Gemeinschaft des Zeugnisses: Wandlungen im kirchlichen Institutionswesen
Sinn der Institution auf das Ziel der Kirche zu
In dem Ausgeführten ist wesentlich bereits mitgesagt, daß die Kirche als Institution keinen Selbstzweck darstellen kann, sondern daß sie da ist für das allumfassende Heil, für die Vollendung der Welt im endgültigen Kommen des Gottesreiches in Herrlichkeit. Das Verengende der Institution ist von sich selbst her dazu da, sich zu überholen und aufzuheben in der allumgreifenden Weite.
Weil die Kirche Zeichen ist, das schon jetzt auf dieses Ende weist, weist sie auch jetzt schon über ihre institutionelle Begrenzung wesenhaft hinaus. Doch gerade das, was sie zum hinweisenden Zeichen aufs Endgültige macht, ist auch Anlaß, aus dem sie hier und jetzt notwendig Züge des Institutionellen tragen muß: Die Einheit Jesu mit dem Vater, dargestellt und lebendig in mitmenschlicher Einheit, ist das Bild und Zeichen und sogar der Anbruch des endgültigen Reiches; diese Einheit der Kirche ernötigt aber auch, daß sie inmitten der Geschichte gliedernde, festigende, bewahrende Strukturen und also die Elemente des Institutionellen an sich zeigt. Der Hinblick aufs „Endgültige“ prägt zugleich die „Vorläufigkeit“ der Kirche; am Vorläufigen der Kirche muß das Endgültige als dessen Sinn abgelesen werden, am Endgültigen als ihrem Sinn muß aber auch die Vorläufigkeit des Vorläufigen an ihr offenbar werden.
Das Ziel, auf welches die Kirche hin unterwegs ist, das vollendete Reich Gottes, ist die doppelte Unmittelbarkeit: Unmittelbarkeit Gottes und zu Gott und Unmittelbarkeit zueinander; und die Unmittelbarkeit Gottes ist es, welche [132] die vollendete Unmittelbarkeit aller zueinander gewährt und erschließt, wie umgekehrt die reine Unmittelbarkeit der Liebe zwischen allen die Stätte des Aufgangs und der Nähe Gottes selbst ist. So darf doch wohl das Bild vom himmlischen Jerusalem, von der neuen Stadt interpretiert werden, das uns in der Geheimen Offenbarung gegeben ist (Offb 21). Daß Gott selbst der Tempel und das Licht dieser Stadt sein wird, daß sie keines anderen Tempels und keines anderen Lichtes mehr bedürfen wird als Gottes selbst und des Lammes (Offb 21,22f.) und daß die Mauern dieser Stadt aus durchscheinendem Gold sein, ihre Tore bei Tag und Nacht offenstehen werden und man die Herrlichkeit der Völker durch sie hineintragen wird (vgl. Offb 21,8.24–26), dies sind die großen, bildhaften Zeichen solch doppelter Unmittelbarkeit. Und auf solches Ziel hin muß der Sinn des „neuen“ Gebotes (Joh 13,34) und des Gebetes Jesu um die Einheit der Seinen gelesen werden: Schon jetzt hebt im Zeichen und Zeugnis das Endgültige an und bekundet sich der Welt, indem die Liebe Jesu selbst, die Liebe Gottes in ihm Maß und Inhalt der Beziehungen wird, die wir in seinem Namen zueinander haben. Kirche wird zur vorweggenommenen, in die Weltzeit hinein vollbrachten „Herrlichkeit“ des Reiches. Diese Herrlichkeit hat aber jetzt und hier die Gestalt der Niedrigkeit und des Dienstes, das einzig Herrliche an ihr ist eben das, was allein auch bleibt, die Liebe.
Sinn der Kirche ist von daher, die Unmittelbarkeit Gottes und zu Gott und Unmittelbarkeit untereinander um Gottes willen und in Gott: zu „vermitteln“. In solcher Vermittlung liegt zugleich die Differenz zu dem und die Einheit mit dem, was vermittelt werden soll: die Unmittelbarkeit. Es soll also auf endliche und noch äußerliche Weise das dargestellt und vollbracht werden, was einmal allum- [133] greifend und von sich selbst her die einzige Wahrheit und das einzige Leben sein wird, die Einheit mit Gott und in Gott. Und gerade deshalb sind die gliedernden, begrenzenden, endlichen Momente der Vermittlung, gerade deshalb ist also das „Institutionelle“ an der Einheit erforderlich, welche die Kirche ist. Dieses Institutionelle lebt so von dem, was es übersteigt, sein Selbstvollzug ist seine Selbstaufhebung. Diese Selbstaufhebung aber geschieht nicht in einem ungeduldigen Sich-Abschaffen und Sich-Wegwerfen, sondern in der Weise, wie in liebender Demut die Endlichkeit der institutionellen Momente angenommen und übernommen wird und wie sie wahrhaft zum „Medium“ der Unmittelbarkeit gestaltet werden. Es muß also in der Kirche solche geben, die es sich gefallen lassen, anderen vorzustehen, und es muß solche geben, die es sich gefallen lassen, daß andere ihnen vorstehen; es muß die Endlichkeit der verschiedenen Dienste und Funktionen geben, die voneinander abgegrenzt sind; es muß aber in alledem die Liebe geben, die den Sinn der endlichen Begrenzungen hell macht, deren Vielfalt ohne sie nicht Zeugnis der Fülle, sondern Verdunkelung und Verschattung des zugleich einen und erfüllten Lebens wäre (vgl. Kor 12 und 13).
Ein, wenigstens scheinbar, nicht unmittelbar mit unserem Thema zusammenhängendes und für es doch erleuchtendes Beispiel gibt wohl die Ehetheologie des Epheserbriefes (Eph 5,22–33). Hier wird, so sieht es sich von außen an, die soziologische Ordnung der damaligen Zeit, der Mann als der Herr, die Frau als ihm untertan, einfachhin übernommen. Indem aber vom Mann die „agape“, die sich entäußernde, von sich absehende Liebe gefordert wird, erhält das gesamte Verhältnis von innen her eine völlig andere Sinnrichtung; was übernommen wird, wird gerade durch seine Übernahme „revolutioniert“: Unterordnung [134] bleibt als lautere Bereitschaft, die von sich her nichts fordert, sondern auf den Herrn blickt, der selbst unüberholbar und unbezweifelbar reine Liebe ist; indem diese Liebe des Herrn aber zum Maß und zur Kraft gesetzt wird, an welcher sich der Ehemann orientiert und in welcher er den Herrn repräsentiert, ist die, freilich institutionell nie zu sichernde, so aber um so mehr verpflichtende Erhebung des Verhältnisses zwischen Mann und Frau zur lauteren Partnerschaft gewährt. Gewiß ist mit dieser Ehetheologie des Epheserbriefes nicht bereits die gesellschaftliche Entwicklung der Ehe zu dieser Partnerschaft abgeschlossen und vollendet, gewiß ist das Beispiel auch nur indirekt und teilweise auf die institutionellen Elemente der Kirche übertragbar; doch es zeigt in etwa die „Spiritualität“ des Institutionellen der Kirche im Blick auf ihr sie als Institution überholendes Ziel. Kirchliche Strukturen, Vielheit kirchlicher Funktionen, Fixierung kirchlicher Institution sind notwendig um dessentwillen, was alles dies zugleich in Frage stellt. Die Strukturen der Kirche, die institutionellen Momente in ihr tragen so wesenhaft einen „medialen“ und „ironischen“ Charakter. Die Folgen, die dies für die Vielheit der Strukturen und institutionellen Elemente, für deren geschichtliche Festigkeit und Wandelbarkeit und zugleich für ihre geistliche Einheit hat, bleiben im folgenden zu bedenken.