Das Wort für uns

Sein Platz, unser Platz

Legen wir den Finger auf einige alltägliche, aber keineswegs unwichtige Konsequenzen.

Ein Erstes: Wir sollten uns frei machen davon, wie andere uns beurteilen. Es lohnt nicht, unglücklich zu sein, weil der andere mich verkennt, mich anders einstuft, als ich erwarte, mich an diesen Platz und nicht an jenen einordnet. Wir dürfen allem gegenüber gelassen sein. Nur auf das eine kommt es an: was Gott von mir denkt. Und Gott denkt schon, daß ich auf dem letzten Platz stehe – aber gerade darum bin ich ihm besonders nah; denn hier, an diesem letzten Platz, finde ich meinen Bruder Jesus. Einen tieferen Platz als er kann niemand haben.

Das Zweite: Lassen wir doch die ängstliche Überlegung, ob wir es richtig machen. Natürlich dürfen wir nicht in den Tag hineinleben, natürlich müssen wir unser Gewissen prüfen, und wir sollten es jeden Tag tun. Aber die nüchterne [117] Sorge, wo wir vor Gott stehen, ist doch etwas anderes als jenes Analysieren, das sich selbstgefällig oder selbstzerstörerisch immer nur über sich selber beugt und sich um sich selber dreht. Vergessen und verlernen wir vor lauter Standortbestimmung doch das Gehen nicht. Und vor Gott gehen können wir nur dann, wenn wir ihm die Hand hinstrecken, damit er uns führen, uns an seine Seite ziehen kann. Unsere Wahrheit ist in ihm geborgen, unser Nichts in ihm aufgehoben, und dieses Nichts braucht sich nicht selber zu kennen, sondern nur Platz zu haben für ihn.

Noch ein Drittes: Nicht verzweifeln, wo ich ohnmächtig bin. Die Situationen in der eigenen Familie, im eigenen inneren Leben, im eigenen Beruf, auch in der Kirche, die Situationen, in denen ich so viel investiert habe, so viel guten Willen, so viel Kraft, so viel Geduld, so viel Gespräche und immer neue Anläufe – und nun scheint alles aus, nun scheint alles umsonst, ich kann nicht mehr vorwärts und zurück: gerade diese Situationen sind letzter Platz, und als letzter Platz sind sie Gemeinschaft, Kommunion mit dem, der uns nicht durch seine Macht, sondern durch seine Ohnmacht erlöst hat.

[118] Es gibt nichts Mächtigeres als die bedingungslos dem Herrn in die Hand gegebene eigene Ohnmacht. Das meint nicht einen schlauen Trick, um sich über das eigene Unvermögen hinwegzutäuschen oder es doch noch als Erfolg buchen zu können, sondern es meint die wirkliche Auslieferung, die genauso ernst gemeint ist wie die Auslieferung des Gekreuzigten an den Vater. Es meint das wirkliche Hintreten an jenen Nullpunkt, an dem wir gar nichts mehr in der Hand haben, aber gerade darum hat er alles – vielleicht anders, als wir dachten, aber gerade darum eben alles – in der Hand.

Und ein Letztes: Gott will, daß wir seine Vorliebe für jene teilen, die auf dem letzten Platz stehen, für die anderen, von denen wir nichts erwarten können, die mir nichts nützen, mir keine Ehre einbringen, weil sie eben wirklich auf dem letzten Platz stehen. Sie sollen wir einladen, sie als unsere Brüder erkennen, sie sollen wir lieben; denn jeder von ihnen ist der geringste Bruder, in dem der Herr selbst mir begegnet. Nur so lerne ich jenes Tun, das, christlich gesprochen, die Welt gestaltet: den Dienst. Ich finde das Wort, das der Welt etwas, das der Welt alles zu sagen hat.