Böse, das

Selbstwiderspruch

Das B. ist so nicht nur Gegensatz zum Guten, sondern als dieser Gegensatz in sich selbst ge- [620] gensätzlich. Es ist einerseits „positiv“: es wird gesetzt, vollbracht, behauptet – das gibt ihm den eigentümlichen Anschein verdichteter, geballter Wirklichkeit. Doch das Gesetzte, Vollbrachte, Behauptete ist negativ: das Nein zum Guten, seine Abwesenheit – daher die innere „Leere“ des B. Das so vollbrachte Nein zum Guten enthüllt indessen in seinem Inneren einen weiteren Gegensatz: den Gegensatz des Guten zu sich selbst innerhalb seiner vom Willen gesetzten Verneinung. Der böse Wille – das ist seine Bosheit – bestreitet das als solches erkannte Gute und gibt zugleich das in dieser Bestreitung Gesetzte als Gutes aus. Er kann gar nicht anders: Was immer der Wille will, behauptet er damit bereits als gut. „Gut“ heißt doch: Ja, so soll es sein! Und „wollen“ heißt sagen, setzen, wie es, vom Wollenden her, sein soll. Selbst wer böse sein wollte, nur um böse zu sein, findet es für gut, auszubrechen, anders, eben böse zu sein. Und wer sich vom B. nur ungern übermannen läßt, will doch endlich seine Ruhe haben, ist den Widerstand leid und halt die scheinbare Ruhe angesichts des B. und so mittelbar dieses selbst im Vollzug für besser, also für gut. Das B. ist so ein Konflikt des Guten mit dem Guten im Willen: ein dem Willen als gut, als sein sollend Gegenwärtiges wird vom Willen durchgestrichen und an seiner Stelle ein anderes als gut, als sein sollend gesetzt. Die Formel des guten Willens heißt: Weil es gut ist, will ich dies! Die des bösen: Dies ist gut, weil ich es will! Was aber ist wahrhaft gut, wie soll es wahrhaft sein? Alles, was ist, ist sein-gelassen, ins Sein gelassen, soll, aus dem sein lassenden Urwillen her, sein. Sein selbst heißt sein sollen, Sein und Gutes sind so dasselbe (→Transzendentalien). Sein ist hierbei nicht als bloße Vorhandenheit, als nackte Faktizität gedacht, sondern als das im Vorkommen des Seienden je Bejahte, Gewährte, das „Geschenk“, das in allem Seienden eigentlich ist, indem es ist, das vom Sein des Seienden je Gemeinte, auf das hin es ist. Das Gute schlechthin ist so die alles Seiende einbegreifend übersteigende Fülle, der alles gewährende und erfüllende und darin mit sich selbst einige Ursprung selbst. Der endliche Wille ist nun selbst sein gelassen aus diesem unbedingten Ursprung, er selbst soll sein. Indem er sein gelassen ist, ist aber jenes ins Sein entlassen, was seinerseits selbst bejahen, die Bewegung des gewährenden Seinlassens aktiv mit und als sein Eigenes vollziehen kann, dem es gegeben ist, sich entscheidend, sein eigenes und anderes Sein ge- [621] staltend Ursprung eigenen Zu- und Einstimmens zum unbedingten Ursprung zu sein. Der Vollzug endlichen Willens hat so notwendig eine Doppelung in sich: er ist sein lassender Ursprung, Mitte, von der das eigene Sein und im zustimmend-gestaltenden Nachvollzug alles, die Welt je im Ganzen, entschieden wird; er ist aber nur zweiter Ursprung, nachträgliche Mitte, er muß, ehe er sich und alles bestimmt, sich erst einstimmen auf den zuvor ihn und alles bestimmenden Ursprung selbst, muß also von sich her gut sein lassen, was zuvor bereits auf ihn zu ihm als gut bestimmt und gewährt ist. Das Gute besteht für den endlichen Willen in der Übereinstimmung des eigenen Gutseinlassens mit dem unbedingten Gutseinlassen Gottes, im einstimmenden Gehorsam, der jedoch nicht Kopie, sondern Vorkommenlassen, Gestaltwerdenlassen, aktive Interpretation des göttlichen Willens in der Welt ist. Diese Übereinstimmung wird vom Willen je behauptet. Indem er will, sagt er nicht nur: Es soll von mir aus so sein, sondern: Es soll wahrhaft so sein. Denn es kommt ihm als Wille darauf an, daß es so sei, wie er will, er strebt als Wille je ins ihm doch nur teilgegebene, zubestimmte Sein, behauptet seinen Einklang mit dem, wie es ist. Die Behauptung der Übereinstimmung ist indessen nicht schon ihre Gewähr, die Möglichkeit der Verstimmung ist eingeschlossen, und sie ist die Möglichkeit des Bösen.