauf es ankommt, als es zunächst erscheinen mag. Diese Geduld miteinander ist ungeheuerlich wichtig, die Geduld, die nicht Ermäßigung ist, sondern die unbequem ist, die aktiv ist, aber eben Tugend des Weges ist.

Nun wird am Schluß derjenige, der als hauptberuflicher oder auf andere Weise verantwortlicher Mitarbeiter in der Jugendarbeit steht, sagen: „Aber, ich selber! Das ist ja alles sehr schön, doch es ist ja eigentlich sehr schade, daß ich nicht Jesus Christus persönlich bin. Es tut mir doch etwas leid, denn dann könnte ich das besser.“ Ich kann mir gut vorstellen, daß es Ihnen manchmal ebenso geht wie mir als Bischof. Man denkt manchmal: „Eigentlich ist es unmöglich, soviel Tugend aufzubringen. Ich kann das einfach nicht. Ich mag nicht mehr. Jetzt habe ich einfach genug.“ Jeder von uns – ich auch – kennt solche Stunden. Aber wie geht das denn, daß wir, die wir ja selbst nicht Jesus in Person sind, als Mitarbeiter dennoch diese Wegtugend „Geduld“ bejahen und damit leben können? Wir alle sind nicht perfekt. Aber wir können nicht als Verkäufer einer Ware tätig sein, die wir selber nicht konsumieren. Nur wenn wir selber das leben, was wir [16] geben, können wir es anbieten. Wir sind nicht Verkäufer eines Angebotes. Keiner von uns, keiner von Ihnen ist das. Ich weiß es, ich unterstelle das niemand, aber wir müssen es immer wieder neu uns sagen: Es ist einfach notwendig, daß wir selber uns in diesen Prozeß entlassen. Zwei Dinge haben wir dann aber sichtbar zu machen, damit wir Wegzeugen sind: Wir müssen in uns beglaubigen, daß wir dieses Ziel haben, das ganze Ziel, und daß wir auf diese Ziel zuleben; wir müssen also auch unsere Lebensweichen so stellen, daß dieses Ziel darin sichtbar wird.

Deswegen hat es Sinn, daß es auch in der sichtbaren Lebensgestalt Grundvoraussetzungen gibt, die eine Identifikation mit dieser Kirche zeigen. Ich muß bejahen können, daß Weg und Wort Jesu hundertprozentig das sind, auf was ich konkret zugehe, sonst bin ich einfach behindert in der Bezeugung dieses Ziels. Aber ich muß es als Ziel bezeugen, indem ich mich als auf dem Weg bezeuge. Ich soll nicht eine Aufführung von mir als dem Superperfekten geben. Wenn ich sage, Gott ist der Gott der 100%, dann ist es wichtig, daß ich nicht der Diener eines Gottes der 150% bin. Denn Gott ist zwar genau 100% Gott, aber bitte nicht zu 150%. Also nicht autoritärer und totalitärer Gott, sondern ganzer Gott. Nicht derjenige ist auf dem Weg zum Ziel, der eine Aufführung als der Superstar des wahren Christentums gibt, sondern der, der auch seine Grenzen und Enden spüren läßt und eingesteht, sich als auf dem Weg beglaubigt.

Ich meine, daß wir dann weiterhin den anderen für das Ziel sensibel machen müssen und zeigen, daß es ein Ziel ist. Zeigen, daß hier nicht etwas von ihm verlangt wird, sondern daß das, was von ihm verlangt wird, genau das ist, woraufhin er angelegt ist, was ihn zum Klingen bringt. Er muß zum Klingen kommen, nicht ich.

Nicht ich führe den anderen auf, sondern er kommt zu sich. Nicht die Kirche führt ihn auf, sondern nur Jesus, der ihn spielt und in dem er sich selber spielt. Er muß zum Klingen kommen, d. h., ich muß ihn für dieses Ziel sensibel machen. Ich muß ganz einfach Wegbegleiter sein. Ein Wegbegleiter, der nicht sagt: „Bleibe nur liegen, setz dich an den Rand und steh nicht mehr auf“, der aber auch nicht nur dem anderen einen Tritt gibt, so daß er dann torkelt, statt daß er froh weitergehen kann. Es kommt darauf an, daß wir wirklich Begleiter sind. Die Menschen sollen merken, daß sie bei mir angenommen sind, und daß ich mich von Gott angenommen fühle; sie sollen merken, daß ich mich ihnen hingebe, weil ein anderer sich für sie hingibt; sie sollen merken, daß ich ein Stück der Verantwortung und der Nöte, [17] die sie haben, übernehme, weil ich glaube, daß ich übernommen bin. Gerade dann ist diese Identifikation mit der Kirche, die ich auf diese Weise lebe, etwas, was geht, was menschlich ist, ein Wegprozeß, der uns so miteinander gehen läßt, daß dabei eine gar nicht so schlechte Melodie zum Klingen kommt.