Spiritualität und Gemeinschaft

Spiritualität und Gemeinschaft

[73] Unvermeidlich zwar, aber nichtsdestoweniger bedauerlich: Immer mehr Kirchen sind untertags geschlossen, gerade solche, die wertvolle Kunstschätze bergen. Man hütet diese Schätze, man muß sie hüten. Aber jene, die sich ihrer freuen wollen, die in der Stille des heiligen Raumes den Zutritt zu den verborgenen Schätzen Gottes suchen, stehen enttäuscht vor verschlossenen Türen.

Manche haben den Eindruck, ähnlich gehe es mit der Kirche im ganzen. Sie hüte die Schätze der Wahrheit, die geistlichen Schätze der Tradition, habe acht darauf, daß nichts verlorengeht – was durchaus ihr Recht, ja ihre Pflicht ist. Aber es gelinge nicht mehr, die Türen zu öffnen, so daß der Mensch von heute mit diesen Schätzen und aus ihnen leben könne. In Stein gemeißelt über dem Türsturz: „Kommt alle zu mir, die ihr mühselig und beladen seid!“ (Mt 11,28) – an der Tür aber ein Schild „Zutritt verboten!“ oder zumindest „Heute geschlossen!“

Ich glaube nicht, daß dieses Bild stimmt. Aber ich sehe mancherlei Anlässe dafür, daß es einem in den Sinn kommt. Bloße Objektivität, auch wenn sie noch so triftige Gründe für sich hat, läßt den Menschen ratlos und hilflos. Es genügt nicht, daß der Glaube „stimmt“. Der [74] Glaube muß auch „gehen“, das Leben aus dem Glauben muß gelebt werden. Deshalb erhalten Worte wie Dogma und Institution einen fremden und fernen Klang, während Spiritualität geradezu ein Reizwort, ein Modewort geworden ist. Es kann nicht die Aufgabe sein, das eine gegen das andere auszuspielen. Allein die lebendige Verbindung zwischen beiden vermag den Hunger nach Spiritualität zu stillen. Hat doch dieser Hunger, der keineswegs mit einer neuen Zukehr zu Kirche und Dogma verbunden ist, seinen Grund gerade darin: Menschen suchen einen Weg – einen Weg zu sich selbst, einen Weg zum anderen, einen Weg zum ganz Anderen. Glaube kann anscheinend nur den tragen, der ihn gehend als einen Weg erprobt. Was ist dann Spiritualität? Vielleicht dürfen wir sagen: Spiritualität ist, wie Glaube geht.