Spiritualität und Gemeinschaft

Spiritualität: ER in dir und mir*

Auf diesem Weg entdecke ich nicht nur Gott und mich, auch die anderen treten in Sicht. Ich gehe auf ihn und er auf mich zu, indem ich auf andere zugehe und sie auf mich. Mein Verhältnis zu ihm ist zwar mehr als nur mein Verhältnis zu den anderen, aber es spielt in diesem Verhältnis zu den anderen. Biblisch gesprochen: Wenn er mich so geliebt hat, dann bin ich es schuldig, auch die anderen zu lieben (vgl. 1 Joh 4,11). Der Schritt, den er auf mich persönlich zu tut, ist zugleich der Schritt, den er auf die anderen zu tut. Daher kann ich Gott nicht fin- [77] den, wenn ich mich weigere, seine Bewegung zu den anderen, zu allen mitzufinden und mitzutun. Und umgekehrt: Gott hat den Schritt auf mich zu in letzter Radikalität in seinem menschgewordenen Sohn getan, in seinem Leben, Sterben und Auferstehen. Ich muß daher auf einen Menschenbruder, auf Jesus zugehen, damit ich dem Schritt Gottes auf mich zu begegne und meinen Schritt auf Gott zu tue.

Auch zwischen meinem Nächsten und mir wiederholt sich das Gesetz der doppelten Voraussetzung. Solange ich nicht ungeschützt und grundlos den ersten Schritt auf den anderen zu wage, bleibe ich in der Isolation oder der Unverbindlichkeit stecken. Gemeinschaft wächst nur, wenn ich, ohne nach der Vorleistung des anderen zu fragen, bereit bin, den Anfang zu machen. Mache ich aber den Anfang, dann entdecke ich, daß andere schon auf mich zukommen, schon zu mir hin unterwegs sind.

Ein vielfältiges Beziehungsgeflecht hat sich uns erschlossen. Gott erfahre ich nicht, wenn nicht ich den ersten Schritt tue; tue ich ihn aber, werde ich entdecken, daß er schon auf mich zugekommen ist. Dem Nächsten gegenüber bleibe ich in Distanz und Einsamkeit, solange nicht ich den Anfang wage; wage ich ihn aber, so entdecke ich ihn auf seinem Weg zu mir, mein erster Schritt trifft hinein in den seinen. Gottes Weg auf mich zu und mein Weg auf ihn zu können nicht ankommen, wenn ich nicht zugleich den ersten Schritt auf den anderen zu tue. Und schließlich: Der erste Schritt auf den anderen zu wird gerade dann gelingen, gegenseitige Auslieferung und Annahme eröffnen, Gemeinschaft stiften, wenn ich mich dem Nächsten zukehre in meinem Schritt auf den Gott zu, der mich und ihn zuerst geliebt hat.

Spiritualität ist Weg. Spiritualität ist, wie der Glaube und wie im Glauben mein Leben geht. Sie ist Weg zu [78] mir und über mich hinaus zu Gott, zur Welt, zum anderen. Solche Spiritualität ist im allerersten Ansatz schon Gemeinschaft. Denn sie ist gemeinsamer Weg im gegenseitig ersten Schritt von Gott auf mich und von mir auf Gott zu, und sie ist zugleich mein Weg mit Gott auf den anderen und des anderen auf mich zu.