Wegmarken der Einheit

Sendung der Kirche und Sendung für die Kirche

Sicherlich sind die Erstgesandten die Apostel, und in ihrer Zwölfzahl wird deutlich, daß sie die Stammväter des neuen Israel, der Kirche sind. So ist die ganze Kirche eine apostolische Kirche und ist die einmalige und unwiederholbare Sendung der Apostel grundlegend für die Sendung der Kirche im ganzen. Aber ihre Sendung geht nicht nur weiter in der Sendung der Kirche an die Welt, sondern auch in der Sendung derer, die vom Herrn für die Kirche ausersehen sind, sie zu leiten, zu lehren und zu heiligen. Ihre Sendung für die Welt kann die Kirche nur ausfüllen, indem Jesus als Weg und Hirte, [104] als Wahrheit und Lehrer, als Leben und Priester hier gegenwärtig wird. Und nach der „Ökonomie“ (ein biblisches und altkirchliches Wort, das Bauplan, Geschichtsplan meint) des Heiles sind es eben Menschen, die dieses dreifache Amt Christi für die Kirche wahrnehmen. Sie können es nicht aus sich, sie können es nicht einfach deswegen, weil sie zur Kirche gehören, sondern sie bedürfen dazu der besonderen Kraft des Geistes Jesu, sie müssen unmittelbar herauswachsen aus der Sendung der Apostel, in ihrer Nachfolge stehen: Die Apostel sind Anfang der Kirche und stehen zugleich doch leitend, lehrend, heiligend in Beziehung zur Kirche – ihre Nachfolger sind Kirche; sie stehen darin aber auch im Verhältnis der Apostel zur Kirche, stehen im Volk Gottes und stehen darin zugleich dem Volk Gottes leitend, lehrend, heiligend vor und gegenüber. Nur so bleibt das Sakrament der einzigen Mittlerschaft Christi in der Kirche lebendig. Auf diese Weise hat es von allem Anfang an die Kirche allüberall verstanden und geübt, so allein geht die Sendung Christi organisch weiter. Wie immer also die Amtsträger aus der Mitte des Volkes Gottes ausgesucht werden, ihre Vollmacht ist nicht delegiert von jenen, die sie bestellen und für die sie bestellt sind. Es ist Dienst Christi für sie, der auch in seiner besonderen Gnadengabe und Sendung verankert sein muß. Wer seine Vollmacht allein auf jene zurückführt, die er vertritt, in dem kann nicht Christus als das Haupt jenes wirken, was eben nur er wirken kann. In jenem kann auch nicht über den Kreis der aktuellen Mitglieder dieser Gemeinde oder Kirche hinaus die Kirche als ganze, als die Zeiten übergreifende „Gemeinschaft der Heiligen“ gegenwärtig werden. Wenn das Amt in der Kirche sich auf die von Christus verliehene Vollmacht und Sendung gründet, so ist damit das Volk Gottes nicht weniger repräsentiert und gegenwärtig, sondern „mehr“. Wo bin ich mehr da, mehr als ich selbst „drinnen“ als in der Liebe dessen, der mein Leben und Sterben und meine Schuld auf sich genommen und in sich [105] ausgelitten hat? Wo bin ich mehr eins mit allen als in dem, der sich für uns alle hingegeben, der jeden einzelnen ganz persönlich und uns alle doch gemeinsam in seinem einen Tod, in seiner einen Hingabe mit dem Vater und miteinander versöhnt hat? Ich bin angenommen und ernst genommen und mehr mit dem Ganzen geeint, wo nicht von mir, sondern von ihm die Vollmacht dazu ausgeht, daß einer mir seinen Weg zeigt, sein Wort verkündet, das Sakrament seiner Liebe schenkt. Amt aus Vollmacht und Sendung von oben schafft nicht mehr Distanz, sondern mehr Nähe. Was nicht gegen mehr Beteiligung, Gemeinschaft, Gegenseitigkeit im Geben und Nehmen innerhalb der Kirche gesagt ist, keineswegs. Wohl aber für die Gründung des Amtes in der unverfügbaren und unverrechenbaren Sendung vom Herrn her. Es liegt freilich an denen, die diese Sendung annehmen und wahrnehmen, sie als die Gegenwart und den Dienst der Nähe des Herrn durch ihr Leben zu beglaubigen. Was letztlich allerdings zählt und trägt, ist nicht mein oder dein Einsatz, sondern sein Einsatz, dem alle Sendung und Vollmacht sich verdanken.