Erfahrungen mit Wort und Sakrament

Spezifische Räumlichkeit

Um dem inkarnatorischen Charakter dieser Struktur des Christusexperimentes, der Christuserfahrung mit dem Vater und somit der sakramentalen und Worterfahrung zu entsprechen, müssen wir allerdings dieser Figur der Zeitlichkeit noch [75] die der Räumlichkeit als weiteres Raster des Verstehens hinzufügen. Welches also ist die immanente Räumlichkeit dieses experimentum per carnem?

Ohne uns auf eine bestimmte philosophische Theorie festzulegen, können wir sagen: Räumlichkeit besteht darin, daß verschiedene Bewegungen zugleich geschehen und geschehen können. Räumlichkeit ist das Zugleich verschiedener Richtungssinne, verschiedener Bewegungssinne. Was ist das Zugleich der Bewegungen im fleischlichen Experiment Christi mit dem Vater? Es ist einmal das Sein auf den Vater zu, die Anbetung, das Horchen auf den Willen des Vaters, die Hingabe an ihn. Er lebt jeden Augenblick auf den Vater zu, zum Vater, ad patrem, das ist das eine. Zum andern ist er vom Vater her in dieses Fleisch hineingekommen. Das angenommene Fleisch, das ist der Ort der Sendung. Er ist nicht nur derjenige, der sich am Vater orientiert, der den Vater lernt, indem er hier steht und hier seine Erfahrungen macht in der Ferne vom Vater, sondern er ist vom Vater hineingeschickt in diese Ferne, berufen dazu, hier zu sein. Er offenbart vom Vater her die Liebe des Vaters, indem er dieses Fleisch annimmt. Also mit der Anbetung zugleich die Sendung, der Ruf, die Annahme, das Verschenktsein. Und die dritte räumliche Dimension: Er kann diese Erfahrung nur machen als eine Mit-Erfahrung im Raum, in dem wir drinnenstehen, als eine Erfahrung mit uns, als eine Erfahrung, die er mit uns teilt und die wir mit ihm teilen. Er nimmt teil am Unseren und gibt teil am Seinen. So geschehen also drei Grundbewegungen im Leben Jesu. Drei Grundbewegungen sind im Wort des Bernhard von Clairvaux umspannt: Beziehung zum Vater, Kommen vom Vater her, Mitsein mit uns; also eine latreutische, wenn wir so wollen, darbringende, opfernde, anbetende Bewegung, eine der Sendung, des Herkommens von, und dann eben die der Communio, der Koinonia, des Mit.

Diese drei Bewegungen im Leben Jesu sind auch die drei Bewegungen, welche die Räumlichkeit von Wort und Sakrament konstituieren. Wenn wir einmal auf das Wort Gottes schauen, so ist das nicht nur Wort von Gott, sondern in mir, in dem, der das Wort annimmt im Glauben, gerinnt es zugleich zum Wort an Gott. Wie kann ich besser beten als in den Worten, die der Herr uns zu beten gelehrt hat? Wie kann ich besser ihn preisen als mit jenen Worten, die er mir als meine Worte schenkt? Er schenkt unsere Worte, menschliche Worte als seine Worte, und darin kann ich mich aussprechen [76] und ihn ansprechen. Wort Gottes hat immer diese Dimension der Hingabe, des Gehorsams, der Anbetung, des Sich-Loslassens, des Gebetes, des Schreies zu Gott hin. Und immer und zuerst ist es ein Wort von Gott her, ein Wort des Rufes, ein Wort, in dem ich gerufen bin, in dem ich gesandt bin, in dem ich gestoßen bin ins Leben, in dem ich von ihm her lebe. Es ist immer Brot, aus dem ich lebe. Jedes Wort kommt von ihm her und ereilt mich dort, wo ich bin. Ich bin getroffen an der Stelle, wo ich bin, und in diese Bewegung von ihm her hineingerissen. In jedem Wort komme ich von ihm her. Das Wort Gottes nimmt mich mit, hin zu den andern, in meine Welt hinein. Und immer ist dieses Wort auch Wort der Communio, Wort der Koinonia, Wort, das mir zukommt aus dem Prozeß einer Weitergabe, und nicht nur einer Weitergabe im raum-zeitlichen Nacheinander der Mission, sondern in jener Gegenseitigkeit des Zeugnisses, von der Paulus schon im ersten Kapitel des Römerbriefes spricht (vgl. 1,11–12).

So ist das Wort dimensioniert. Ich meine, auch in jener Weise, wie das prophetische Wort im 1 Kor 14 verstanden ist, bestätigen sich diese drei Dimensionen. Da ist das prophetische Wort, das dem idiotes und apistos, dem Ungläubigen und dem, der noch kein Experte ist und der da hereinkommt in die Gemeindeversammlung, das Antlitz Gottes entdeckt: Wahrhaft, Gott ist unter ihnen. Gott wird aufgedeckt. Wort, das zu Gott führt. Aber wodurch? Dem Menschen wird sein eigenes Herz aufgedeckt. Das Verborgene des eigenen Herzens wird sichtbar. Wort, das von Gott zum Menschen führt, Wort, in dem Gott den Mensch „offenbart“. Aber wo ist dieser Gott, und wo ist dieses Herz entdeckt, wo ist diese Weltwirklichkeit aufgedeckt, wo ist dieser eine Schleier weggezogen zugleich vom Antlitz Gottes und vom Herzen des Menschen? Unter ihnen, in der Gemeinde, im Kreis, im Mit, im Miteinander, in der Koinonia. Dies sind die drei Dimensionen des Wortes. Und bräuchte es von einem Katholiken eigens gesagt zu werden, daß dies auch die drei Dimensionen des Sakramentes sind, die in der Eucharistie am sinnfälligsten zutage treten, die aber auch in jedem anderen Sakrament präsent sind? Anbetung, Hingabe, Darbringung; Sendung, Teilhabe, Durchdringung des Menschlichen; Gemeinschaft, Kirche, Miteinander.

Das Zeit- und Raumgeschehen der Sakramente eröffnet sich als das Zeit- und Raumgeschehen jenes Experimentes Christi, der in seiner Erfahrung im Fleische lernt und erfährt, [77] was er von Ewigkeit her ist und weiß, um es uns mitzuteilen, um ganz und gar Gott so an uns zu verschenken und uns ganz und gar so anzunehmen, an Gottes Leben teilzugeben.