Jugendarbeit aus dem Evangelium
Schritt: Konkrete Lesbarkeit der Situation von Jugend auf diesem Hintergrund
Die neuzeitliche Kultur und Zivilisation lebt von einem merkwürdig gespannten Verhältnis zur Zukunft. Einerseits wird die Zukunft das große, magische Ziel, dem der Mensch aus sich selber entgegenstrebt: Fortschritt. Die Machbarkeit und Errechenbarkeit von Zukunft, ihre Manipulierbarkeit aber ist zugleich eine Nivellierung von Zukunft. Wenn der Mensch alles machen und planen kann, dann verliert Zukunft gerade ihren „abenteuerlichen“, geschenkhaften, unselbstverständlichen Charakter. Somit ist eine radikal technisierte Gesellschaft, wie sie sich aus dem Ansatz der Neuzeit anbahnt, nicht nur Erfüllung, sondern auch Ende und Frustration von Jugend.
Daraus ergibt sich in unserer Situation, kritisch gelesen, eine besondere „Schwäche“ der jungen Generation und zugleich eine Art von „kritischem Dreieck“, in dem sie sich zu verfangen droht, schließlich aber auch eine Aufgabe und Chance zur Überwindung.
a) Die Schwäche: Wo entweder die Zukunft fertig fabriziert wird oder wo sie ein blinder Ablauf wird, der sich dem einzelnen auferlegt, oder auch wo er in der scheinbaren höchsten Steigerung seiner Freiheit zur Zukunft vor einer solchen Fülle von Angeboten steht, daß diese Fülle ihn nur zu verwirren vermag, da verlernt der junge Mensch die Entscheidung: Entscheidungsschwäche. Es fällt auf, daß es seit vielen Jahren jungen Menschen schwerfällt, bindende, endgültige Entscheidungen zu treffen oder, wenn getroffen, sie durchzutragen. Gewiß ist Entscheidung sozusagen jenes innere Ende von Jugend in die endgültige, erwachsene Situationen hinein, andererseits lebt Jugend gerade von diesem Ende, lebt sie auf dieses Ende zu und nimmt es vorweg und [146] übt es ein. Eine entscheidungslose Generation aber ist im Grunde eine zukunftslose Generation. Es gilt also nicht, primär Rücksicht zu nehmen auf die Entscheidungsschwäche, sondern sie überwinden zu helfen.
b) Das kritische Dreieck: Wir erleben, plakativ vergröbert, drei Haltungen unter Jugend im Verlauf des letzten Jahrzehnts, die gegenseitig sich durchdringen oder abwechseln, die aber, zusammen gelesen, die notvolle Situation der Jugend angesichts ihrer Zukunft umreißen. Man könnte kurz zusammengefaßt sagen: Jugend zwischen Utopie, Konzentration aufs Selbst und Anpassung (brave oder resignierte Anpassung). Alle drei Momente gehören positiv mit ins Konzept von Jugend: Wo aber eines von diesen dreien das ganze Feld beherrscht oder wo diese drei Momente nicht über sich hinausspringen – eben in eine Entscheidung und in einen konkreten Dienst hinein, da droht Jugend und in ihr Menschsein sich zu verlieren. Begeisterung, die das Ungesicherte wagt, Innerlichkeit, in der die eigene Tiefe Gestalt gewinnt, sich zu äußern vermag, aber auch wachsender Realismus, der das Unmögliche ins Wirkliche und in sein Maß hinein übersetzt und so wirksam macht, das tut not.
Schwärmerisches Sich-Verlieren an Unerreichbares und deswegen Auswanderung aus der Wirklichkeit, schwärmerisches Sich-Verlieren in die eigene Innerlichkeit und deswegen Auszug aus dieser Welt, teilnahmsloses oder auch mit bürgerlicher Behäbigkeit, rückwärtsschauender Tristess oder beiläufigem Protest garniertes Mittrotten mit dem Diktat der Verhältnisse, das wären die verhängnisvollen Verfehlungen der Situation von Jugend.
c) Befähigung zur Entscheidung und Befähigung zur Gemeinschaft, in welcher ein dichtes Miteinander und lebendiges Füreinander sich öffnet in ein Leben mit der Welt und [147] für die Welt, die Kraft zum Sprung und die Kraft zur Synthese also, das sind die Aufgaben, die sich stellen, und es gibt genügend Unruhe und Impuls in der Jugend, an denen diese Aufgaben anknüpfen können, sofern ein Konzept da ist, um sie zu lösen.