Die Spiritualität des Fokolar und die Theologie

Schlussfolgerung*

[17] Man könnte diesen schematischen und skizzenhaften Aufriß verstehen als eine geistliche Rechtfertigung der anfänglichen Skizze von den theologischen Herausforderungen und Chancen, aber auch von den geschichtlichen Notwendigkeiten unseres Zeitalters. Dies geschähe zu Recht und soll keineswegs abgewiesen werden. Aber es ist nicht der Endpunkt. In der Weise, wie sich der trinitarische und heilsgeschichtliche Weg hineinbildet in den geistlichen Weg des Fokolar, wird nämlich zugleich und vor allem eine neue theologische Aufgabe und Möglichkeit aufgerissen, ein theologisches Programm entworfen, das nicht mit einer bestimmten Summe von Untersuchungen abgegolten ist, sondern einen Typus von Theologie, eine Denkart von Theologie aufreißt, die sich nicht im Innertheologischen beschränken, sondern von geschichtlichem Belang für unsere Epoche sind.

Wir erinnern uns: Die leitende Frage zielte darauf, eine geschichtliche und denkerische Alternative zu einer bloß additiven und ideologischen Einheit zu finden. Einheit ist das Grundwort auf dem geistlichen Weg des Fokolar. Und wenn diese Einheit charakterisiert werden soll, dann fallen die drei Worte: Einheit der Liebe, nach dem Maß der Trinität; Einheit aus Jesus dem Verlassenen her; Einheit als Leben mit Jesus, dem Auferstandenen, in unserer Mitte.

Beginnen wir mit dem zweiten der genannten Stichworte: Einheit aus Jesus, dem Gekreuzigten und Verlassenen, her. In Nr. 18 seines Apostolischen Schreibens „Salvifici Doloris“ greift genau diesen Punkt Papst Johannes Paul II. auf. In der Gottverlassenheit Jesu am Kreuz – so dürfen wir vom Text des Papstes aus ganz in der Richtung seines Gedankens formulieren – geht der Sohn Gottes in die äußerste Distanz zu Gott, in welche durch die Sünde der Mensch gefallen ist, um von dort aus, alle Last und Schuld der Welt auf sich nehmend, das gehorsame, liebende, erlösende „Abba, Vater“ zu sprechen. Alle isolierenden, unableit- [18] baren, aus abgründiger Freiheit des Menschen erwachsenen, nicht mit unserem bloßen Denken aufzulösenden Erfahrungen, die es gibt, mehr noch, alles, was es überhaupt geben kann, wird hier nicht in der Systematik des Erdenkens, sondern in der annehmenden Liebe des Erleidens geeint. Der Schmerz, die Marke der Zerrissenheit, wird, in Liebe verwandelt, zum Ort der Einheit Gottes mit Gott – und darin wächst der Menschheit, wächst der Geschichte, der Welt selber ihre innere Einheit zu. Diese Einheit der erleidenden Liebe ist die unideologische, die alternative Einheit schlechthin. Wo diese Einheit aber von uns in antwortender Liebe ergriffen wird, wo wir in der Einheit mit dem gekreuzigten und verlassenen Herrn eins werden durch seinen Geist, da lebt er als der Auferstandene in der Mitte, da wird Einheit als personale Beziehung zu dem, der allen Tod in Leben, alle Zertrennung in Frieden, alle Schuld in Vergebung verwandelt hat, erlösende Wirklichkeit. Leben mit dem lebendigen Herrn in unserer Mitte wird der Anbruch und Einbruch der Erlösung, der neuen Ordnung der Auferstehung in unsere Weltzeit. Sie wird dadurch nicht nivelliert und aufgehoben – denn der Weg ist je neu und je anders der durch den Verlassenen hindurch. Wo aber dieser Weg durch den Verlassenen hindurch der Weg der Menschen zueinander wird, da entsteht zwischen den Menschen ein neues Modell von Einheit: liebendes Sich-Geben an den andern, liebendes Hineinnehmen des andern in sich selbst, Einheit nach dem Bild und Maß der Trinität. Genau dieses gegenseitige Innesein aber ist das Gegenteil jener Summierung, die das Geeinte doch nicht zusammenbringt, und jener ideologischen Einheit, die monistisch die Unterscheidungen tilgt, nivelliert, ins ideologische Es oder Super-Ich eines Systems verschlingt.

Die drei Grundgestalten: liebendes Ausleiden aller Spannungen und Gegensätze im liebenden Ja zum verlassenen Christus, liebendes Einssein miteinander, auf daß der Auferstandene in der Mitte sein kann, darin aber Entstehen einer Einheit nach dem Modell trinitarischen Lebens: das ist die alternative Einheit, die ursprüngliche Einheit, auf die hin das Evangelium vom Anfang her [19] angelegt ist und die Antwort gibt auf die Not und Herausforderung unserer Zeit. Solche Einheit ist ein Wie, eine unitas qua, eine Vollzugsform und Denkform. In ihr und mit ihr läßt sich alles in Theologie und Welt neu sehen, ohne daß alles nur in ein einheitliches Modell, in eine Matrize untergebracht wäre, die keine neuen Entdeckungen mehr zuläßt. Im Gegenteil, diese „Matrize“, dieses Modell, bewähren sich gerade darin, daß alles es selbst, alles zum ersten Mal, alles neu sein und in den Blick treten darf. Bei solcher Einheit handelt es sich zugleich aber um unitas quae, um einen neuen Inhalt. Eine neue Ontologie, eine neue Verknüpfung immanenter und Ökonomischer Trinität, eine umfassende fundamentaltheologische Dialogik, eine Ekklesiologie, die in sich selbst alle anderen Traktate umfaßt, die Traktate der Theologie als von innen her ekklesiologisch, auch eine neue Moral, in welcher die Gegensätze von Seinsordnung und Autonomie zu überwinden sind: dies sind nur Themenangaben, Perspektiven, die der Einlösung noch bedürfen. Die Arbeit daran hat freilich schon begonnen, eine Arbeit, deren zaghafte Anfänge freilich noch nicht absehen lassen, bis wohin die neuen Perspektiven führen. Eines freilich ist dabei ganz deutlich: Eine solche Theologie und das Leben, das dieser Theologie entspricht, lassen sich nicht voneinanderreißen, und sowohl dieses Leben wie das theologische Denken haben ihren Sitz im Leben, ihren Ort in gelebter Einheit, in jener Communio, die selber nach dem Maß des dreifaltigen Gottes aus dem Ja zum verlassenen Christus erwächst und den lebendigen Herrn stets in der Mitte hält.